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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 12 (2. Märzheft 1913)
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Behl, Carl F. W.: Hebbel: von zwei Standpunkten gesehn
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0452

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Hedbel,

von zwei Standpunkten gesehn

ichtet, auf das Ihr gerichtet werdet!" Denn ein jedes Urteil
spiegelt auch den Urteiler selber in all seiner Unzulänglichkeit.
» ^ ^Wer über Hebbel reden will, sollte vor allem andern der Pflicht
der Dankbarkeit genügen für die gewaltigen Dinge, die seine Kunst
uns gebracht: schon um dem Irrtum vorzubeugen, als meine er
selber den Titanen zu überragen, wenn er den Standpunkt aufsucht,
um ihn zu überschauen. Vielleicht würden so manche, und zwar
gerade die allergeläufigsten Urteile über tzebbel von selber ver--
schwinden.

„tzebbels Produktion geht von der Reflexion aus: sein Schaffen
erliegt seinem Verstande." — Wirklich? Auch dort, wo sich's vor
uns auftürmt, gewaltig und düster wie in Riesenpfeilern und Bogen
einer urweltlichen Kunst? — Siegfried ist gefallen: am Domtor „klopft"
der tote Herr der Welt „mit so viel Kronen als er Finger hat",
aber im Heiligtum kennen sie nur den „Bruder Siegfried mit so viel
Sünden als er Haare hat". Und wie er nun einzieht, da entbrennt
an seiner Bahre Blitzschlag auf Blitzschlag der Wortkampf zwischen
der Klägerin Witwe und dem Mörder Hagen; der greift, da vor
ihm die Wunden des Gemordeten blutend wieder aufbrechen, nach
dem Schwerte seines Opfers und befestigt's an seiner Seite.

„E8 sei darum! Nun hört's gewiß nicht auf!"

And wer Augen hat, um zu schauen, der muß, sollte man meinen,
das elementare Wesen der Hebbelschen Dichtung allerorten aus Tiefen
aufzucken sehen, in die der schärfste Verstand aus eigner Kraft
nicht hinabzureichen vermag. Ich erinnere nur an das Fest, auf dem
sich Mariamne in todestrunkenem Verlangen die Vernichtung heran»
tanzt von der rasenden Eifersucht des geliebten Gatten, da er ihr
Menschentum entwürdigt hat. Oder an den Todesgang Klaras, auf
dem ihr die bittre Not, was Hirn und Herz am festesten gehalten,
Stück um Stück entreißt und in Trümmer schlägt, so daß sie müh--
selig stammelnd selbst die Worte des Paterunsers nicht mehr aneinander
zu reihen vermag. Oder an Golo, wie sich seine verheerende Leidenschaft
an der reinen Flamme entzündet, in der Genovevas keusch verhaltene
Liebe zum ersten Male aufglüht, da sie vom Gatten sich trennt.

Auch wird Hebbels Kunst keineswegs nur von der planetarischen
Glut genährt, aus der sich Gestirne entwickeln. Seine Lyrik, sie
bringt mit dem Tiefsten das Zarteste: „Quellende, schwellende Nacht,
Voll von Lichtern und Sternen." „Ich sah des Sommers letzte
Rose stehn, Sie war, als ob sie bluten könne, rot." „Trinkt des
Weines dunkle Kraft, Die euch durch die Seele fließt." „Dein Auge
glüht nicht mehr wie einst, Und deine Wang ist nicht mehr rot."
„Alle Wunden hören auf zu bluten, Alle Schmerzen hören auf zu
brennen.« „Wenn zwei sich ineinander still versenken, Nicht durch
ein schnödes Feuer aufgewiegelt." „Seele, vergiß sie nicht, Seele
vergiß nicht die Toten!" Freilich von einer s o srdenfrohen Bild-
lichkeit wie die Gottfried Kellers ist diese Lyrik nicht: die Anschauung

2. Märzheft M3
 
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