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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 12 (2. Märzheft 1913)
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Brandes, Friedrich: Felix Draeseke
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0479

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Felix Draeseke

ist am 26. Februar im Alter von 77 Iahren gestorben.
^-D^Solange wir zurückdenken können, war er ein „berühmter"
Musiker, aber kein „populärer". Dafür war seine Eigenart
allzusehr ausgeprägt, so sehr, daß sie manchmal die Grenze des
Eigensinns erreicht hat. Ia, man kann trotz seiner Bedeutung als
Musiker sagen, daß die Kraft seiner Geistigkeit, seiner Persönlichkeit
uoch stärker gewesen ist: einer Persönlichkeit, die ihre Zeit begriffen
und über ihr gestanden hat. Daher seine allbekannte scheinbare Wand-
lung, die von vielen mißverstanden worden ist. Gerade in ihr zeigte
slch der festgefügte Charakterkopf inmitten des musikalischen Mode-
getriebes. Draeseke war ein Mann und Künstler von echt deutscher
Art: einer, der nicht um die Gunst des Tages und um den Beifall
der Menge gebuhlt hat, ein Eigengearteter, mit allen herrlichen Vor-
zügen und Schwächen des Eigengearteten. Künstlerischer Grundsatz
war ihnl „das Streben, nirgend seine Zeit zu verleugnen, sie vielmehr
zum musikalischen Ausdruck zu briugen, mit freudigster Benutzung
der uus zustehenden modernen Kunstmittel, seien sie harmonischer,
rhythmischer, instrumentaler Art, aber all dies zugleich bei mög-
lichster Anlehnung an die klassischen Meister". Das bestimmte auch
seine Stellung in der Musik unserer Zeit. Aus allen Gebieten der
Komposition hat Draeseke Eigenartiges geschaffen: Lieder uird Bal-
laden, Klavier- und Chorwerke, Kammermusik, Opern, Oratorien,
Symphonien, Messen usw. Mehreres davon, wie die Lragische Sym-
phonie, die Klaviersonate guasi vLiitLsiL, die Ballade Pausanias, der
a o-lMella-Chor „Die Heinzelmännchen", das L.-äur-Quintett, das Quar-
tett in 0, die Orchesterserenade in v-äur, ist im Konzertsaal heimisch
geworden. Ebenso hoch stehen aber auch das 8-mc>II-Requiem, die
Messe in vis-moll, die MLnnerchorkantate „Kolumbus", das Adventlied,
die Osterszene aus Goethes Faust, das Klavierkonzert in IL-äur und
manches andere. Das äußerlich Wichtigste kam im hohen Alter
Draesekes: die allgemeine Anerkennung seines großen Oratoriums
„Christus". Noch voll von freudiger Erinnerung dieses Ereignisses
mag der herbe, kantige, schroffe, selbst in diesem Lebenswerk die Gren-
zen des Menschlichen nicht verleugnende Meiswr dahingeschieden sein.
Die Schaffenskraft war unversiegt geblieben: die gewaltigen Christus-
Chöre sind Draesekes herrlichstes Vermächtnis. Eine nachgelassene
Oper „Merlin", die im April zum ersten Male aufgeführt werden
soll, gibt vielleicht neue Anregungen. Denn des Sinnens und Schaf-
fens war bei diesem Feuergeist kein Ende. Noch sei seiner tiefen und
Humorvollen Musikschriftstellerei gedacht (Kontrapunkt und tzarmo-
nielehre in Reimen), mit der er schließlich (Die Konfusion in der
Musik) bei den Größen des Tages aneckte, nicht ohne sie, wie die
Folge zeigte, zur Besinnung zurückzuführen. Draesekes geistige Phy-
siognomie erinnert wie kaum noch die eines andern Musikers an
Beethoven, mit dem er auch äußerlich das kraurigste Schicksal des
Musikers hat teilen müssen. Daß er seit langen Iahren schwerhörig
war, mag viele Eigenheiten seiner Musik mit erklären, besonders ihre
reine Geistigkeit und ihren Verzicht auf sinnliche Wirkungen, sicher-

2. Märzheft WS 39?
 
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