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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 10 (2. Februarheft 1913)
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Herter, Hans: Begabungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0305

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Begabungen

lauter in der öffentlichkeit gefordert wird, daß das Schulwefen
^Cauf die unterschiedlichen Begabungen Rücksicht nehme, um fo
^Imehr lenkt die Tatsache und der Begriff der Begabung die
Ausmerksamkeit aus fich. Schon jetzt hat man an vielen Orten Schul-
einrichtungen mit deutlicher Rncksicht auf die Begabung getroffen.
Ltwa so, daß die Schüler eines Gymnasiums bis zur viertletzten
Klasse die gleiche Bildung durchmachen, in den letzten drei Klassen
aber nach eigner Wahl — das heißt nach ihrer Begabung — einen
mehr mathematisch-physikalischen oder mehr sprachlich-historischen Bil-
dungweg einschlagen dürsen. Gefordert wird aber noch weit mehr.

Der Verfasser dieser Bemerkung war als Obertertianer und Unter-
sekundaner ein leidenschaftlicher Freund chemischer und gewisser andrer
naturwissenschaftlicher Arbeiten; er lernte weit über das Schulmäßige
hinaus, arbeitete zu Hause mit rücksichtloser Draufgängerei natur-
wissenschaftlich und hätte unzweifelhaft, wäre er vor Obersekunda
vor die Wahl gestellt worden, die naturwissenschaftliche Bildung vor-
gezogen. Heute würde er das für einen (übrigens mit den bekannten
verschiedenen „Irrtümern« der Aatur in jenem Knabenalter ver-
gleichbaren und halbwegs erklärbaren) Fehlgrifs ansehen. Nicht, als
ob ich naturwissenschaftliche Beschäftigung und Bildung geriug achtete,
aber meine Lebensrichtung ist doch rein auf geisteswissenschaftliche
Dinge und daneben auf Kunst aller Art eingestellt.

Der Herausgeber dieses Blattes erzählt selbst (s. „Avenarianische
Chronik", Leipzig (9(2, S. Mff.), wie stark naturwissenschaftliches
Interesse und naturwissenschaftliche Betätigung bei ihm in der Schul-
zeit und darüber hinaus gewesen ist. War nun seine „Begabung"
eine naturwissenschaftliche? Wäre es zweckmäßig gewesen, sie mit
besonderem einseitigen Nachdruck auszubilden? Zweckmäßig, ganz
allgemein, oder in Hinblick auf seinen späteren Beruf?

Diese Fälle führe ich hier an, um auf die tiefsten Schwierigkeiten
ausmerksam zu machen, welche mit dem oft so sorglos gebrauchten
Worte „Begabung" überdeckt werdeu. Zu vermehren sind sie gewiß
leicht — wie ich selbst aus meiner Iugendbekanntschaft denn noch
zwei deutliche Beispiele dieser 4lrt kenne —, und wer sich gewissen-
haft über die eigne Iugend befragt, wird vielleicht HLustger als man
gemeinhin meint, ähnliche Beobachtungen feststellen können. Mir
erscheint zunächst durchaus fraglich, ob man Begabungen überhaupt
nach ihrer stofflichen Richtung einteilen könne und dürfe, mit
andern Worteu: ob es eine Begabung für ein bestimmtes äußeres
Objektgebiet gibt, ob nicht viel eher irgendwelche seelisch-formale
Dispositionen das einzig Feststellbare sind, die sich dann mehr oder
minder leicht an diesem oder auch an jenem Stofs betätigen können.
F. Avenarius betont (a. a. O.), daß er ein wichtiges Nsbentalent bei
sich erst sehr spät entdeckt habe, das „zum Organisieren". Sollten nicht
vielleicht viel öfter Begabungen rein formaler Natur vorliegen, die
sich aus allen Gebieten: Naturwissenschaft oder Technik, Geisteswissen-
schaft oder Kaufmannstätigkeit bewähren würden? Nach dieser Rich-
tung hat K. O. Erdmann in den „PLdagogischen Blättern für Lehrer-

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