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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 9 (1. Februarheft 1913)
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Avenarius, Ferdinand: Was interessiert Europa?
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Rath, Willy: Tanz und Gegenwartkultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0205

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schreckend, ob sie entsetzlich sei, es gibt keinen Weg zur Besserung
des Seienden, als durch sie. Nicht nur für den Starken nicht, auch
für den nicht, der sich stärken will, um aus seinem Ich heraus in die
Welt zu wirken. Al

Tanz und Gegenwartkultur

/-^-vo^-enn der Tanz, der gesellige Tanz, ein zuverlässiger Kultur--
d Hwesser ist — und er ist es sicher in etwas ergiebigerem Sinne
als Ler vielberufene Seifenverbrauch — so sagt auch er: es
steht nicht sonderlich gut um unsrs Kulturherrlichkeit. Er sagt es
zunächft freilich nur von dem faulen Zauber der Großstadtkultur, im
besonderen der Berliner Luxuszivilisation. Allein hieraus erwächst
uns kein starker Trost, da das Berliner Beispiel ja in allen Fragen
des äußeren (und womöglich gar des inneren) Lebens vom ganzen
Reich mit immer noch wachsender Beflissenheit nachgeahmt wird.

Wer den wahrhaft modernen Gesellschaft-Tanz ansieht, muß vor
allem einmal sachlich feststellen, daß er etwas anderes ist als der vor
einem bis zwei Iahrzehnten üblich gewesene. Die Zeiten — sagt das
alte Sprichwort — ändern sich, und wir tun es mit ihnen. Aber in
unsrer unrastigen Gegenwart scheint die Zeit sich so rasch und so
vielfältig zu wandeln, daß wir nicht nach jeder Richtung hin mit ihr
Schritt halten können. Recht rüstige Leute, die bei guter Gelegenheit
sich noch gern einmal austanzen, ohne zu den Allerjüngsten zu ge-
hören — sagen wir: Leute so ums fünfunddreißigste Iahr herum —
müssen sich im „eleganten" Berlin heute mit den einst gelernten Tänzen
vorkommen wie zufällig übriggebliebene Biedermeier. Man lernte da-
mals wohl allgemein Walzer, Polka, Galopp, Rheinländer, Fran?aise,
Lancier, nachträglich vielleicht noch Tirolienne oder Menuett. Heut
ist von alledem eigeutlich nur der Walzer noch nicht aus der feinsn
Mode; doch auch dieser sieghafte deutsche Tanz hat sich verändert. Die
„tonangebende" junge Welt Pflegt das Walzen in kurzen Zwischen-
räumen durch zweischrittige Gehfiguren zu unterbrechen. Ilnd von
dem kunstvollen sechsschrittigen Walzer, den man auch wohl den säch-
sischen nannte, will niemand mehr was wissen. Der zweischrittige
„Boston", der „Ofsizierswalzer", hat sich als allein „möglich" durch-
gesstzt. Die Quadrillen werden ja längst nicht mehr getanzt, sondern
gsgangen. Im Münchner Fasching wird die Francaise gerast, sie
erreicht ihren Höhepunkt damit, daß die Kavaliere einander fest bei den
Händen fassen und sich so zu kleinen Runden vereinigen, und daß dann
die Damen sich auf die verbundenen Männerhände setzsn und rundum
tosen. In braven bürgerlichen Kreisen wird gewiß an manchen Orten,
auch innerhalb Großberlins, bei Vereins- und Familienfesten die alte
Tänzefolge noch einigermaßen aufrechterhalten. Auf Festen darf
eine Quadrille wohl noch nicht fehlen. Bei der „schicken" Iugend der
Gesellschaft aber und bei den niedersten volkstümlichen Tanzvergnü--
gungen (wozu wir auch das allnächtliche Tanzen in den teuersten Ber-
liner Bars und Tanzpalästen rechnen) stehen andere Tänze als die
hergebrachten durchaus im Vordergrund der Beliebtheit. Von ihnen
ist noch zu sprechen.

Gegen eine Veränderung der Tanzmode wird kein vernünftiger

Kunstwart XXVI, A ^
 
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