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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 7 (1. Januarheft 1913)
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Spitteler, Carl: Über die tiefere Bedeutung von Vers und Reim
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Heinrich Federer
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0028

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mus und der Vers und der Reim unnatürlich sind, sondern Laß
die Prosa eine unnatürliche Sprachs ist.

Prosa ist nur eine Konventionalsprache, dienlich für die Verständi--
gung, ein Volapük der Begriffe, ein künstlich gemünztes und ein
schon abgegriffenes Tauschgeld. Wenn ich auf dem Markte einen
Apfel kaufe, wenn ich über den Anterschied von objektiv und sub-
jektiv lehre, ja, dann spreche ich Prosa. Aber was tun unsre Kinder
wenn sie spielen? Sie zählen ihre Spiele in Versen und Reimen ab.
Sind etwa Kinder und Kinderspiele unnatürlich? Rnd wenn wir
gemeinschaftlich durch den Wald wandern, was tnn wir? Wir gehen
im Marschschritt und singen ein Lied im Takt. Ist der Wald, ist
das Wandern, ist das Singen „unnatürlich" ? Ich denke vielmehr:
die täglichen Sorgen, das Schelten über die Zeitläuste, das Zanken mit
den Dienstmädchen sind „unnatürlich". Sobald sich der ganze Mensch
beisammen hat, wenn die Seele sich regt nnd der Mut sich bewegt,
so sucht er nach einem besseren, gesunderen, natürlicheren Ausdruck
seines Lebensgesühls als ihm die Prosa bietet. Die Prosa herrscht ja
nur unter der Bedingung, daß zugnnsten der Geschäfte das Beste im
Menschen unterdrückt und verschwiegen wird. In der Kunst aber will
das Beste im Menschen obenanf und zur Sprache kommen. And
darum spricht die Dichtkunst nicht die Konventionalsprache der Prosa,
sondern die ihr natürliche Sprache, also Rhythmus, Vers und Reim.

Karl Spitteler

Heinrich Federer

mehr Schweizer Prosaiker sich in den letzten zwei Iahrzehnten der
»(großen deutschen Literatnrgemeinschaft anschlossen, um so kritischer
^-Idurften und mnßten wir ihnen begegnen. Prosa ist ja überhaupt
billig geworden. Immer mehr Männer und Franen dünken sich, mit
einiger Lebenskenntnis und etwas Satzbaugcschick wohl auch so viel zu
können wie der oder jener, und je breiter der Unterbau wird, um so höher
steigt die Ebene, wo das wirklich noch Beachtenswerte und notwendig zu
Lesende überhaupt erst anfängt. Ein Prosabuch von reiner dichterischer
Gestaltung und Art scheint eine immer seltnere Seltenheit zu werden.

Auch von dem, was uns aus der Schweiz kam, erreichte nur ab und
Zn einmal ein Buch jene Hochebene; von vielem mußten wir nns sagcn:
das Wesentliche hieran hat uns Keller oder hat uns ein andrer literari-
scher Vorfahr des Verfassers schon gegeben. Außer Spittelers Prosa ge°
hörte nur eine sehr schmale Auslese aus den zahlreichen Werken Zahns,
Heers, Vögtlins, Bernoullis, aus Odermatt, Hügli, Marti, Tavel, Moesch-
Un, Kurz, Schaffner, Huggenberger und etwa Freys „Fungfer von Watten-
wil" auch in die reichsdeutsche Büchcrei. Zur schmalsten aber gesellt sich
jetzt ein neuer Mann, einer, der mit der Kraft seines Könnens und
dem Reichtum seines Schauens mühelos alle Genannten mit Ausnahme
Spittelers überholt und zum ersten Male nicht nur an die Sprache,
Geste und Schweizerart, sondern an Gemüt und Geist des großen
Zürichers, wenn auch nnr von ferne, gemahnt: Heinrich Fedcrer.

O

»Berge und Menschen" heißt das Nomanbuch, mit dem Federer

h Januarheft sysZ
 
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