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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 12 (2. Märzheft 1913)
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Behl, Carl F. W.: Hebbel: von zwei Standpunkten gesehn
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Niebergall, Friedrich: Alte und neue Predigtweise
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0472

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erstehung des Göttlichen in der Welt und seine alsbaldige Himmel--
fahrt. >

Wohl wird stets unter den Wenschen wieder geschehen, was zuvor
geschah und immer wird es dann heißen: „Der Teufel hatt sich
quer vors Licht gestellt Und hetzte uns, da stachen wir drauf los
Und trasen unsere Freunde." Immer wieder wird die große Nacht
der Nibelungen hereinbrechen, Schuldlose und Schuldbefleckte gleicher-
weise vernichtend. Aber wenn nur einmal in tausend Iahren eine
Genoveva leiden kann, wird von ihnen allen die Verdammnis ge--
nommen, und sie alle werden befreit von der Last und dem Fluche
ihres Menschenschicksals: Iudith und Kriemhild, Golo und Sieg--
fried, Kandaules, Herodes und Demetrius.

In dieser Verkündigung, in diesem Evangelium, das in der Geno--
veva kristallklar sich offenbart, aber durch alle seine Schöpfungen
unsichtbar wirkt und webt, liegt der bleibende, man darf sagen:
ewige Wert des Dichters und Ethikers tzebbel. Diesem Hebbel
sollte in den Tagen der Erinnerung vor allem gehuldigt werden.
Wohl verehren wir auch den scharfen und klaren Denker, den Auf--
schürfer heutiger Probleme, den großen deutschen Geistesverwandten
Henrik Ibsens, der Tiefstes der menschlichen Seele bloßlegte und
der Kunst erschloß. Wohl erkennen wir seine Fehler und Schwächen,
sein manchmal verbohrtes Grübeln, das Spielerische seiner Dialektik
und das Gefährliche seiner schroffen Theorien. Aber vorbehaltlos
dürfen wir uns beugen vor seinsr großen tragischen und letzten
Endes doch beseligenden Erkenntnis von der Zweieinigkeit des Mensch--
lichen und des Göttlichen in der Welt. E. F. W. Vehl

Atte und neue Predigtweise

er die Kultur einer Zeit genau beschreiben will, darf an ihrer
^Predigt nicht vorübergehen. Wer aber die Predigt einer Zeit
beschreiben will, darf noch weniger die Einflüsse außer acht
lassen, die ihre Kultur auf sie ausübt. Beide Sätze gelten; denn es
steht mit der Predigt wie mit mancher andern geistigen Wirksamkeit:
teils bildet sie einen Zweig der geistigen Gesamtarbeit, die wir Kultur
nennen, weil sie die natürliche Art der Menschenseele befreien, bilden
und emporheben soll, teils nimmt sie auch wieder an allen großen Ver-
änderungen des gesamten Kulturlebens Anteil. Zwar ist es immerhin
gewagt, Geschichtschreiber einer Bewegung sein zu wollen, die noch
im Fluß ist; aber es ist doch vielleicht für beide Teile, sowohl für
die Freunde der Predigt wie für die der Kultur von Wert, die Fäden
herüber und hinüber zu ziehen. Dabei muß freilich einiges vor-
behalten bleiben: einheitlich und klar ist immer mehr die grundsätz--
liche Theorie als die Praxis selbst auf einem so weitsn Gebiet, wie es
die Predigt einer Zeit ist. Gewinnt die theoretische Auffassung der
Aufgabe ihr Bestes an der Arbeit von Leuten, die, mit dem Ohr an
den Lippen des Zeitgeistes, neue Inhalte in neuen Formen ihren auf-
horchenden Hörern anbieten, so hinkt natürlich die allgemeine
Praxis, die auf kirchlichem Gebiet noch langsamer folgt als auf jedem
andern, um ein volles Iahrzehnt hinterdrein.

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Kunstwart XXVI, s2
 
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