Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1913)
DOI Artikel:
Gjellerup, Karl: Schopenhauer
DOI Artikel:
Brandes, Friedrich: "Der ferne Klang"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0371

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
sie sind aber wesentlich negativer Natur — er schaffte Raum für
eine ethisch-religiöse Lebensanschauung. In seiner positiven Leistung
bleibt er aber bedauerlicherweise in einer Pflichtmoral-Theologie
stecken, die noch sehr stark im Banne des Tradition-Glaubsns steht.
Am grellsten zeigt seine Unzulänglichkeit sich darin, daß die innigste
Ader echten religiösen Lebens, das tiefe Bedürfnis nach Erlösung,
ihm gänzlich verborgen blieb (denn sie spielt in seiner Religions-
philosophie gar keine Rolle) und daß er für das PHLnomen, wel-
ches Schopenhauers Hauptproblem wurde, nicht das geringste Ver-
ständnis hatte. Gestalten wie Buddha, Franz von Assisi, de Rancs
wären für ihn nur Beispiele „einer Art Wahnsinns" — bei dem er
wohl satirisch anerkennen konnte, daß „Methode darin sei" — oder
bestenfalls eine verwerfliche „mystische Schwärmerey".

Erst Schopenhauer ist religiöser Denker; ja vielleicht ist er
der einzige religiöse Denker. KarlGjellerup

^Der ferne Klang"

iese Oper in drei Aufzügen von Franz Schreker wird den
^A^Namen des bisher fast unbekannten Wiener Komponisten schnell

in alle Lande tragen. Denn man hat es hier mit einem der
stärksten Talente nach Wagner uird Bizet zu tun. Er, dessen Dich-
tung und Musik von Wagner nicht beeinflußt sind, ist wagnerischer
als alle bayreuthisierenden Komponisten. Daß er Dichterkomponist
ist, würde an sich nicht viel besagen, erhält aber die höchste Be-
deutung beim „Fernen Klang". Diese Dichtung ist aus dem Geiste
der Musik geboren, und diese Musik konnte zu keiner anderen Hand-
lung geschrieben werden. Das fühlt jeder, der die „Oper" hört und
sieht, selbst wenn sie ihm nicht „gefallen" sollte. „Gefällig" ist sie
nämlich nicht, das muß man dem Dichterkomponisten nachrühmen.
Aber dem Eindrucke der Natur, der Echtheit kann sich niemand
entziehen. Im „Fernen Klang" spricht ein Musikpoet, der sich nur
so und nicht anders äußern kann. Die Wirkung ist wie die der
Natur, nicht wie die einer Komposition. Das erinnert einigermaßen an
„Salome" von Strauß und „Louise" von Charpentier, mit denen aber
das Drama Schrekers nichts weiter gemeinsam hat. Nur im Außer-
lichen fand seine Musik ähnlichen NLHrboden. Da weisen aber die
Fäden auf allgemeine Zeitströmungen, vor allem auf den Impressionis-
mus. Nnd hier zeigt sich's, was das Genie den Anregungen der
Zeit und Nmgebung entnehmen und was es aus ihnen machen
kann. Denn all dies bleibt etwas Außerliches: in den Händen
der Kompositeure Formalismus für die Mode des Tages. Einzig
der Künstler, wenn wir den so nenuen, der aus innerem Drange
und sehnsüchtiger Not schaffen muß, gestaltet mit solchen Mitteln,
seien sie von sonstwem gegeben, die Illusion des Lebens. Die Mittel
sind nur Voraussetzung: die hohe Kunst ruht auf dem klaren Auge
und der reinen Seele des vom grauenvollen Zwiespalt des Lebens
Gepeinigten, der verzweifeln muß oder sich durch gestaltendes Ge-
bären befreien kann. Daher die „ungefälligen", „entsetzlichen" Vor-
würfe bei den Größten: „Odipus", „Die Räuber", „Faust", „Iu-

s. Märzheft W3 30j
 
Annotationen