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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

DOI issue:
Heft 12 (2. Märzheft 1913)
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Niebergall, Friedrich: Alte und neue Predigtweise
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0478

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schinen und der wirtschaftlichen KLmpfe zu durchdringen mit dem Geist
des Gottes Iesu, der ein vorwärtsdrängender und helfender Gott ist,
macht er sich zur Aufgabe. Ganz frei ist seine Form, modern Sprache
und Anschauungsstoffe. Den größten Erfolg haben die Predigten
von Geyer und Rittelmeyer „Gott und die Seele" und „Leben
aus Gott". Ihre Note ist vor allem die rückhaltlose Darbietung des
eignen Innern; der Welt um sie her mit ihren Problemen und Lebens-
schwierigkeiten bieten sie teils einfache praktische moderne Lebens-
kunst, teils tiefe Eckehartsche Mystik. In immer nsuen Weisen, ohne
strengen Gedankengang, mit vielen Erläuterungen, Erinnerungen und
Vergleichen halten sie den fahrigen modernen Menschen fest und
schaffen im einzelnen das neue Christentum, das dann der Dogmatiker
und Lthiker von ihnen ablesen kann. Baumgarten wirft in
seinen „Iesuspredigten" und in der Sammlung „Altes und Neues
aus dem Schatz des Psalters" die Wucht einer mit Bibelgeist und
mit modernem Weltsinn gesättigten Persönlichkeit in diese suchende und
ringende Zeit hinein; bald hilft er Gedankenfragen, bald soziale Auf-
gaben lösen. Voll und stark rauschen seine rednerischen Perioden da-
hin. Ahnlich greift die Predigt von Ragaz in „Dein Reich komme"
in die Gegenwart hinein; starke Töns voll Glaubens an das Reich
Gottes, das kommen muß, um die sozialen Dinge zu bessern, sendet
er oft in hohem, geradezu prophetischem Schwung aus, und sie finden
die Seele vieler Gebildeten und auch Arbeiter. Einen ganz neuen
Typus religiöser Erbauungsrede hat Friedrich Naumann be-
gründet, indem er in kristallklarer Sprache und mit hohem dichterischen
Gefühl die Verbindung von Bibelgeist und modernem Seelen- und
Arbeitsleben zum Ausdruck brachte, die für seine ganze Persön-
lichkeit bezeichnend ist. G. Traub hat diesen Typus weiter ent-
wickelt. Seine Hilfe-Andachten sind gesammelt unter dem Titel „Aus
suchender Seele". Auch Traub, gleichmäßig durchdrungen von Iesus-
geist und dem stolzen Sinn für diese neue Welt, weiß mit uner-
bittlichem Wahrheitsernst und Wirklichkeitssinn, mit allen Mitteln
psychologischer Analyse dem Geist dieser Zeit ins einzelne nachzu-
spüren und das Evangelium aus seiner alten patriarchalisch-agrari-
schen Forni in modernes Industriegedankengut zu überführen. Dabei
ist die Schönheit seiner Sprache die eines modernen Baus: keine
Schnörkel, keine Stimmungmacherei, sondern alles knapp, gehalten
von innen nach außen, voll innerer Wahrheit und Kraft. Vielleicht
werden diese Andachten einem spätern Geschichtschreiber von Wert
sein, um ihm zu zeigen, wie die moderne Kultur, die so wahr-
haftig in einem Warenhaus oder Bahnhof spricht, die in unserm
Sinn für große wahrhaftige Einfachheit sich kundtut, auch in Pre-
dichten und Andachten ihren Ausdruck sand, um den alten und im-
mer neuen Bibel- und Christusgeist einer neuen Zeit zuzuführen, die
ihm ebenso ihre Form gibt, wie sie seiner noch selber bedarf.

Friedrich Aiebergall

39s Kunstwarl XXVI, f2
 
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