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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 7 (1. Januarheft 1913)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0060

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Hügel, dann Alpweiden, dami graue Felsen mit weißen Schneeschärpen,
urid endlich das letzte und beste von allem, den urblauen Gebirgshimmel
s iiber sich, und als Lmil alle diese Gesichter sah, die beim Singeu etwas
s Liebes dachten und etwas Inniges bei sich trugen, darunter die Heb-
! amme mit unaufhörlichem Kindchengekiiß, den Bergknöpfel mit dem un-
sterblichen tzolz im Mund, den Lubäkler und Ueli, die mit einer wahren
Wonne aufs Dorf und seine Berge schauten, und vor allem auch die
! vorsingende Iungfer, deren Augen lachten und sicher auch ein liebes

Geheimnis bargen: da fühlte sich Lmil wie noch gar nie in seinem Leben
§ in seiner kühlen Verstandesart mit dem fast eingeschläferten Herzen wie
s von allen Seiten fremd und abgestoßen, und packte tzeinzen, der sich nun gar
auch noch mil Singen und Wundern an diese gefühlvollen Leute festkleben
^ wollte, unwillig am Arm: „Du gerührte Seele! He, nimm das Zeug
! zusammen, wir sind ja im Dorf!"

Aeli half zutunlich mit. „Dort ist die Wirtschaft, Inschenier!" Er

! zeigte auf ein stattliches Haus mit geschweiftem Dach und einer vielzackigen,

! vergoldeten Krone über dem niedrigen Tor. Man suhr durch die Dorf-
straße hinauf, an der Kirche, am Pfarrhaus vorbei. Daniel Munder

nickte seiner Frau zum Fenster hinauf und dachte wie immer an dieser
Stelle: Wic schade, datz das Bahnhöflein nicht hier, sondern noch hundert
Schritte weiter liegt! Man könnte unterweilen fast zwei Kapitel Matthäi
lesen oder eine Eröffnungsrede für den Großen Rat studieren. — Abrigens
wollen wir den Ingenieur Sonntags zu Tische laden. Er scheint ein sehr
distinguierter Mensch zu sein. —

Müd und verschlagen von diesem holperigsten aller Bähnchen ließ sich
Emil sogleich die zwei grün tapezierten, hübschen Kammern Berts einrich-
ten. Lr sah auf den großen, nur von einigen Kinderstimmen und wenigen
Schritten belebten Dorfplatz hinaus. Die Fenster der jenseitigeu herrischen
Häuser brannten in der Abendsonne. Wie still! And doch war das also
das Dorf dieses Broller, dieses Brandstifters Bastian, dieser wilden, kiuder-
gebärenden Iungfer. Hier hatte Bert gehaust und dort hinten ging's gegen
den Absomer hinauf. And da, da geht ja die Vorsängerin über den Platz;
die so seltsam: Sonne! rufen kann. „Diese Iungfer, dicse Iungfer!" lispelte er.

„Was sagt Ihr?« wunderte sich Heinz allmächtig. Er hatte genau
verstanden.

Emil sah ihn barsch an, aber meinte dann gegen alle Erwartung
milde: „Man jodelt hier sehr schön! Es hat mir gefallcn!"

M. Buchercr, Frühling

f. Ianuarheft l9l3 ^
 
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