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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 9 (1. Februarheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0255

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solcheir Gedanken aufgelegt bekom--
men hat, ich werde nrich ihnen nicht
entziehen.

Es handelt sich um nichts mehr
und nichts weniger als um Grün-
dung einer Zentrale für leih-
weise abzugebende Weih-
nachtsgeschenke. Der Kenner
ahnt die ungeheuern Perspektiven.
Mit einem Schlag ist hier einem
Abelstande abgeholfen, der seit
langem als drückend empfunden
wurde. Gerade zur Weihnachtszeit
machte es sich bisher unangenehm
bemerkbar, daß die Geschäftsleute
eine ausgesprochene Lendenz zum
Barverkehr zeigten. Es war also für
jede feine Familie, die Gardeoffiziere,
Assessoren der Reichsämter und
Kammergerichtsreferendare bei sich
unterm Christbaum sehen wollte,
eine unabweisbare Aufgabe, für
teures Geld den Bestand von Ge-
schenken zu beschaffen, der der sozia-
len Stellung und der ersten Etage
mit Vakuumreiniger, Lresor und
Dunkelkammer entsprach. Man
ahnt wohl nur undeutlich, welche
Summe ernster Sorgen, durchwach-
ter Nächte und prolongierter Wech-
sel in all den schönen Sachen steckte,
die das Entzücken der verwöhnten
Gäste am Weihnachtsabend bilde-
ten. Ein erschütterndes Gemälde
sozialen Elends, das nur unvoll-
kommen von den Glühbirnen des
Christbaums uud den Brillanten der
Hausfrau erhellt wurde.

Dies alles beseitigt meine An-
regung mit der Wurzel. Es wird
fortan möglich sein, das schönste
Fest im' Iahr ohne die Wolken
pekuniärer Not zu feiern. Die
zu errichtende Zentrale sorgt für
alles und verteilt alles. Vom Auto
bis zum Armband, vom Hofball-
Diadem bis zu drei Dutzend Brüsse-
ler Spitzenhemden. Es wird Assor-
timents geben für jede Stufe der
sozialen Leiter. Man wird nur an-

rufen müssen, etwa so: „Bitte eine
Christbescherung für Familie mit
drei Löchtern zwischen siebzehn und
einundzwanzig. Wegen kavalleristi-
schen Umgangs ein Reitpferd dabei.
Nennwert 50 000.—. Aber bitte den
Betrag für die Nsssenger-boys nach
s. Ianuar einziehen!" Oder: „Kom-
pletten Weihnachtstisch für streb-
same Spekulantenfamilie mit zehn-
jährigem Sohn. Poloponnh und
Fischbestecke (mit Gebrauchsanwei-
sung)." Wenn die Familie erwar-
tungsvoll das Bescherungszimmer
betritt, wird sie jubelnd unterm
Lichterbaum all das finden, was zu
einem hochherrschaftlichen Weih-
nachten gehört, sie wird die Freude
der Aberraschung in vollstem
Maße haben, und ergraute Terrain-
händler und ihre behäbigen Gattin-
nen werden wie Kinder raten, wozu
das und jenes wohl zu verwenden
sei, während der Christkind in Ge°
stalt eines Eilboten gerade znr Tür
hinauswischt.

Eines wird natürlich notwendig
sein und darf von den Abonnenten
der Zentrale nicht als Belästigung
empfunden werden: solange die leih-
weise abgegebenen Geschenke in den
betreffenden Familienkreisen sich be°
finden und von deren Gästen be-
wundert werden, müssen diese sich
die Anwesenheit eines Beamten der
Zentrale gefallen lassen. Natürlich
wird hier jede Schärfe vermieden
werden. Die Beamten werden, so°
weit das irgendwie geht, dem
Milieu, in das sie geschickt werden,
aufs feiuste eingepaßt und wirken
lediglich als zwar neue, aber unbe-
dingt passende Gäste. So werden
in Familien der Finanz nur Lent-
nants a. D., in Familien der höhe-
ren Beamtenschaft nur Herren von
gutem Adel geschickt werden. Erst
kürzlich aus dem Osten zugezogenen
Familien werden, ohne Aufgeld,
versierte Kenner des feinen Tons

20H Kunstwart XXVI, 9
 
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