Iahrg.26 Zweites Februarheft 1913 Heft 10
Deutschtum in Amerika
seinem Buche „Der deutsche Gedanke in der Welt" gibt Paul
^CRohrbach die Vereinigten Staaten als einen verlorenen Posten
^Fauf. Er glaubt offenbar, daß das geistige Großdeutschland sich
eher über Asien und Afrika ausdehnen könnte, als über ein Land, wo
heute ungefähr fb Millionen Deutsche wohnen. Es fragt sich, ob dieser
Pessimismus angesichts der gegenwärtigen Sachlage gerechtfertigt ist.
Noch nie zuvor bestand ein solches Selbstbewußtsein unter den Deutsch-
Amerikanern, ein solcher Drang, sich zusammenzuschließen, die eigene
Art zu behaupten und sie der Nmgebung aufzuprägen, wie heute. Nie
ist auch so viel über Wesen und Aufgabe des Deutschtums in Amerika
gesprochen und geschrieben worden. Ist diese Bewegung ein letztes Auf--
flackern verlöschenden Lebens oder beginnt der deutsche Gedanke in
Amerika jetzt erst, kräftig zu erstehen?
Vor einigen Iahren wurden durch ein Preisausschreiben gleichzeitig
drei umfangreiche Werke über diese Frage hervorgerufen* Alle drei
sind mehr fleißig kompilierte Chroniken als begrifflich dnrchdachte
Geschichtswerke. Immerhin, sie hatten ein großes Verdienst: dem ver-
bohrtesten Nativisten angelsächsischer Rasse, wie dem rückgratlosesten
„Deutschen" war klargemacht, daß die Deutschen dieses Landes keine
fremden Eindringlinge sind, sondern amerikanische Siedler und Bür-
ger mit vollgültigen Ansprüchen auf Gleichberechtigung. Sie haben
ihre Bürgerpflichten nicht nur ordnungsgemäß erfüllt, sondern sie
haben sich in Krieg und Frieden bei den wesentlichsten Kulturauf-
gaben — Politik im engeren Sinn vielleicht ausgenommen — in so
hohem Maße ausgezeichnet, daß ohne ihre Mitarbeit die Union in
ihrer heutigen Gestalt gar nicht denkbar wäre.
Das Organisationsgenie Steubens hat das tzeer geschaffen, mit
dem Washington die Freiheit erkämpfte. Im Sezessionskrieg haben
deutsche Bürger ganze Staaten der Einheitsidee erhalten, haben
deutsche Soldaten und Offiziere entscheidende Siege erfochten. Die Er-
schließung des Westens ist großenteils das Werk deutscher Bauern.
In Gewerbe, tzandel, Technik und Wissenschaft haben Deutsche von
jeher in erster Reihe gestanden oder auch allein die Führung gehabt.
Ist das alles wahr — und jene Werke liefern den Beweis — so
müßten die Deutsch-Amerikaner erstens im öffentlichen Leben eine
ganz besonders geachtete Stellung einnehmen, auf ihre Leistungen stolz
sein und sich neben den angelsächsischen Vettern als gleichwertige
Herren fühlen; sie müßten zweitens bei ihrer großen Zahl ein Kultur-
leben entwickelt haben, das zwar durch die Amgebung modifiziert,
* Georg von Bosse, Das deutsche Element in den Vereinigten
Staaten. Stuttgart G08. Rndolf Cronau, Drei Iahrhunderte deut-
schen Lebens in Amerika. Berlin jstOA. Alb ert B. Faust, Das Deutsch-
tum in den Vereinigten Staaten. Leipzig ILI2; zuerst in englischer
Sprache jstOH in Boston erschienen.
2. Februarheft Gi5
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Deutschtum in Amerika
seinem Buche „Der deutsche Gedanke in der Welt" gibt Paul
^CRohrbach die Vereinigten Staaten als einen verlorenen Posten
^Fauf. Er glaubt offenbar, daß das geistige Großdeutschland sich
eher über Asien und Afrika ausdehnen könnte, als über ein Land, wo
heute ungefähr fb Millionen Deutsche wohnen. Es fragt sich, ob dieser
Pessimismus angesichts der gegenwärtigen Sachlage gerechtfertigt ist.
Noch nie zuvor bestand ein solches Selbstbewußtsein unter den Deutsch-
Amerikanern, ein solcher Drang, sich zusammenzuschließen, die eigene
Art zu behaupten und sie der Nmgebung aufzuprägen, wie heute. Nie
ist auch so viel über Wesen und Aufgabe des Deutschtums in Amerika
gesprochen und geschrieben worden. Ist diese Bewegung ein letztes Auf--
flackern verlöschenden Lebens oder beginnt der deutsche Gedanke in
Amerika jetzt erst, kräftig zu erstehen?
Vor einigen Iahren wurden durch ein Preisausschreiben gleichzeitig
drei umfangreiche Werke über diese Frage hervorgerufen* Alle drei
sind mehr fleißig kompilierte Chroniken als begrifflich dnrchdachte
Geschichtswerke. Immerhin, sie hatten ein großes Verdienst: dem ver-
bohrtesten Nativisten angelsächsischer Rasse, wie dem rückgratlosesten
„Deutschen" war klargemacht, daß die Deutschen dieses Landes keine
fremden Eindringlinge sind, sondern amerikanische Siedler und Bür-
ger mit vollgültigen Ansprüchen auf Gleichberechtigung. Sie haben
ihre Bürgerpflichten nicht nur ordnungsgemäß erfüllt, sondern sie
haben sich in Krieg und Frieden bei den wesentlichsten Kulturauf-
gaben — Politik im engeren Sinn vielleicht ausgenommen — in so
hohem Maße ausgezeichnet, daß ohne ihre Mitarbeit die Union in
ihrer heutigen Gestalt gar nicht denkbar wäre.
Das Organisationsgenie Steubens hat das tzeer geschaffen, mit
dem Washington die Freiheit erkämpfte. Im Sezessionskrieg haben
deutsche Bürger ganze Staaten der Einheitsidee erhalten, haben
deutsche Soldaten und Offiziere entscheidende Siege erfochten. Die Er-
schließung des Westens ist großenteils das Werk deutscher Bauern.
In Gewerbe, tzandel, Technik und Wissenschaft haben Deutsche von
jeher in erster Reihe gestanden oder auch allein die Führung gehabt.
Ist das alles wahr — und jene Werke liefern den Beweis — so
müßten die Deutsch-Amerikaner erstens im öffentlichen Leben eine
ganz besonders geachtete Stellung einnehmen, auf ihre Leistungen stolz
sein und sich neben den angelsächsischen Vettern als gleichwertige
Herren fühlen; sie müßten zweitens bei ihrer großen Zahl ein Kultur-
leben entwickelt haben, das zwar durch die Amgebung modifiziert,
* Georg von Bosse, Das deutsche Element in den Vereinigten
Staaten. Stuttgart G08. Rndolf Cronau, Drei Iahrhunderte deut-
schen Lebens in Amerika. Berlin jstOA. Alb ert B. Faust, Das Deutsch-
tum in den Vereinigten Staaten. Leipzig ILI2; zuerst in englischer
Sprache jstOH in Boston erschienen.
2. Februarheft Gi5
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