und Neuklassik, her mit dem Expressio-
nismus! So war der hoffnungsvolle
Lrieb im Haudumdrehen zu mner Mode
entwürdigt und durch Versuche an völ-
lig untauglichen Objekten — widerstre-
benden Werken einer andern Gefnhls--
und Gestaltungsschicht, unreifen Früch-
ten eines mißwachsenen literarifchen
Klüngeltums — zur Lächerlichkeit ge-
stempelt.
Berlin insbesondere trug ein Nuh-
mesblatt im Kranze, das es sich, hätte
man denken sollen, nie und nirgend
würde rauben lassen, schon weil es sich
als ein ursprüngliches Gewächs des
preußischen Bodens zeigte. Das war
das Ensemble, das zuchtvoll aufeinan-
der abgestimmte Zusammenspiel auser-
l'esener Darstellerkräfte, wie es , von
Brahm zur Meisterschaft ausgebildet,
aber auch von andern ernsten Bühnen
aufgenommen worden war. Knapp ein
Iahrzehnt, und man ließ es verwelken,
wie Staub im Winde zerblasen. Der
unselige Schauspieleraustausch kam auf
und führte bald dahin, daß keiner mehr
wußte, welcher Bühne dieser oder jener
denn eigentlich verpflichtet sei, mit wem
er Zusammengehöre; das Starsystem
reckte sich wieder aus dem Grabe her-
vor; das Kino mit seiner zerstreuenden,
verflachenden und vergröbernden Wir«
kung machte den Grnst der Proben zur
Schimäre. Ginen tröstlichen Augenblick
lang schien es, als werde die Macht des
Spielleiters, die Reinhardt zur höchsten
Würde gehoben hatte, dem Verfall Gin-
halt gebieten. Äber auch der Spiel-
leiter verlor bald die Lust, in der Er-
scheinungen Flucht den ruhenden Pol
zu bilden. Der Schauspielerwanderung
folgte die Regisseurwanderung, und
diese Gastspielerei mußte noch ver-
derblicher wirken, verderblicher sogar
als das ,, Vieltheat ersh ste m" der Direk-
toren, die größtenteils schon vorher
zu bloßen Geschäftsmännern geworden
waren.
Zukurzsichtigen Geschäftsleu-
ten, die von der Hand in den Mund
lebten und Naubbau am Augenblick
trieben. Sonst hätte man nun und
nimmer die Ansumme mühsam erwor-
benen und kostbar ausgefchmückten
Dheatergutes verkümmern und verkrü«
meln lassen, wie es z. B. Reinhardt
— um noch einmal seinen stolzen Na-
men zu nennen —, doch auch andre
Berliner Bühnenleiter in klassischeu und
modernen Aufführungen zusammenge-
tragen hatten. Aber damals, in einer
Zeit blühendster Geschäfte, aber auch
blühendsLen Äbermuts, war auf den
„führenden" Bühnen kein Wort fo ver-
pönt wie Haushalt ,oder Wirtschaft-
lichkeit. Man war, käum daß das erste
aufgetragen, immer fchon beim näch-
sten Gericht; keine Inszenierung, mochte
sie noch so gediegen und prachtvoll sein,
blieb fest im Spielplan; aus den Fetzen
von gestern schneiderte man flugs ein
neues Gewand für morgen. Denrr nicht
auf die Sache, nicht aus das erworbene
Gut, sondern auf den Auhm und Aa-
men der Person, des Leiters kam es
an, und der mußte an jedem Morgen,
den Gott werden ließ, aufs neue mit
einer neuen Negie- und Inszenierungs-
tat blank geputzt werden. Ein unge-
heurer Aufwand ist auf diese Weise
vertan worden, und die Folge war- daß
sich Bühnen, die einst berühmt waren,
wegen ihrer glanz- und stilvollen Aus-
stattung, auch bei Repräsentationsstük»
ken zu dürftigem Plunder flüchten oder
sich dem banalen Zugstück in die Arme
werfen mußten.
Dies alles hat das trübe Bild des
Berliner Lheaterlebens heraufgeführt,
vor dem wir Heute stehen: Stillstand
und Stockung auf der ganzen Linie,
Mangel an Wagemut und Rnterneh-
mungslust, Verdorren des Idealismus,
öde Geschäftshuberei. Das wird kaum
noch verhüllt. Selbst die Programme
haben sich die Bühnen, ob alte oder neue,
schon abgewöhnt. Man würde sie ihnen
ja doch nicht mehr glauben. Aus dem
tzebbeltheater ist längst ein Lheater in
der Königgrätzer SLraße geworden, die
„Dribüne", einst zum Podium der
neuen aktivistischen Dramatik erkoren,
ist sLillschweigend in die Hände unge«
Hemmten AnLernehmertums geglitten,
und wenn sich, wie zu Beginn dieser
neuen Spielzeit, eine „Goethebühne^
auftut, so denkt niemand mehr daran,
aus ihrem Aamen eine Verpflichtung
für ihren Spielplan und ihre Kräfte
herzuleiten — es müßte deun sein, das
Haus an der Klosterstraße schriebe
sich als Leitspruch Goethes scherzhafte
Maxime aus dem Aachlaß auf den
Giebel: „Laßt uns doch vielseitig sein!
nismus! So war der hoffnungsvolle
Lrieb im Haudumdrehen zu mner Mode
entwürdigt und durch Versuche an völ-
lig untauglichen Objekten — widerstre-
benden Werken einer andern Gefnhls--
und Gestaltungsschicht, unreifen Früch-
ten eines mißwachsenen literarifchen
Klüngeltums — zur Lächerlichkeit ge-
stempelt.
Berlin insbesondere trug ein Nuh-
mesblatt im Kranze, das es sich, hätte
man denken sollen, nie und nirgend
würde rauben lassen, schon weil es sich
als ein ursprüngliches Gewächs des
preußischen Bodens zeigte. Das war
das Ensemble, das zuchtvoll aufeinan-
der abgestimmte Zusammenspiel auser-
l'esener Darstellerkräfte, wie es , von
Brahm zur Meisterschaft ausgebildet,
aber auch von andern ernsten Bühnen
aufgenommen worden war. Knapp ein
Iahrzehnt, und man ließ es verwelken,
wie Staub im Winde zerblasen. Der
unselige Schauspieleraustausch kam auf
und führte bald dahin, daß keiner mehr
wußte, welcher Bühne dieser oder jener
denn eigentlich verpflichtet sei, mit wem
er Zusammengehöre; das Starsystem
reckte sich wieder aus dem Grabe her-
vor; das Kino mit seiner zerstreuenden,
verflachenden und vergröbernden Wir«
kung machte den Grnst der Proben zur
Schimäre. Ginen tröstlichen Augenblick
lang schien es, als werde die Macht des
Spielleiters, die Reinhardt zur höchsten
Würde gehoben hatte, dem Verfall Gin-
halt gebieten. Äber auch der Spiel-
leiter verlor bald die Lust, in der Er-
scheinungen Flucht den ruhenden Pol
zu bilden. Der Schauspielerwanderung
folgte die Regisseurwanderung, und
diese Gastspielerei mußte noch ver-
derblicher wirken, verderblicher sogar
als das ,, Vieltheat ersh ste m" der Direk-
toren, die größtenteils schon vorher
zu bloßen Geschäftsmännern geworden
waren.
Zukurzsichtigen Geschäftsleu-
ten, die von der Hand in den Mund
lebten und Naubbau am Augenblick
trieben. Sonst hätte man nun und
nimmer die Ansumme mühsam erwor-
benen und kostbar ausgefchmückten
Dheatergutes verkümmern und verkrü«
meln lassen, wie es z. B. Reinhardt
— um noch einmal seinen stolzen Na-
men zu nennen —, doch auch andre
Berliner Bühnenleiter in klassischeu und
modernen Aufführungen zusammenge-
tragen hatten. Aber damals, in einer
Zeit blühendster Geschäfte, aber auch
blühendsLen Äbermuts, war auf den
„führenden" Bühnen kein Wort fo ver-
pönt wie Haushalt ,oder Wirtschaft-
lichkeit. Man war, käum daß das erste
aufgetragen, immer fchon beim näch-
sten Gericht; keine Inszenierung, mochte
sie noch so gediegen und prachtvoll sein,
blieb fest im Spielplan; aus den Fetzen
von gestern schneiderte man flugs ein
neues Gewand für morgen. Denrr nicht
auf die Sache, nicht aus das erworbene
Gut, sondern auf den Auhm und Aa-
men der Person, des Leiters kam es
an, und der mußte an jedem Morgen,
den Gott werden ließ, aufs neue mit
einer neuen Negie- und Inszenierungs-
tat blank geputzt werden. Ein unge-
heurer Aufwand ist auf diese Weise
vertan worden, und die Folge war- daß
sich Bühnen, die einst berühmt waren,
wegen ihrer glanz- und stilvollen Aus-
stattung, auch bei Repräsentationsstük»
ken zu dürftigem Plunder flüchten oder
sich dem banalen Zugstück in die Arme
werfen mußten.
Dies alles hat das trübe Bild des
Berliner Lheaterlebens heraufgeführt,
vor dem wir Heute stehen: Stillstand
und Stockung auf der ganzen Linie,
Mangel an Wagemut und Rnterneh-
mungslust, Verdorren des Idealismus,
öde Geschäftshuberei. Das wird kaum
noch verhüllt. Selbst die Programme
haben sich die Bühnen, ob alte oder neue,
schon abgewöhnt. Man würde sie ihnen
ja doch nicht mehr glauben. Aus dem
tzebbeltheater ist längst ein Lheater in
der Königgrätzer SLraße geworden, die
„Dribüne", einst zum Podium der
neuen aktivistischen Dramatik erkoren,
ist sLillschweigend in die Hände unge«
Hemmten AnLernehmertums geglitten,
und wenn sich, wie zu Beginn dieser
neuen Spielzeit, eine „Goethebühne^
auftut, so denkt niemand mehr daran,
aus ihrem Aamen eine Verpflichtung
für ihren Spielplan und ihre Kräfte
herzuleiten — es müßte deun sein, das
Haus an der Klosterstraße schriebe
sich als Leitspruch Goethes scherzhafte
Maxime aus dem Aachlaß auf den
Giebel: „Laßt uns doch vielseitig sein!