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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 2 (Novemberheft 1923)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0145

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Anb nun zur Sachel Zeitungen und
Zeitschriften von Rang haben früher
den Ehrgeiz gehabt, alles überblicken
zu wollen, was für ihre Leser, für ihre
Zwecke etwa in Betracht kommen könnte,
und das daraus auszuwählen,
was sie wirklich besprachen. So habe
ich etwa sechs bis zehn Bücher für ein
Kunstwart-Heft gelesen, aber nur eins
davon besprochen — die übrigen wur-
den unbesprochen weggelegt. Die nach
außen hin nicht sichtbare Nebenarbeit,
fünf oder neun Bücher ohne spätere
Besprechung zu lesen, machte sich schlecht
und recht durch das Honorar für die
eine Besprechung bezahlt.

Diese Lage sind dahin. Rnbezahlte,
„schlecht und recht bezahlte" Nebenar-
beit kann kein Mensch mehr leisten, am
wenigsten ein freier Geistesarbeiter. Ls
ist schon viel, wenn eine Redaktion noch
das ihr zuströmende Waterial flüchtig
sichtet und mit einer Art „Intuition"
das für ihre Leser Wichtige heraussischt
(Material, Aberblicke, „Nebenarbeit",
nicht-freiwillig-Zuströmendes in größe-
rem Amfang zu beschaffen, ist nur
noch wenigen möglichl). Aber selbst
von dem, was die Redaktion für wich-
tig genug hält, um es öffentlich be-
sprechen lassen zu wollen, von die-
sem gesiebten Waterial kann sie nur
einen Bruchteil besprechen lassen. Die
Kunstwart-Leitung hat und kennt ge-
genwärtig etwa fünfzig bis sechzig Bü-
cher — von anderen Gegenständen der
Besprechung, als da sind: akute Fragen
des öffentlichen Lebens, Ausstellungen,
Noten, Theateraufführungen usw. ganz
zu schweigen —die sie wohl gern im
Kunstwart besprochen sähe, aber schwer-
lich je alle besprechen lassen kann. Von
andern Blättern wissen wir dasselbe.
Warum? Sehr einfachl Der Raum ist
beschränkt. Das Honorarbudget auch.
Honorar wird bezahlt und mujz bezahlt
werden nach der Länge der Beiträgg,
Wollen wir Besprechungen bringen, so
müssen sie kurz sein (das schadet sach-
lich gar nichtsl). Wenn sie kurz sind,
entfällt auf sie ein sehr geringes Hono-
rar für den Rezensenten. Für so ge-
ringes Honorar kann kein Mensch mehr
einen zwLibändigen Roman oder Speng-
lers Geschichtswerk oder sonst ein ernstes
Buch lesen, durcharbeiten und rezen-
sieren. Das ist eine Arbeit von etwa

zehn bis vierzehn Lagen — ein „hohes"
Honorar würde, sagen wir, zweihun«
dert Mark betragen. Der Widerspruch
ist offenbar!

Es ist das Ende der freien
Kritik. Noch leicht verschleiert da-
durch, daß einige festbezahlte Redak-
teure Kritiken schreiben und einige Re-
zensier-Virtuosen dasselbe Buch in sechs
oder acht Blättern besprechen und also
sechs- bis achtmal Honorar erhalten.
Auch das wird allmählich schwieriger
und schwieriger. In dieser Lage sind
natürlich Angebote von Rezensions-
Exemplaren gegen ),schriftliche Zusage"
für Redaktionen ganz belanglos. Wer
wird denn auch noch Katzen im Sack
übernehmen, wenn er ohnehin nicht
weiß, was er denn mit seinen vielen
Katzen tun soll —?

Es gibt im Rahmen des Hergebrach-
ten keinen Ausweg aus dieser Lage,
Abdruck von „Waschzetteln" (vom Ver-
leger selber geschriebener Anzeigen) oder
direkte Bezahlung des Rezensenten durch
den Verleger — auch Bestechung ge-
nannt — kommen nicht in Betracht,
Lin neuartiger Ausweg scheint mir
möglich: eine L r e u h a n d - K a s s e.
Wan denke sich dies so: die Verleger —
etwa durch den Deutschen Verleger-
Verein — bringen Geld auf zu Handen
eines Notars. Das Geld ist auf allge-
meinen Reklameaufwand zu buchen. Es
ist bestimmt, als Honorar für Buchbe-
sprechungen verausgabt zu werden.
Eine aus Verlegern, Redaktionen und
Schriftstellern zusammengesetzte Kom-
mission setzt fest, wie hoch das Zeilen-
honorar ist und welche Zeitungen und
Zeitschriften Anspruch auf Rezension-
Vergütung haben. Diese Zeitungen und
Zeitschriften bringen nun wieder Rezen-
sionen und senden Belege davon an den
Treuhänder. Dieser bezahlt das Hono-
rar direkt an die Verfasser. Bei solchem
Verfahren ist Bestechung ausgeschlossen,
da nicht Gunst oder Angunst höher
oder niedriger bezahlt werden, sondern
die Rezension schlechthin, gleichviel wie
sie lautet. Die Freiheit der Redaktio-
nen und der Rezensenten ist gewahrt.
Mißbrauch ist möglich, vor allem durch
Anhäufen von Rezensionen in einem
Blatt. Doch kann man dem durch Be«
grenzen der Zahl begegnen. Gegen Zei-
lenschinderei werden sich die Redaktio-
 
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