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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1923)
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Hoffmann, Paul Theodor: Philosophie des Theaters
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0269

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reus und dern pythischen Verkünder. An die Stelle des Nereus trat Harry
Piel, an die der Diana Henny Porten.

Welch ein Wandel! Wie verachtet waren bei allen Kulturvölkern die
Künstler der Bühne! Das indische Wort Nata bedeutet „Schauspieler", zu^-
gleich aber „liederlicher, schlechter Wensch". Aber überall ist es so: je we-
niger die Kirche gilt, desto mehr das Theater, je weniger der Priester, desto
mehr der Bühnenkünstler. Es ist begreiflich, daß die Macht, die das Heft
in der Hand hatte, ihren kommenden Rivalen mit Verachtung und Anter-
drückung begegnen mußte. (Noch heute gilt in strenggläubigen tzäusern
alter Pfarrer« oder Patrizierfamilien Theaterbesuch für unschicklich. Björn«
sons „Fischermädchen" behandelt einen Konflikt, der daraus hervorwächst).
Darum war der Schauspieler in kirchlich besonders sicheren Zeiten immer an^-
stößig und nicht gesellschaftsfähig. tzernach wird es gerade umgekehrt: in
der guten Gesellschaft spielen die Pastoren eine immer geringere Rolle,
die Bühnenkünstler um so mehr.

^er Menschheit Würde ist und bleibt gleichwohl nur den nach den höchsten
^und reinsten Zielen strebenden Künstlern in die tzand gegeben. Den
Bühnenkünstlern und Filmkünstlern schlechthin dagegen nur der Spiegel
des Antlitzes der Menschheit. Aber auch ihn gilt es zu bewahren; denn
schließlich zeigt er Leiden und Anvollkommenheiten darum, daß zuletzt ein!-
mal aus ihm das geläuterte Gesicht des Ewig-Menschlichen aufleuchte.

P. Th. tzoffmann

Anmerkung: Sehr gern haben wir diese Philosophie des Lheaters unsern
Lesern zugänglich gemacht. Es ist zuweilen fruchtbar und notwendig, das Einende
zwischen den großen Lebensmächten hervorzuheben, etwa zwischen Kunst und
Religion. Auf den überzeitlichen „Sinn" der Hervorbringungen beider fällt
damit Licht. Doch scheint es anch notwendig, daneben eine andere, das Getrennte
als getrennt darbietende Auffassung geltend zu machen. Wenn wir nicht be-
streiten, daß Theater und Drama Historisch aus religiösen Motiven wuchsen und
ihre Form gewannen, so müssen wir doch eingedenk sein der Tatsache, die Rathe-
nau „Substitution des Grundes" nannte. ^ Einer Form, einem Mittel, einem
Komplex von Veranstaltungen, wie dem Drama und dem Theater, kann allmäh-
lich die Grundkraft entschwinden, aus der sie ursprünglich sich nährten. Dann
entsteht — theoretisch — die.Möglichkeit, daß sie absterben. Oder: eine andere
Grundkraft bemächtigt sich der geschaffenen Mittel, tritt an die Stelle der ent-
schwindenden, wird ihr „snbstituiert". Dies list nun wohl mit Drama und Theater
der Fall gewesen. An die Stelle der religiösen sind diekünstlerischen Motive
getreten, jenen verwandt, doch immerhin wesensverschieden. An die Stelle des
religiösen Gemeinschaft-, Hingabe- und Gott-Schau-Triebes der künstlerische Aus-
drucktrieb. And mit ihm andere Gesetzlichkeiten für das Werk, die Darsteller und
die Zuschauer. Ein neuer „S!inn" für das Ganze ist gewonnen. Daneben freilich,
zuweilen sogar wieder stärker einströmend, erhält sich, verdünnt vielleicht bis zum
„Hauch", der alte. Doch scheint uns Hoffmanns philosophische Betrachtung im
Sinne des eben Gesagten einer Ergänzung bedürftig. Lheater hat je und je
auch Höchst-Zeiten gehabt, in >denen es eine Kunst-Angelegenheit war. Kino-
Reform mag eitel erscheinen; doch der Tag wird kommen, da sich Kunst-Wille
der Kino-Mittel bemächtigt, und neben der dann erblühenden Kino-Kunst wird
das leere Kinowesen weiterblühen wie bie sinnlosen, mechanisierten Kultgebräuche
einst neben dem entfalteten, kunst-erfüllten Dheater weiter betrieben wurden. K-L

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