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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0101

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Adelsforschung - Wurzeln und Kontexte

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verstehen könne, und gemeindliche bzw. genossenschaftliche Sozialgebilde, auf
die der Schichtbegriff anwendbar sei.
Kritik an Mitterauer wurde schon in der Diskussion seiner Thesen von Neu-
zeithistorikern, u.a. von Jürgen Kocka, formuliert und traf einen grundsätzlichen
Punkt, der für den weitaus größten Teil der modernen Versuche gelten dürfte, die
mittelalterliche Gesellschaft zu beschreiben: Es fehle eine theoriegeleitete Frage-
stellung, und Mitterauer sei zu einseitig von der Bewertung des sozialen Gefüges
durch die Zeitgenossen ausgegangen^k Heide Wunder stellte ebenfalls fest, daß
„soziale Grundformen" nicht der einzige Bezugsrahmen für die Stratifikation sein
können. Größere Einheiten seien erforderlich, sei es das Reich, sei es die dinshüm-
Den entscheidenden Punkt sprach schließlich auch Jürgen Ellermeyer an,
dessen Kritik auf die Beschreibung der Gesellschaft in spätmittelalterlichen Städ-
ten zielte: Zuerst muß definiert werden, was Sozialstruktur sein solTA
Die Diskussion um die Methoden der Sozialstrukturanalyse im Hinblick auf
die mittelalterliche Gesellschaft blieb ohne Ergebnisse. Einig ist sich die Forschung
darüber, daß ein schlüssiges und konsensfähiges Gesamtbild insbesondere der
frühmittelalterlichen Gesellschaft nicht möglich sePA Michael Borgolte stellt fest:
„Versuche, die Entwicklung einer mittelalterlichen Gesellschaft als Ganzes zu
analysieren und darzustellen, sind gescheitert"^. AH solche Versuche betrachtet
Borgolte insbesondere die marxistischen Ansätze oder den Entwurf von Karl Bosl.
Fruchtbar sei allerdings der insbesondere von Otto Gerhard Oexle unternommene
Versuch, Wahrnehmung und Deutung des sozialen Ganzen durch die Zeitgenos-
sen selbst zu untersuchen.

1.2.6. Sozialanthropologische und ethnologische Zugänge
Das nachlassende Interesse an gesamtgesellschaftlichen Analysen ist Ausdruck
eines Perspektivenwechsels, der nicht nur in der Mediävistik stattfand. Sozialge-
schichtliche Ansätze verloren an Bedeutung zugunsten historisch-
anthropologischer oder kulturgeschichtlicher Fragestellungen. Michael Borgolte
hat treffend davon gesprochen, daß nicht mehr das soziale Ganze, sondern der
ganze Mensch im Zentrum des Interesses stehe^A Lebensweise, Verhaltensweisen

512 Vgl. MITTERAUER, Probleme, S. 44-54.
513 Vgl. WUNDER, Probleme, S. 549.
514 Vgl. ELLERMEYER, Schichtung.
515 Vgl. z.B. GRAUS, Verfassungsgeschichte, S. 246-258; H.K. SCHULZE, Grundstrukturen, Bd. 1, S. 7f.;
NEHLSEN-V. STRYK, Die Freien, S. 427, 432.
516 BORGOLTE, Sozialgeschichte, S. 479.
517 BORGOLTE, Sozialgeschichte, S. 168. Vgl. zum Problem auch DERS., Das soziale Ganze.
 
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