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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0230

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226

Kapitel 4

4.4. Der Vergleich zwischen Ost- und Westreich: Adelsherrschatten
Die ältere Forschung war, wie erwähnt, von einem grundsätzlichen Unterschied
zwischen dem Ost- und dem Westreich ausgegangen. Da es im Westen keine
Ethnien gegeben habe, die mit den deutschen Stämmen vergleichbar gewesen
wären, mußte die Entwicklung im Westreich nahezu zwangsläufig als ein Verfalls-
und Zersetzungsprozeß des Staates erscheinen. Als Ausgangspunkt wurde der
Vertrag von Coulaines betrachtet, in dem die Existenz adliger Herrschaften unab-
hängig vom Königtum anerkannt worden war. Nach der Reichsteilung von 843
schloß Karl der Kahle dort einen Vertrag mit seinen geistlichen und weltlichen
Ä&ics, die sich vorher ihrerseits zu einer Schwurfreundschaft zusammengeschlos-
sen hatten. Gewertet wurde dies als Kapitulation des Königs vor den erstarkenden
Adligen. Dem Adel sei es gelungen, königliche Garantien für seine rechtliche Stel-
lung zu erlangen, die letztlich zur Erblichkeit von Ämtern und Lehen führten.
Das 10. Jahrhundert galt demnach als eine Zeit, in der durch Usurpation ur-
sprünglich königlicher Rechte eigenständige adlige Herrschaftsbereiche aufgebaut
wurden. In dieser Perspektive stellte sich die Frage, ab wann man von einer quali-
tativen Änderung des Verhältnisses zwischen König und Adel sprechen kann. Für
einen Teil der Forschung fand um die Jahrtausendwende sogar ein Umbruch statt,
der die politische und die soziale Ordnung grundsätzlich geändert haben soll.
Unterschiedlich beantwortet wurde allerdings die Frage nach der biologischen
Kontinuität der Adelsfamilien.
Die These von einem grundlegenden Wandel in der Zeit um die Jahrtausend-
wende hatte in der französischen Geschichtswissenschaft schon eine längere Tra-
dition; sie war u.a. von Paul Guilhiermoz vertreten worden und ist im Prinzip
auch in Marc Blochs klassischem Werk über die Feudalgesellschaft zu finden^. Die
Zeit des zerfallenden Karolingerreichs bis zur Gottesfriedensbewegung betrachtete
Bloch als eine Ära der feudalen Zersplitterung und des Chaos (trouble): „Im
Westen gab es eine langanhaltende Tendenz der großen Staaten, sich in politische
Gebilde niederer Ordnung aufzuspalten"A Bloch sprach vom Aufstieg neuer
Männer und von einem Einschnitt in der Mitte des 11. Jahrhunderts. Mit einer
ökonomischen Revolution habe ein zweites Feudalzeitalter begonnen.
Georges Duby knüpfte an diese Periodisierung an und entwickelte das Modell
in seiner Pionierstudie über die Gegend von Mäcon weiter A Nach Duby etablier-
ten sich via facti die chätelains als eigentliche Machthaber, ehemalige Amtsträger
der Ebene unterhalb der Grafen oder große Allodialbesitzer, die von ihren Burgen
aus einen kleineren, aber intensiv erfaßten Bereich beherrschten. Die königliche

46 Vgl. GUILHIERMOZ, Essai; BLOCH, Feudalgesellschaft, S. 82.
47 BLOCH, Feudalgesellschaft, S. 472. Vgl. dazu auch LEMARIGNIER, Le gouvemement, S. 37-65.
48 Vgl. DUBY, La societe.
 
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