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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 31.1932

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Eisler, Max: Das "wachsende Haus" in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.49241#0341

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DAS „WACHSENDE HALTS“ IN WIEN
von Professor Max Eisler
Mit 59 Ansichten und 62 Rissen
Aufnahmen von Martin Gerlach, der österreichischen Lichtbildstelle, Hans Popper, B. Reiffenstein, Fritz Sauer, J. Scherb, sämtlich in Wien

Dem Wiener Wettbewerb „Das wachsende Haus“ hat der Reichs-
deutsche für die Ausstellung „Sonne, Luft und Haus für alle“,
Berlin 1932, Anregung und Vorbild gegeben. Schon das Programm
war — wie der zeitgemäße Gedanke, dem es entsprang — wirt-
schaftlich bestimmt: Ein kleines Eigenheim, das je nach dem wach-
senden Bedürfnis und Vermögen des Besitzers durch Anbau neuer
Wohneinheiten erweitert werden kann, aber in jedem Stadium
ein abgeschlossenes Ganzes darstellen soll. Ein Haus, das seine
Bewohner mit Luft und Sonne, mit Gartenboden und Garten-
arbeit in offenste Beziehung setzt. Ein frei stehendes oder an
einer Seite angebautes Einfamilienhaus, in seinem ersten Zustand
mit einer Wohnfläche nicht unter 30, in seinem letzten Zustand
mit nicht über 80 m2. Die Konstruktion industrialisiert, so daß
ein tunlichst großer Teil der Bauarbeit in der Werkstätte her-
gestellt und auf dem Bauplatz nur montiert wird. Die Umfassungs-
wände, einerlei aus welchem Material, derart beschaffen, daß sie
als Wärmeleiter zumindest einer 38 cm starken Ziegelmauer ent-
sprechen, feuersicher, rissefrei und eben deshalb auch belehnbar.
Dabei natürlich — auch die mit zu entwerfende Einrichtung —
tunlichst wohlfeil, das Kernhaus (ohne Keller und Fundament)
höchstens für 5000 Sch.
Auch die Körperschaften, welche die Ausschreibung unternom-
men hatten — die Handelskammer, das Kuratorium für Wirtschaft-
lichkeit, die Wiener Messe und die Arbeitsgemeinschaft von Handel,
Gewerbe und Industrie zur Förderung der privaten Wohnbautätig-
keit — waren durchwegs wirtschaftlicher Art. Ja, selbst im Preis-
gericht hatten die Vertreter des Wirtschaftslebens entschieden die
Oberhand. Begreiflich, daß nach alledem auch das Ergebnis — die
18 mit Preisen und Anerkennungen bedachten und dann aus-
geführten Entwürfe — weit mehr durch das Maß von rationeller
Oekonomie und nur in wenigen Fällen auch durch ihre reine
Form, also durch ihre Kunst, bemerkenswert erschienen.
Da es im Grunde um ein industrielles Serienerzeugnis ging,
gab es vielen konstruktiven Eifer. Bei dem Haus von Ponzen
zeigte Ingenieur Kamenicky seine Zweigelenksrahmen in Eisen-
betonmontage: die auf dem Werkplatz hergestellten Doppel-
rahmen werden auf dem Bauplatz armiert und ohne Schalungs-
verlust ausgegossen. Bei Raschka ist es ein System dünner Stahl-
rippen, bei Klimscha die Bohlenzargenbauweise, die wir an Ort
und Stelle beschreiben. Wie bei dem Serienerzeugnis die Multi-
plikation tritt beim Wachstum des Hauses gelegentlich die Addition
als richtunggebende Ueberlegung auf, nirgends so deutlich, wie
bei der Tabelle der wachsenden Wohnelemente von Raschka. Jeden-
falls bekräftigt diese Verbindung von Mathematik und Maschine
den rationellen Grundzug des ganzen Unternehmens.
Weniger mathematisch ist es bei der Inachtnahme der Baukosten

zugegangen. Und das nicht ohne Schuld der Ausschreibung. Denn
indem diese das Fundament und die Unterkellerung, die bei einem
Kernhaus von 4100 Sch. nicht weniger als 3460 Sch. kostet, von
der Berechnung ausgenommen hat, hat sie — gewiß ohne es zu
wollen — einer recht freien Behandlung der Kostenfrage Vorschub
geleistet. Das widersprach nun nicht nur dem genaueren Sinn des
Programmes, sondern hat auch etliche Mitbewerber ins Unrecht
gesetzt, die sich durch die limitierte Höchstgrenze von 5000 Sch.
gebunden hielten und natürlich allerhand Komfortables geopfert
haben. Freilich dürften das nicht gerade die besten gewesen sein.
Denn der Beste findet sich auch mit bescheidenen Mitteln zurecht.
An den Grundrissen und Raumführungen ist schon interessant,
daß die Wohnküche nur einmal vorkommt, daß also selbst bei
so knappen Verhältnissen die separate Kochnische oder Klein-
küche wieder vorgezogen werden. Die besten Beispiele, die wir nicht
namentlich erwähnen möchten, halten den Wohn-, den Schlaf- und
den Wirtschaftsteil sauber auseinander oder treffen für die Ver-
bindung von Wohn- und Schlafraum annehmbare, ja angenehme
Vorkehrungen. Die besten Beispiele gehen der Verwinklung aus
dem Wege und bleiben geräumig. Bei den Erweiterungen sind
sie schon durch die Art gekennzeichnet, wie sich die Grundrisse
mit dem neuen Teil leicht verbinden und auch sonst vom Kern-
haus nichts oder doch nur wenig geopfert wird. Bemerkenswert
ist, mit welchen guten Gründen bei der Erweiterung sowohl der
Flachbau wie auch sein Gegenteil, die Aufstockung, verfochten
und dann verwirklicht wird.
Die Vertreter der flachen Bauweise berufen sich natürlich auf
die Bewegungsfreiheit im Innern des Hauses und auf die Ver-
bundenheit mit dem Garten, wofür sie die Kosten des größeren
Baugrundes und der neuen Fundierung gern in Kauf nehmen. Und
von dieser Betonung des ländlichen Wohnwesens bis zum Sommer-
und Weekendhaus ist nur ein Schritt. Die in unseren Gegenden
nur natürliche Bevorzugung von Holz als Baumaterial wirkt im
selben Sinne mit. Die Folge ist, daß nur in wenigen Fällen das
vom Programm geforderte ganzjährige Wohn- und Siedlerhaus
herausgekommen ist. Und auch diese wenigen Fälle geben sich,
ohne daß man sie zu nennen braucht, als die besten zu erkennen.
Es haben, vielleicht bestimmt durch die bevorstehende Eröff-
nung der Werkbundsiedlung, nicht alle mitgetan. Schade. Die Auf-
gabe, die hier gestellt war, hat eine so elementare Bedeutung,
daß keiner sich ihr entziehen durfte. Ihre Intimität und ihre
besondere Beziehung zur Landschaft hätten die österreichischen
Begabungen ganz besonders ansprechen müssen. Es was für sie
eine ausgezeichnete Gelegenheit und wäre — das zeigen einige
unserer Beispiele sehr klar — ein ganzer, auch künstlerischer
Erfolg geworden.

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