Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 31.1932

DOI article:
Schmidt, Georg: Gebrauchsgerät
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49241#0553

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Dr. Georg Schmidt, Assistent am Gewerbemuseum in Basel, hielt im Oktober 1931 diesen Vortrag vor
Stuttgarter Kreisen, die durch ihn für die Gedankengänge der Stuttgarter Werkbundausstellung „Wohn-
bedarf“ aufgelockert werden sollten. Dieser Zweck wurde erreicht. Auch die Ausstellung selbst darf von
ihren Veranstaltern als Erfolg gebucht werden. Die „Modernen Bauformen“ werden ihre besten Stücke
während etwa eines Jahres in systematischer Tafelfolge bringen. Sie schicken Georg Schmidts „historische
Einleitung“ gerne voraus, weil sie es für nützlich halten, den bunten Strom der lebendigen Entwicklung
immer wieder einmal mit einfachen Gedanken bis an seinen Ursprung zurückzuverfolgen, auch wenn es nach
unserer Meinung kein Definitivum gibt. Die Schriftleitung

Vor fünf Jahren vielleicht noch wäre das, was ich hier dar-
legen möchte, etwas Neues gewesen, hätte vielleicht sogar
Kopfschütteln erregt, oder gar einen flammenden Protest „zur
Wahrung heiligster Güter“. Heute umgekehrt muß ich fürchten,
daß meine Ausführungen das Kopfschütteln der Langeweile
erregen. Fürchten müßte ich das, wenn es uns, die wir seit fünf
und mehr Jahren für „flaches Dach“ und „profilloses Möbel“,
deutlicher und richtiger gesagt: für Stadt, Haus, Möbel und Ge-
rät als Gebrauchsgerät kämpfen, darauf ankäme, etwas um jeden
Preis Neues und Interessantes zu sagen (und zu tun!), wie so
viele damals und wohl heute noch meinen. Da es aber im
Gegenteil zu unseren entscheidenden Überzeugungen gehört,
daß Stadt, Haus, Möbel und Gerät zu etwas ganz anderem
da sind, als interessant zu sein, haben wir eher Grund, uns zu
freuen darüber, daß wir mit unserem Tun und mit den unser
Tun begründenden Gedanken bereits mehr das Kopfschütteln
der Langeweile erregen.
Immerhin — der Sieg des Neuen ist doch noch nicht so kom-
plett, daß aller Kampf für das Neue und daß auch das Reden
darüber schon ganz überflüssig geworden wäre. Aber wir sagen
es offen: vor allem vom Reden über das Neue hoffen wir, daß
es einmal überflüssig werden werde !
Das Ziel unseres Kampfes ist, daß die von uns gewollten
Dinge einmal schlichteste Selbstverständlichkeit werden, und
das Ziel unseres Redens: unsere lieben Zeitgenossen zu über-
zeugen, daß es sich im Kern der Sache um gar nichts Neues
handelt, sondern ganz im Gegenteil buchstäblich um die älteste
Sache der Welt, und daß die Auffassung, es handle sich um
etwas Neues, unseren Absichten zu tiefst entgegengesetzt, ja
feindlich ist.
Kürzlich hat Stuttgart den 70. Geburtstag von Robert Bosch
gefeiert, und der erste Vorsitzende des Deutschen Werkbunds,
Peter Bruckmann, hat in einem schönen Aufsatz das Verhält-
nis von Werkbund-Arbeit und Bosch-Arbeit dargelegt. In diesem
Aufsatz erzählt Bruckmann eine nette Geschichte, die ihm mit
Bosch passiert ist. „Robert Bosch hat mir einmal bei einer
kleinen Werkbundausstellung, an der auch seine Arbeiten ver-
treten waren, mit der ihm eigenen prägnanten Formulierung
gesagt: ,Was tun meine ehrlichen Erzeugnisse in eurem Narren-
haus?* Ich konnte ihm nicht ganz unrecht geben“.
Dieser Satz: „Was tun meine ehrlichen Erzeugnisse in eurem
Narrenhaus!“ ist ganz ungeheuer wahr. Es ist geradezu un-
sere entscheidende Aufgabe, zu zeigen, wie wahr dieser kleine
Satz ist. Das schönste aber an dieser Geschichte ist, daß der

erste Vorsitzende des Deutschen Werkbunds freimütig be-
kennt, daß Bosch nicht ganz unrecht habe. Auch ich bin Mit-
glied des Werkbunds, und auch ich muß offen bekennen:
der Werkbund steckt noch ziemlich tief in einem Narrenhaus —
wie tief, das werden wir bald sehen!
Zu unserem Trost aber dürfen wir sagen: es ist ein ziemlich
ehrwürdiges Narrenhaus, und die Zeit, da man erkannt hat, daß
es ein Narrenhaus ist, sie ist, an seinem Alter gemessen, ganz
furchtbar kurz. Man sagt viel, wenn man sagt, diese Erkennt-
nis sei 40 Jahre alt. Das Alter jenes Narrenhauses aber zu be-
stimmen, dazu müßte man, ich sage das ohne allen Spaß, die
Prähistoriker befragen!
Daß wir an einer Zeitwende stehen, der gegenüber die Jahr-
hunderte zum Maßstab zu nehmen, keine Maßstablosigkeit
bedeutet — das wird Ihnen, meine lieben deutschen Freunde,
heute mit Keulen eingehämmert. Auf unserem Gebiet des Haus-,
Möbel- und Gerätebaus: worin besteht hier diese Wende?


Atelier Makart. Daß man das einmal als den Inbegriff des
Schönen hat empfinden können, wird heute jedem als Inbegriff
des Narrenhäuslerischen vorkommen! Ästhetisch, aber auch
wirtschaftlich. Vom Ästhetischen brauche ich nicht zu sprechen.
Der wirtschaftliche Wahnsinn dieses Raums liegt darin, daß
ein einziger Mensch für seine privaten Bedürfnisse eine solche
Unsumme von Arbeit, von Material, von Materie in An-
spruch nahm.
Wie es daneben mit dem Wohnen der „Anderen“, d. h. derer,
die diese Pracht mit ihrer Hände Arbeit geschaffen haben,
bestellt war, sieht man hier:

479
 
Annotationen