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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 31.1932

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Schmidt, Georg: Gebrauchsgerät
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https://doi.org/10.11588/diglit.49241#0563

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Was die oben gezeigten Äxte aus der Steinzeit von heutigen
Äxten unterscheidet, liegt nicht im Formalen, sondern in den
drei entscheidenden Merkmalen: im Material (Stein statt Eisen),
in der Konstruktion (unten: Schneide an den Stiel gebunden,
oben: Stiel nicht in ein Loch der Axt, sondern Axt in ein Loch
des Stiels gesteckt) und in der Gebrauchsweise (unten : Schneide
senkrecht zur Schlagrichtung, oben: genau wie heute). Aus-
schließlich nach diesen drei Kriterien hat sich das Werkzeug
entwickelt und gewandelt. Sie allein haben seine Form und
seinen Formwandel bestimmt. Im jahrtausendelangen Ge-
brauch, ungestört von allen Stilen und Moden, haben sie ihre
Form ständig verfeinert und differenziert. Peinlich zu denken,
wozu derMensch diese herrlichen Gebilde dann mißbraucht hat!
Eine andere Gruppe von Geräten ist zum Teil nie den
Stilen verfallen, zum Teil hat sie sich im 19. Jahrhundert rasch
und gründlich freigemacht: das Sportgerät. Ein Beweis für die
Behauptung, die dekorativen Stile seien wesentlich ständisch
bedingt, ist die Tatsache, daß das Sportgerät um so stärker
dekorativ umwuchert wurde, je mehr es einem ständischen
Sport angehörte: z. B. das Fechten, oder die Jagd, oder jegliche
Art von Kriegsspiel. Das moderne Sportgerät ist nicht nur
in seiner Form, sondern auch in seiner Entwicklung geradezu
vorbildlich für jedes Gerät.


Tennisschläger. Wie der Mensch im Sport, so denkt auch das
Sportgerät an nichts anderes als an die Leistung. Material, Kon-
struktion und Gebrauchsweise allein bestimmen seine Form und
seinen Formwandel. Besonders instruktiv ist der Formwandel
des Skis. Die frühesten Skier sind kurz und breit — nicht weil
man das besonders schön fand, sondern weil es ausgesprochene
Ge/z-Skier waren. Das neuere Ski-Fahren zwang den Ski, schmal
und lang zu werden, da der schmale Ski schneidender ist
und der lange führender. Die neueste Fahrtechnik hingegen
verlangt vor allem einen wendigen Ski. Darum sind in neuester
Zeit die Skier wieder kürzer und breiter geworden.
Bei fast sämtlichen übrigen Geräten haben wir noch sehr
dafür zu kämpfen, daß sie „ehrliche Erzeugnisse“ werden,
und zwar nicht zuletzt in den eigenen Reihen! Die Fabrik-
bauten z. B. waren so lange konstruktiv sauber, als man sie ver-
achtete. In dem Augenblick jedoch, da man auch im Fabrikbau

eine „künstlerische“ Aufgabe sah, wurden lauter verkappte
Palazzi daraus. In Deutschland vor allem. Denn in Deutschland
ist das moderne Kulturbewußtsein zuerst und am stärksten
erwacht. So ist auch in Deutschland die Gefahr, daß das
einfachste Ding des täglichen Gebrauchs „künstlerisch ge-
staltet“ werde, besonders groß. Das ist durchaus die Gefahr
einer an sich sehr positiven Kraft.
In Frankreich hingegen ist die neue Bewegung ganz ungleich
viel schwächer. Trotz Corbusier ist sie über ganz kleine in-
tellektuelle Kreise hinaus so gut wie gar nicht vorhanden.
Aber Frankreich ist so sehr mit der Produktion von dekorativen
Luxusgütern für die ganze Welt beschäftigt, daß sich, für den
Hausgebrauch gleichsam, eine ganze Reihe von Geräten zu
wirklich reinen Gebrauchsgeräten hat entwickeln können, und
zwar ohne das leiseste Bewußtsein davon, etwas Schönes oder
gar etwas Modernes zu sein. Eines der klarsten, saubersten
französischen Gebrauchsgeräte, das ich kenne, ist das


Lit Ponty — das französische Tropenklappbett. Es ist unglaub-
lich leicht im Gewicht und einfach im Gebrauch, ist sehr billig
und dazu unglaublich intelligent in der Konstruktion. Kein
Kunstgewerbeprofessor und kein Werkbündler zeichnet dafür.
Es ist ein reines, anonymes Industrieprodukt. Ein „ehrliches
Erzeugnis“.
Die heute dringendste Aufgabe besteht nicht so sehr darin,
ein Gebrauchsgerät nach dem anderen durchzunehmen und
formal zu modernisieren. Sie besteht in allererster Linie darin,
aus den bereits vorhandenen Industrieprodukten diejenigen
auszusuchen, die bereits „stillos“ sind und mit allen Mitteln
für den Konsum dieser Produkte zu werben. Nur der steigende
Absatz des Vorhandenen kann die Industrie zwingen, in dieser
Richtung weiterzugehen.
Als stärkstes Beweisstück für unsere Forderung, die Form
der Dinge solle nicht von der Form her, sondern allein von
Material, Konstruktion und Gebrauch her bedingt werden,
hab ich das
Luftschiff „Graf Zeppelin“ aufbehalten. Der Zeppelin ist rein
als Form ohne Zweifel das schönste, packendste Gebilde, das
unsere Zeit überhaupt hervorgebracht hat. Und dennoch ist
unbestreitbar jeder Zentimeter seiner Länge, ist die kleinste

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