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Studien und Skizzen zur Gemäldekunde — Wien, 1.1913

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Frimmel, Theodor von: Die vier apokalyptischen Reiter in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.20638#0239

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den zweiten unct orttten Reiter miteinander verwechselt. Der Fehler wurde
bald bemerkt, auch jenseits des Rheins. „Cette taute est d'autant plus singu-
liere, que M. de Cornelius vit en Prusse, a Berlin, ou l'on se nourrit tous
les jours de la lecture de la Bible", so heißt es bissiger Weise in dem
oben erwähnten Aufsätze Texiers in den Annales archeologiques.
Trotz des unleugbaren Verstoßes, den wohl der Meister sich selbst
eingestanden haben mochte, ist niemand im Zweifel, daß die vier apo-
kalyptischen Reiter des Cornelius zu den großartigsten Schöpfungen moderner
Kunst gehören.
Noch eine zweite Unstimmigkeit zwischen Bild und Wort möchte hier
zu besprechen sein. Sie bezieht sich auf jene Textstelle, die angibt, daß
hinter dem letzten Reiter die Hölle nachfolge („et infernus eum sequebatur").
Cornelius weicht bei Wiedergabe dieser Stelle von der typischen Darstellung
ab. Das Mittelalter stellt die Hölle als Tierrachen (Löwenrachen oder Schweins-
kopf) dar, meist flammenspeiend und mit grimmigen Zähnen bewaffnet. Auch
Dürer hat diese Form beibehalten sowie die späteren Meister des 16. Jahr-
hunderts. Allmählich aber verschwindet der Höllenrachen aus den Bildern
mit den apokalyptischen Reitern ln der französischen Bibel von 1804 waren
nur mehr einige Flammen übriggeblieben, die uns die Hölle symbolisieren
sollen. Cornelius nun führt uns auch keinen Höllenrachen vor Augen, ja
überhaupt keine Hölle, sondern eine Schar von Dämonen in der Luft, die
den Reitern nachjagen. Es zeugt gewiß von malerischer Kraft, daß der
Künstler hier von der wortgetreuen Übersetzung ins Bildliche abging und
in Form einer Umschreibung, einer malerischen Metonymie (wenn dieser
Ausdruck gestattet wird), statt der Hölle selbst, die entfesselten Bewohner
derselben darstellt. Dem Bilde gereicht dieser Tropus gewiß zum Vorteil.
Was den vierten apokalyptischen Reiter des Cornelius betrifft, sei so-
gleich angemerkt, daß ein Karton von Friedrich Cesellschap in der
Todesfigur augenscheinlich durch Cornelius beeinflußt ist (Abbildung in
„Die Kunst für Alle", Jahrg. 1, Heft 20, 1886). — Ohne den Vorgang des
Cornelius ist ferner nicht zu denken die Komposition der vier Reiter, die
im „Ulk" vom Oktober 1911 zu sehen waren.
War schon die Auffassung bei Cornelius eine freie, so gilt dies noch
mehr bei J. Schnorr v. Carolsfeld, der auf einem Blatte seiner Bibel die
vier apokalyptischen Reiter zur Darstellung bringt, ln vieler Beziehung lassen
sich Schnorrs apokalyptische Reiter gar nicht mehr mit der Schrift in Über-
einstimmung setzen. Der Künstler benützt den Text nur sehr oberflächlich
und sucht sich aus einigen der ersten Kapitel heraus, was er für eine gün-
stige Vereinigung etwa brauchen kann. Eine geordnete Zusammenstellung
mehrerer Szenen auf einem Bilde wäre weder neu, noch auffallend, aber die
Willkür, mit welcher der Zeichner hier verfuhr, ist bemerkenswert. So finden
wir auf Schnorrs Bilde im Hintergründe oben in der Mitte den thronenden
Christus, umgeben von den Ältesten (es sollten nach Angabe des IV. Ka-
pitels 24 sein, Schnorr zeichnet nur 11). Hinter Christus stehen sechs
Leuchter (das I. Kapitel spricht von 7), vor ihm das Lamm, welches das
Buch mit den sieben Siegeln geöffnet hat. (Hier springt Schnorr zum V. Ka-
pitel.) Den mittleren und vorderen Plan nehmen die vier Reiter in Anspruch.
Aber es stürmt allen voran (statt, wie es im Texte heißt, hinterher) der
Tod. Links im Vordergründe der Reiter mit dem Schwert. Im Mittelgründe
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