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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 1 (Erstes Aprilheft 1914)
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Behne, Adolf: Zur neuen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0007

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handen sind, nnd wenn diese Meisten, statt zu
lernen und zu suchen, vorziehen zu spotten und
zu iachen, so werden sie sich noch etiiche Zeit
in der „kompakten Majoritat" befinden. Aber
eines schönen Tages bestimmt nicht mehr! Was
vor den neuen Kunstwerken den ungeübten Be-
trachter zum Widerspruch und zum Spott reizt,
das ist die starke Abwendung von der Natur, die
er, nur aHzu unbedacht, als Nichtkönnen inter-
pretiert. In Wahrheit liegt hier wiederum ein
Vorurteil des Pubiikums vor, das, anstatt die
Kunst eben als K u n s t zu nehmen, sie in ein
Abhängigkeitsverhältnis zur Natur bringt, und, an-
statt geradeaus auf die Kunst zuzugehen, einen
U m w e g über die Natur macht.

Und ist es nicht seltsam, daß das gleiche Pu-
blikum die Jungen von einst, die Liebermann und
Uhde und Israels, gerade wegen ihres Naturalis-
mus anfeindete? Wird der engere AnschluB an
die Natur gescholten, wird Abkehr von der Natur
bespottet, was soll der Künstler? SoII er den
bequemen Mittelweg zwischen Natürlichkeit und
Idealität wandeln, der so reizlos ist und den das
Publikum so liebt? Uebrigens ist es nicht zweifel-
haft, daß dem Publikum ein gesteigerter Realis-
mus, auch wo es von ihm abgestoBen wird, noch
imtner verstündlicher ist, als die bewußte Abkehr
von der Natur. Und eben deshalb wird es noch
eine gute Weile haben, bis die neue Kunst und
das Publikum sich gefunden haben werden. Das
Publikum soll plötzlich den Gedanken aufgeben,
daß eine Zeichnung, eine Skulptur, ein Bild als
Wiedergabe eines Natnrobjektes zu betrachten sei,
und daß deshalb aus größerer oder geringerer
Naturähnlichkeit der kritische Maßstab für die
Kunst genommen werden müsse, notabene:
Achnlichkeit nicht mit der wirklichen, wahren
Natur, sondern mit der mehr oder weniger senti-
mentalen Natur des Publiknms. Das wird eine
t<m so tiefere, gewaltigere Revolution ftir das Pu-
blikum bedeuten, als ja die letzte Phase der
Kunstgeschichte, der Impressionismus, die Manie
des Vergleichens mit der Natur zu befestigen nur
zu sehr geeignet war. Denn eine Manie ist es und
bleibt es, im besten Falle ein Surrogat!

Wo steht denn geschrieben, daß die Kunst hin-
ter der Natur herzulaufen habe? Man mache sich
klar, was doch „Kunst" ist, so wie man jede Sache
im praktischen Leben aus ihr selbst heraus zu
verstehen und zu erklären versucht! Die Male-
rei, um uns einmal auf diese zu beschränken, weil
sie am meisten zum Vergleichen mit der Natur
verlockt, die Malerei ist ein Arbeiten mit Farben,
mit Linien, mit Hell und. Dunkel, sie ist das Füllen
einer gegebenen Fläche aus Papier oder Leine-
wand! Das ist gegeben. Wo wird hicr eine Be-
ziehung zur Natur notwendig gefordert? Sie ist
hineingezwungen, das mache man sich klar. Und
wie will man es rechtfertigen, wenn man vor
einem Bilde stets etwas ganz anderes, eine völlig
andere Welt, nämlich die Natur, heranzieht?

Auf jedem anderen Gebiete würde man das
unsystematisch, unsachlich nennen. Was ich als
Werk des Malers vor mir sehe, ist eine Fläche.
Darauf sind Farbenkomplexe, rote, grüne, gelbe,
blaue. Da sind Linien — geschwungene, gerade,
fortlaufende, unterbrochene. Die Farben stehen
untereinander in gewissen Verhältnissen. Eine
einzige anders gedacht, und die Wirkung ist ver-
loren. Die Linien stehen untereinander .in unver-
änderlichen Beziehungen: eine Senkrechte weni-
ger, eine Horizontale mehr, und das Bild ist nicht
mehr wiederzuerkennen. Und schließlich stehen
die Linien in Beziehungen zu den Farben, Aen-
dern sich diese, so können jene nicht bleiben!

Das ist gegeben, das ist dem Publikum vom
Maler zur Beurteilung vorgestellt. Und man redet
— von der Natur! Kunstgesetze sind etwas völlig

anderes als Naturgesetze — und man hört vor
einem Kunstwerke nie von Kunstgesetzen, aber
umso mehr von Naturgesetzen reden.

Dem, der ein wahres und inneres Verhältnis
zur Kunst hat, sind solche Ausfiihrungen, wie die
obigen, selbstverständlich, dem anderen erscheinen
sie vielleicht wie eine Lästerung. Aber der Schritt,
den die jungen Künstler jetzt tun, ist einer auf dem
Wege zur reinlichen Scheidung, zur Klarstellung,
zur Befreiung zweier durch Unverstand und Ge-
wohnheit lange zusammengekoppelter Begriffe.
Sein Ziel ist Aufhellung, bessere Luft, freieres
Atmen, und wie alles, was auf dem Wege zur in-
neren Befreiung, zu späterer Reinheit getan wird,
letzten Endes auch von ethischer Bedeutung.
Denn die Vorsteilung, daß es sich in der neuen ex-
pressionistischen Kunst um Unreife, exzentrische
Genialitätssucht und ähnliches handle, diese lege
man beizeiten ab. Sie ist falsch. Man müßte doch
wohl bei einigem guten Willen die Reinheit der
Wirkungen in diesen Werken spüren können. Diese
unverdorbenen reinen Farben, diese klaren, kräft-
tigen Linien, diese deutlichen, großen Gegensätze
von schwarzen und weißen Flecken, diese Hellig-
keit und Luftigkeit ganz ohne Wirkung bleiben.

Jedem, der einmal den alten, irreleitenden Um-
weg über die Natur verlassen hat, wird unmittel-
bar vor den neuen Bildern das Gefühl der Sicher-
heit, der Befreiung aufgehen. Die Natur ist e i n e
Welt, die Kunst eine andere. Sie können
nichts miteinander gemein haben. Und seit wir
das wissen, erscheinen uns beide — weit gefehlt,
daß sie verloren hätten — doppelt mächtig und
doppelt schön. Wir schaukeln nicht mehr zwischen
dem lufterfüllten Raume und der bemalten Fläche
unsicher hin und her, wir stehen auf gutem und
festem Boden! Möchte sich also das Publikum
der neuen Kunst des Expressionismus mit Ver-
trauen und mit Interesse nähern. Möchte es ver-
suchen, diese Kunst tief und vorurteilslos zu e r -
leben! Das ist das Wichtigste, viel wichtiger,
als eine Auseinandersetzung tiber die einzelnen
Schulen des Kubismus, Futurismus, Neoimpressio-
nismus usw. Das verführte den, dem die neue
Kunst nicht schon innerlich etwas bedeutet,
nur wieder auf den alten Umweg des begrifflichen
VerstehenwoIIens historischer oder psychologi-
sche Konstruktionen. Zudem haben diese Kon-
struktionen wenig Wert. Das einzige, was man
heute mit Bestimmtheit sagen darf, ist, daß im Gan-
zen der Expressionismus einen Gegenschlag gegen
den Impressionismus bedeutet. Nun kommt es dar-
auf an, das Publikum in einen inneren Kontakt mit
dieser Kunst zu bringen. Dazu bedarf es einer pä-
dagogischen Kraft. Psychologische und historische
Entwicklungsschemen haben diese Kraft aber
nicht. Mag das Publikum hundertmal zu hören be-
kommen und es vielleicht auch glauben, wie „es
kam" — es wird dadurch nicht um einen Grad
für die neue Kunst etwärmt — und darauf allein
käme es doch an!

Gedichte

Ein Answanderer

Blutrot zuckte die Sonne zwar am Abendhimme!
heimatlicher Gefiihle, doch sie ertrank im Meere
anderer Gedanken purpurn, a!s er sich zum
Morgenwalde wandte. Dort quillt ein Bach,

bewacht von

schroffen, starren, harten, kalten Wächtertannen.
Da er blindftißig den Bach überschritt,

verstieß mit dem ietzten

Tritt er die Bretterbrücke, daß sie der

Wächtertannea

Spiegelbild zerstörend, lärmend fiel zu Bache,
hin zu der Fische Kieselsteinen. Er trat auf einen
Nadelberg der Waidameisen, seufzte: „Auch

ich, ich

wollte mir das Haus erbauen, sei's aus spitzen
Tannennadeln! Doch immer noch brach

meinem Stil die

Axt ab, Hand erlahmte, günstiger Wind, vergaß

zu wehen!"

Wie Donner kam im Walde ein Rufen,

und im Pufen hauste eine Stimme

und die Stimme schwoll wider ihn im Grimme.

„Stets schlecht gezäunt waren die Pferde

deiner Leidenschait,

entrafften dich und kehrten ohne Reiter heim,

des Körpers Masse gern ins Dunkle schleudernd.

Du hättest gern fühllos gelebt,

seiig wie sich Baumeswipfel

in den schwarzen Wjaldesschleier spinnen.

Du hättest gern faulend gelebt,
wo an der Inseln Palmengestäden
der Sonnenschatten sanft hinfällt, und man
das Luftschloß der Robinsonaden bauen kann,
von keiner Pflicht dem Pfuhl entstört.

Jedoch nur Schweine sterben an Altären,
der Mensch dringt in den Himmel selber
den fausterkämpften. Nur du schlichst
Wanderer, den der Weg bezwungen,
vorschnell ermüdet in des Waldes Schattenkreis,
doch der volle Strom der Sonne gießt sich

unerbittlich nach.

Für halbe ist kein Hier, kein Dort,
ihr lebet stets den selben HöIIenort!"

Die Stimme schwand, mit ihr dem Wanderer

der Weg,

und nicht vergebens winkte ihm,
ewigen Trost versprechend, des Wassers

Gewimmel.

Er glitt zum Sonnenaufgang in den Tod,
die schroffen Wächtertannen sprangen ihm

nicht nach.

Atifflug

Was, ach, sollen mir noch Spaziergang,

Sommer und Winter,
Essen zu jeglicher Zeit, und Trinken der

einerlei Weine,

Liegen bei Mädchen zur Nacht, und Wissen

um Worte, und Freunde?
Was auch sind mir kopfahnende Riimpfe der

Leser, oder

höhnisches Schlingern arschköpfigen, walzen-

füßigen Schleimes,

oder Ermunterung mir und Lob der Meister-

genossen?!

Mögen euch andern die Weisen der Lust durch

die Ewigkeit tönen,

nichts tränkt meine Seele!

So, wenn einst mich von grellen Fiebern wild

Umschrillten

der eisige Zahn des Todes

wegreißt vom Ufer des rastlos vorüberfließen-

den Flusses,

seligen Auges will ich enteilen,

endlich zu treffen dich,

unerhörte,

nicht gesehene,

ungeborene,

nie erschaffene!

A!hart Ehrenstein


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