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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 2 (Zweites Aprilheft 1914)
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht [8]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0015

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Jagen unter Brunstgestöne,
Brunstgeächze

Und

Oekrächze!

Uurch die Wirrnis
Durch die Fiirrnis
Blitzt Verstummen!

Jäh zerfiattern
Drängen geilend
An die Decke
SichdieTöne,

Kiammern, kraiien
Scheu verwimmernd
Am Gebälk!

Glotzen nieder,

Wo mit Wuchten
Schlorrt das Keuchen,

Schlappet

Kingsum an den Wänden
Seinen ungefügen Leib,

Unzahlmäulig
Zuckt und schnauft!

An die angstzerglühten Herzen
Rcißen flammend hoch die Lichter
Ihre hetzverstörten Kinder,

Die in Irren, Wirren
Zitternd

Ob der ungewohnten Ruhe

Ab sich tasten

Und sich streicheln

Gegenseitig

Hell von Staunen,

Daß sie leben noch,

Sie leben!

Zagig finden sie das Lächeln,

Fluten leise, fluten, fluten,

Keichen summend sich die Hände,

Werden warm

Und

Schwingen Reigen!

Da

In Peitschlust, Streitdurst, Quälsucht

VoIIgesogen

Vom Gebälke

Stiebt das Gellen!

Schrillt unbändig,

Ueberschlägt sich,

Purzelt, flattert,

Springt und stöbert,

Federt, pumpelt auf
Das Untier,

Das

Mit tausend Fiißen aufschrickt,
Trippelt, trappelt,

Trappelt, grappelt,

Gell gedrängelt
Von den Tönen,

Die zerrasseln,

Niederprasseln,

Peitschen, schlagen, fiebern, kosen
Und im Wirbel
Wringen, wiegen
Schwelles,

Blaßhellrotes Fleisch!

Milchweiche Schultern!

Augen . . .

Der Weg
durch die NacM

Aage vaa KoM

rortsetzaHC

Er streckte bequem den rechten Arm aus,
stützte ihn längs der Rücklehne der Bank, sah
tächehid in der Dunkelheit vor sich hin, beständig
alle Adern so gespannt, so wonnig warm —:
Meine Annie, großer Gott, wie hast du alle Tage
mein Leben ausgefüllt! wie hast du unvergänglich
alle meine Nerven mit Glück geladen, daß nur die
Erinnerung an dich genug ist, um mein Herz
iachen und zittern zu machen, durch meine Mus-
keln rinut das Blut und fliistert von dir, siehe,
wenn ich meine Hand erhebe, so zittert sie bei
dem bloßen Gedanken an dich, du weißt nicht,
wie ich stark und hell bin, unbesiegbar, wenn ich
deinen Namen denke, meine Einzige, meine Ewige,
meine Geliebte!

Er lachte, heiß und froh.

Streckte lächelnd seine Arme aus.

Atmete mit WoIIust das Aroma der. ganzen
Nacht ein — die großen, kühlen Düfte von Gras,
von Blumen, von Meer.

Und erinnerte sich dann plötzlich, von lieuem
vor Wonne Iachend, mit blinzelnden Augen — des
allerersten Males vor vielen Jahren, als er und sie
einander begegnet waren!

Jenes Abends im Künstlerklub, es war das
erste und letzte Mal, daß er da war, ja, welche
unfaßliche Qüte von seiten des Lebens gegen ihn:
dies einzige Mal — gerade das Mal sein zu las-
sen, wo auch sie zugegen war!

Nein, er hätte sicherlich nichts vergessen —
auch nicht die allergeringste, scheinbare Kleinig-
keit von jenem strahlenden Abend, dem Götter-
abend, da er geboren wurde, da er zum erstenmal
das Licht des Tages in seiner ganzen Pracht er-
blickte, da plötzlich dieses dröhnende, goldene
Tor selber geöffnet wurde, um ihn einzulassen,
i h u , in die schimmernde Burg des Glücks, in den
rosenumfriedeten, holdseligen Fiirsten-Palast des
Gliicks einzulassen!

Aber nein, das v/ar keine von den Begeben-
heiten, die zu vergessen überhaupt möglich ist!

Hahaha, nein, sicherlich nicht!

Höre nun einmal —:

Es war also an diesem Abend vor dreizehn
Jahren. Er war damals noch geradezu unerlaubt
arm; niemand kaufte seine Bticher, nur die Kol-
legcn lasen sie — und die erhielten sie gratis von
dem gemeinsamen Verlag oder von ihm selber,
oder sie liehen sie sich untereiuander . . . wohl
bemerkt, diejenigen, die sich iiberhaupt mit dem
beschäftigen mochten, was er schrieb! Nun ja,
das mag einerlei sein — die Tatsache war nur, daß
er an Mammon ärmer war als alle, aber irgend
jenrand hatte ihn eingeladen, zu diesem alljähr-
lichen Ball zu kommen, der im Künstlerklub ge-
geben wurde. Ach, hatte der Betreffende gesagt,
wenn auch nicht ganz ohne Malice —: ich will
dir nur sagen, dort wirst du dich eklatant amü-
sieren, da ist Witz, da ist Geist, da ist Schönheit
— und da sind gar keine Fremden, wir sind ganz
unter uns! Haha, mid Morton bekam also viel
zu tun, löste sich seinen Frack aus dem Leihhause
ein, was ihm tibrigens irgendeine Klassikerausgabe
kostete! Er war allerdings gut zehn Jahre alt,
besagter Bekleidungsgegenstand stammte noch
von seinem Abiturientenexamen her, paßte ihm
aber trotzdem. wie er auch erwartet hatte. ganz
gut, was die Größe betrifft —: denn damals, als
er angefertigt (und von seinem Vater bezahlt!)

wurde, war er absichtlich reichlich groß gemacht
worden, er entsann sich noch, wie er ihm um die
Schultern geschlottert hatte, als er ihn bekam!...

Morton lachte.

Er sah bünzelnd vor sich hin und lachte.

Erinn.erte sich plötzlich seiner selbst, wie er
äusgesehen hatte an jenem Abend mitten im Win-
ter, in einem gräßlichen Schneeregen, als er gege*
neun Uhr schließlich mit seiner Toilette fertig ge-
worden, fortgekommen war, und jetzt atem!o&
dort in der mächtigen, prachtvoll erleuchteten und
eisweißen Halle des Hotels stand, mit großer
Flottheit (und innerem Schrecken!) nonchalant
seinen Ueberrock, in dem das Futter nämlich zer-
rissen war, einem dienernden und überfrisierte*
Garderobier zuwarf — und sich darauf vor den
kolossalen Spiegel stellte, der acht, zehn EHe*
breit und wenigstens ebenso hoch eine Nische i*
der einen der prangenden Wände des Raumes
verdeckte. Ach ja, dachte er weiter, entsann sick
des Bildes, das sich damals vor diesen dreizeh*
Jahren seinem sehr kritischen und keineswegs be-
friedigten 6lick zeigte, da drinnen in dieser ge-
waltigen, spiegelnden Fläche: ein großer, junger
Mann mit kräftigen Schultern, Arme und Beine anf
dem rechten Fleck, nicht ohne Eleganz, ein hef-
tiges, glattrasiertes Gesicht, aus dem die große*
dunklen Augen hervorleuchteten — ein klei*
wenig überarbeitet, mit etwas unsicherem Blick
momentan, infolge des beklemmenden Ernstes der
Situation — aber sonst flammend genug! das
dunkle, dichte Haar auf der linken Seite geschei-
telt — oder nein, in Wirklichkeit also auf der
rechten! und die Kleidung: der Frack, der, wena
man seine Nase ihm ein wenig näher brachte, nock
unverkennbare Erinnerungen an den Ort der
Barmherzigkeit trug, woher er kam — die Bein-
kleider, die vielleicht ein wenig zn stramm saßen;
das gänze gewiß etwas unmodern, aber trotzdem

— ach ja, es konnte wohl angehen, war auf alle
Fälle bedeutend besser, als er erwartet hatte!

Und endlich verließ er den Spiegel, näherte sick
mit festen Schritten der breiten Treppe. den gro-
ßeu, weißen Fliigeltiiren, wo zwei sich verneigende
Diener Wache hielten —:

„Ja, danke!"

Sie rissen die Tiiren auf. Er trat ein. Ein ell-
bogendichtes Gewitnmel von Damen und Herre*

— unter dem blendenden Schein von unzählige*,
elektrischen Lampen. Seidene Gewänder in Brand-
gelb, in Hellblau und Weiß, wunderbar kiare, strah-
lende Stoffe. Tiill, Muü, Atlas, Taft; nackte, weiße
Schultern, Lächeln, ein Wirrwarr von Diiften —
Ja die schwarzen Fracks der Flerren, die große
schneeblanke Flemdbrust, Orden hier und da; eiu
unaufhörliches Summen von allen Seiten — eine
kochende Hitze! -—

Glaß amtisierte sich nicht in den ersten paar
Stunden —: er verschlang mit allen Sinnen!

Er sah hin und wieder diesen oder jenen Kame-
raden, wechselte ein oder zwei Worte mit ihm,
fertigte ihn schnell ab, brauchte im tibrigen unun-
terbrochen seine Augen und Ohren, erkannte
immer neue Gesichter, die er bisher nur in Zeitun-
gen auf Postkarten, auf Photogravtiren vorn in
ihren gesammelten Werken gesehen hatte — oder
auf seinen eigenen Phantasieporträts, die er nach
dem Inhalt und Stil ihrer Bücher geschaffen hatte.
Du großer Gott. welch ein Gewimmel von bekann-
ten Namen, aües, was das Land an Geist besaß,
ein Parnaß —: da stand der und da stand jener!
hicr bahnte sich Karise selbst, der vergötterte Vio-
linist, einen Weg, gefolgt von einern Schwarm vou
Damen — dort stand die Schriftsteüerin Lise
Brown, umringt von eitier Schar von Anbetern!
dort, nicht zehu Schritt von Morton entfernt, von

H
 
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