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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 7 (Erstes Juliheft 1914)
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Stramm, August: Rudimentär
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0056

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S i e (tritt ebenfalis, sich noch den Hais reibend
hinzu): . . . nee . . . du . . . so iassen wir dir
nich weg! . . . dät wär ja dat erschte Mai . . .
dät wir n juten Freind nischt vorjesetzt hätten...
(sie nimmt ihm die Pakete aus der Tasche) . . .
ick schiag dir schneii n paar Eier in de Pfanne!

Chaufieur (sträubt sich): . . . ick hab je-
nug von eich Sorte . . .

Er (nimmt ihm die Fiasche aus der Tasche,
entkorkt sie und hält sie ihm hiu): . . . hier . . .
Bruderherz . . . hier . . . dät wär jeiacht! Nee
. . . nee . . . (Er häit dem Chauffeur die Fiasche
an den Alund, so daß dieser gegen seinen Wiiien
trinken muß)

Chauffeur (nimmt einen Schiuck und
wischt sich den Mund): . . . na ja . . . (dann gibt
er die Fiasche zurück, zieht seine Pfeife wieder
vor und setzt sich auf den Bettrand)

S i e (hat inzwischen einen noch nicht ganz zer-
brochenen Teiier gefunden, wäscht ihn unter der
Leitung ab und schickt sich an, die Eier hinein zu
schiagen)

Er (trinkt): . . . nee . . . weest de . . . mein
juter Freind . . . du kannst aiiens hier haben . . .
von mir . . . wat de wiilst . . . so war dät nich
jemeent . . . und mei Weib . . .

Sie (nickt): . . . ja ja . . . (nimmt ihm die
Flasche ab und trinkt ebenfaUs)

Chauffeur (blickt neben sich und sieht das
eingebündelte Kind am Fußende des Bettes): . . .
wat is denn dät? . . .

Sie (jammernd): . . . achott! . . . Fränzchen!
. . . unser Fränzchen!

Chauffeur (lockert etwas die UmhüIIung):
. . . dät kriegt ja keene Luft nich! (Er faßt es an)
. . . dät . . . is . . . ja . . .

E r (hat sich eine Scheibe Brot abgeschnitten
und kaut, tritt jetzt an das Bett heran): . . . dät
hak ooch schon jesagt . . .

Sie (eilt zum Bett, reißt das Kind hoch und
preßt es an sich, weinend): . . . ja ... unser
Fränzchen . . . mein Schtickelcken

E r (tritt wieder zum Tisch, schneidet ein Stück
Wurst ab, schmiert eine Brotschnitte dazu und ißt
gleichmiitig)

Chauffeur: Wenn is et denn jeschtorben?

Sie (wiegt jammernd das tote Kind auf den
Armen, während ihr die Tränen herunterkollem):
. . . wann . . . wer weeß . . . et war ja immer
so schwach . . . un ... (sie bricht in die Knie,
legt das Kind aufs Bett und ihren Kopf darauf)

Chauffeur (steht mit unbehaglichen Bewe-
gungen auf)

S i e (jammernd): . . . wir . . . wir . . . woll-
ten . . . wir haddn ja keen Pfennig mehr int Haus
. . . un ... (sie wird gleichmiitig und steht auf)
. . . un . . . wir han Jashahn uffjedreht . . .

Chauffeur (nimmt die Pfeife aus dem
A^und und schluckt etwas runter): Hm! (Er
schnüffelt in der Luft)

S i e (Iegt das Kind wieder sorgsam ins Bett
und deckt es zu): . . . ja . . . Fränzchen! .. .
schlaf . . . ja . . . jo . . .

Chauffeur (steckt die Pfeife ein): . . . na
. . . da habtr eich wat scheens an Hals jeladen...

E r (hält mit Kauen ein und schaut ihn an)

S i e: . . . wa . . . ?

Chauffeur (knöpft den Rock zu): . . . n
paar Jährchen. Kindsmord!

Sie (schreit auf): . . . Mord!

Er (ist erst starr, dann dringt er auf die Frau
ein): . . . halt dei Maul! . . . halt dei Maul! . . .
vafluchtet Jeschreie! ... (Er schlägt zu, trifft
aber nicht, da die Frau sich auf das Bett fallen
läßt und hinter dem Chauffeur verbirgt)

Chauffeur (nimmt einen Schluck aus der
Flasche): . . . wird eim vadammt koddrig bei!
(Wendet sich zum Qehen) Will nischt mit ze dun
ham! (Er stutzt und blickt auf den Fußboden zur
Tür hin, die sich etwas bewegt hat) . . . wat
war dät?

S i e (blickt zur Tür hin und dann schnell un-
ters Bett): MoIIi . . . (sie eilt zur Tür und ruft
raus) . . . MoIIi . . . MoIIi . . . (sie dreht sich
weinend um und schließt die Tür) . . . nu is
MoIIi ooch weg . . .

Chauffeur: ... hat dä immer da unnert
Bett jelejen?

E r (nickt kauend)

Chauffeur: ... ooch . . . mitn offenen
Jashahn?

Er (nickt): Nu jewiß!

Sie (heult): . . . oh ... et war son treuet
Vieh . . . nich von de Stelle z bringen . . . un
nu . . . (sie geht zum Tisch, schmiert sich unter
Tränen eine StuIIe und beißt herzhaft hinein) . . .
mit uns sterben wollt er . . .

Chauffeur (nachdenklich): ... wenn dä
da drunner . . . nich . . . verreckt is . . .

Er (kauend): . . . son Viech hatn zähet Le-
ben . ..

Chauffeur (schüttelt den Kopf, wendet sich
dann, um auf andere Qedanken zu kommen, zu
dem Mann): . . . Mensch . . . ick denk du has
Schteilung?

Er (immerzu kauend, sieht ihn erstaunt an):
. . . ick? . . . (besinnt sich) ha ick ooch . . . ha
ick! . . . ick werd Chauffeur!

Chauffeur( faßt nach der Tischkante): . . .
du ...?!.. . Mensch! Bei hellen Dage?

E r (hantiert aufgeregt mit Wurst und Brot
in der einen und dem Messer in der anderen
Hand): Wat? . . . ick nich ...?... ick . . .?

S i e (dringt kauend auf den Chauffeur ein):
. . . mein Willi? . . . dä kann mehr . . . wie du
aussiehst! (auftrumpfend) ... ja . . . Chauffeur
. . . Willi . . . Chauffeur . . . bei Haase . . .

Er (greift auf): . . . ja . . . bei Haase . . . je-
wiß . . . Dag und Nacht Haase! . . .

Chauffeur (steht sprachlos)

Sie (sieht den Teller, in den sie vorhin die
Eier geschlagen hat): ach Jott ... de Kühreier ...
(sie quirlt mit einem Messerstiel die Eier)

Chauffeur (wütend): Schwindel! ... in-
famigter Schwindel! . . . und du drehst den Jas-
hahn uff?!

Er (ereifert sich, ohne aber darüber das Essen
zu vergessen, er schiebt ein Stück Wurst und
Brot nach dem andern in den Mund): . . . ick?!
Jashahn?! Wenn ick will? . . . (er schlägt mit
der Faust, in der er das Messer hält, auf den
Tisch) m e i n J a s h a h n? . . . ick kann mit mein
Jashahn machen, wat . . . un . . . un . . . (stößt
immerzu bekräftigend das Messer auf den Tisch)
. . . Schwindel . . . aMens Schwindel . . . jeswiß
Schwindel! . . . nich n Pfennig hak . . . nich ne
Ahnung von Stellung . . . un ick will ooch nich
. . . ick willt nich . . . ick bün keen son Ochse
. . . ! . . . Leb ick nich? . . . (e,r w;eis<t auf
Wurst, Brot und Flasche) . . - jeht et uns nich
jut? ... habn wir z sorgen? . . .

S i e (vom Herd her, wo sie mit der Pfanne
hantiert und inzwischen vergeblich versucht hat,
das Qas anzuzünden): . . . hat keener nich n
Zindholz mehr? . . . dät brennt ja nich! . . .
(Sie wirft eine leere Streichholzschachtel fort)

Chauffeur (zieht eine Streichholzschachtel
aus der Hosentasche und versucht anzustecken):
. . . is ... der Hahn ooch uff?

Sie (prüft): . . . nu jewiß doch . . .

Chauffeur (versucht mehrere Streichhölzer
vergeblich): . . . aber . . . da . . . is doch keen
Jas nich . . . Wo ist denn der Jas?

S i e (schreit auf und schlägt die Hände überm
Kopf zusammen): . . . äch Jott . . . ach Jott! . .
dät hak doch janz vajessen ... ! . . . se habn
uns doch j e s p e r r t . . . jestern han se uns der
Jas jesperrt . . . weil wr de Rechnung nich zahln
kunntn .. .

Chauffeur (starrt sie an, geht dann schwe-
ren Schrittes zum Bett und setzt sich nieder, daß
es in allen Fugen kracht): . . . nu brat mir eener
n Storch . . . un n recht fetten . . .

S i e (schnell, erleuchtet): . . . . dann is
Fränzchen ooch nich an den Jas jestorben! . . .

E r (starrt auf das Wort an der Wand und
schüttelt den Kopf)

Chauffeur: ... nee . . . dät is er nich!
. . . (Er erhebt sich mit einem scheuen Blick auf
die Leiche)

Er (vorwurfsvoll zu ihr): . . . dat is nu wie-
der dein Schlamperei!

S i e (tritt an das Bett und macht das Gesicht
des Kindes zärtlich frei; dann steht sie mit
gefalteten Händen davor, gerührt): . . . . du
. . . Willi . . . nu kiek emäl . . . kiek emal . . .
unser Kind . . . nu kiek doch bloß mal an . . .
Wie nett er daliegt! . . . eenes janz nadierlichen
Dodes . . . (Sie zieht ihren Mann am Rockärmel
näher vors Bett)

Er (starrt wieder auf den Fleck an der Wand,
dann plötzlich): . . . du . . . sag emal . . . weeßt
de . . . (buchstabiert) . . . rudementer . . . du bis
doch son halben Jelehrten

Chauffeur (hat zusammenschauernd einen
Schluck aus der Flasche genommen, tritt jetzt zu
den beiden und sucht übertrieben lebhaft und laut
bramarbasierend etwas von sich abzuschütteln):
Mensch, dät weest de nich? (liest) siehst de doch
. . . dät is wat ärztlichet . . . Aerztekongreß . . .
m . . . in . . .

Er (ungeduldig): Nu wat?!

Chauffeur (überstürzt sich): Oh . . . dät
kannk dr sagen . . . dät kannk dr janz jenau sa-
gen . . . oh . . . ick . . . drei Jahre Saaldiener
jewesen in de Charitee . . . ick (stellt sich in Po-
situr) also (gewichtig) ru — di — men — tär
. . . so heest dät . . . is . . . rudimentär . . . dät
is n Blinddarm

Sie (horcht auf): n wat?

Chauffeur: Ja n Blinddarm! Son Ding,
wat so rumbaumelt . . . wozu? woso? . . . wien
Portmonä . . . vastehst de . . . Portmonä von
dir ... vakommen . . . wat een bloß lästig is
. . . mit sich rumschleppt um drieber z stolpern
(er versetzt ihm jetzt immerzu Püffe) ritsch
ratsch! raus! mits jroße Messer! raus!

Er (sucht sich gegen die Püffe zu schützen
und zieht sich immer mehr zur Tür hin): Mensch!

Chauffeur (ohne sich stören zu lassen, mit
satanischer Lust): Mensch! Mensch! wat men-
schen?! weest de, wat is menschen?

E r (krümmt sich vor Schmerzen): . . . jo . . .
jo . . .

Chauffeur (gibt ihm noch einen letzten
kräftigen Puff und setzt sich dann befriedigt):
Nu, wennt weest! imma bei de Sache bleiben!
Nich n Jashahn uffdrehn ohne Jas! nich Chauffeur
mächen im Bette! immem Hund anbinden! (tippt
sich mit dem Finger auf die Stirn) denken! mei
Jungeken! denken

Sie (stiert jetzt auch auf den Zeitungsfleck):

. . . jo . . . jo . . . rudelmang!

Chauffeur (lacht roh): Raus dermit! Ja!
Dät is der Zimmt!

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