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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 15/16 (Erstes und zweites Novemberheft 1914)
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Kohl, Aage von: Die Hängematte des Riugé
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0109

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„AnhaMen!" Hirai schwang seinen Säbei, er
ging wie ein Sonnenrad tiber seinem Kopf. Die
Soidaten schmissen sich aui die Erde. Die Fiinten
wurden geiaden. Wie Schnicck-schmeck hörte es
sich an.

„Die Schießkette zuerst! Fiinte bereit! Scaic-
ßen!" rief Hirai und drehte sich um zu Kinza, des-
sen Gesicht ganz entsteüt war.

„Lauf zuriick!" schric er mid die Schüsse
schiugen jedes Wort.

Grüß ihn!

Tapfer

— al!es wieder gut!" und cr winktc mit der
Hand, und drehte sich wieder um zu der Abteihmg.

Kinza fiihlte sein Herz so unheimlich groß und
dick, während er wieder zuriickücf — ab und zu
sich klein machend und biegend. um den Schiissen
zu entgehen.

Fr hörte die Schiisse pfeifeud vorbeisausen.

Die Zweige fielen hinter ihm, die Frde wurde auf-
gewiihlt von den Granaten.

Riuge hielt immer noch die Fiinte fest. Bewußt-
los beinahe hatte er das Gefiihl, daß es unerhört
wichtig sei. die Fünte nicht ioszulassen. Dcr
Griff war ganz abgenutzt und fettig von einem
eigentiimlichen kalten Schweiß, der äus der Haut
tropfte.

Er hörte, wie die Abteilung anfing zu schießen.
Eine warme Freude stieg in ihm auf. Jetzt könnten
sie ihn rächen. Jetzt wußten sie alle, daß er —
Die Schiisse fieien dichter und dichter.

Jetzt miißte doch Kinza bald hier sein. Nur
eine Minute. Nicht einmal das. Nur 50 Sekunden.
49 Sekunden! A—ah, jetzt schrie es wieder. Wer
war es doch? War hier ein Hund? Ooder ein
Fuchs? Oder —! —

Nein, nicht eine halbe Minute konnte es noch
dauern. Er versuchte zu horchen, aber sein Ge-
hirn war so übervoii und kochend von Lauteu. Die
Schtisse und die Schmerzen!

Ging nicht jemand im Walde?

Die Zweige brachen doch?

Es war jemand!

Kinza kam!

Es — mußte Kinza sein!

Ja — hier — hier — bin ich — hier, komm
nur — der Draht -

Ah — Gott sei Dank — nimm mich auf — aber
vorsichtig!

Dann gingen die Schmerzen wieder durch ihn,
a—a, a—a, durch seinen ganzen Körper, schnei-
dend, langsam, bitter.

Warum kam denn Kmza nicht?

Er versuchte, die schweren Lider zu heben
und zu spähen, ob nicht Kinza kam. Das arme
entsteiite häßliche Gesicht versuchte zu sehen.
Und durch sein Gehirn, wo die Schmerzen herum-
tanzten, grub sich piötzlich ein Zweifel fest! Viei-
ieicht hatte Kinza gar nicht erzählt, wie das zu-
gegangen war! Oder vielieicht hatte der Leut-
nant nicht Erlaubnis gegeben! Oder Kinza woüte
nicht! Oder sie hatten ihn vergessen!

Seine rechte Hand fing an sich im Handgeienk
zu bewegen. Die haibsteifen Einger versuchten
Kräfte zu sammein. Es rieselte Speichel aus sei-
nem Munde, das machte sein Schrcien zu einem
schauderhaften Laüen.

Ja, sie hatten ihn vergessen!

Sie hatten — ihn — nnr — vergessen!

Ver—gessen! —

Eine Sekunde versuchte eine Weile von Haß
und Wut sich seines armen Gehirns zu bemdch-
tigen.

Ja, sie hatten ihn vergessen, sie fanden nicht,
daß er schlimm genug behandelt war.

Und ein häßliches, abscheuiiches Laüen giitt
aus seinem Mund, der in dem Gesicht wie eine

schräge Wunde hing. in dem breiten Qesicht, in
dem nicht ein Zug wiedcrzuerkennen war.

Könnte er nur schießen! Den Kusseu zeigen,
daß hier jemaud war. Vieüeicht wäre er so güick-
iici), von ihren Granaten getroifen zu werden.

Und seine Rechte spannte sich noch einmai,
daß die verwilderten Sehnen wie ein Knäuel
wcißer Bänder unter der gesprengten Haut iagcu.
iJie Mtindung der Fünte hob sich ein bischen von
dcr Erde; die Kugel flog und warf seine Hand
auf die Stacheln. Der bittere Rausch fiillte scinea
Mund mit Wolle. Er zitterte tiber den ganzen Kör-
per, wie das Fleisch eines eben getöteten Tieres
zittcrn kann.

Aber Afon da oben kam keine Antwort. Sie
hatten genug mit der Abteilung zu tun.

Kiuge weinte. So wie ein Kind weint aus
Furcht vor Prügel. Ein lärmendes Schluchzen,
das seine Brnst stoßweise hob und die Spitzcn
noch fester in sein Fleisch bohrte.

Vergessen — vergessen — vergessen — von
Aüen. Er schrie die Worte mit einer Stimme wie
eines geschlagenen Hundes Heulen: Vergessen —
vergessen — vergessenü!

Kinza war zur Hälfte durch den Wald gekom-
men. Er wußte ohne es zu fühlen wie seine Fiiße
ihm vorwärts ftihrten! Riuge, Riuge sagte es in
ihm.

Dann gab es einen gewaltigen Schlag gegen
seine Beine gleich iiber den Knien. Er machte
einen Sprung mit geschlossenen Füßen und fiel
zur Erde. Einen Augenblick lag er wirr und un-
klar, ohne zu wissen, was passiert war. Schmerz
fiihtie er nicht. Der säuerliche Erdgeruch füüte
seine Nase. Er stemmte die Hände in die Erde
und wollte aufstehen. Und da erst verstand er,
was geschehen war, er gab einen kurzen jammern-
den Laut von sich: der Schuß hattc seine bciden
Knie zerspalten. Er drehte sich auf den Riicken
und setzte sich auf. Es waren ein paar Löcher
in seinen Hosen mit Blutflecken ringsherum; und
einige weiße wie Kalk aussehende Scherben sta-
ken von den Beinen heraus. Es kam plötzlich eine
jagende heiße Stange von Schmerzcn durch die
Wunden. Er konnte kaum atmen.

Dann dachte er an Piuge. Er versuchte sicli
zu heben, aber er fühite seine Beine nicht. Die
waren wie Bleiklumpen.

Einen Augenblick war sein Qehirn ganz erlahmt
und glühend. Was sollte er tun! Riuge? — Seine
Augen erweiterten sich unnatüriich.

Dann schoß eine !dee durch ihn und er iegte
sicli nochmals auf den Rücken und drehte sich
nachher um auf den Bauch. Dann stemmte er die
beiden Handflächen gegen die Erde, setzte zuerst
die Rechte ein bißschen vor, dann die Linke und
schieifte die Beine nach sich. Es war, ais hingcn
die Knie fest in Schrauben, die jedesmai sich in
das Fteisch einbohrten. Er biß die Zäline zusam-
men und knirscihe mti ihnen, um die Schmerzen
in den Beiuen zu tibertäuben.

Wieder setzte er die rechte Hande vor, dann die
iinke und so die Beine. Und so die rechte, so die
iinke, r.nd so die Schrauben in den Knien. Links,
rechts, es war, ais barsten die Muskein.

. Dann mit einmai hörte er einen Schuß vor sicin
Er starrte, ständig die dornenverwundeten Hände
in der Erde, mit der Unteriippe, die, ein biaßroter
Fieischfetzen, herunterhing.

Riuge! Riuge, ja, er wartete auf ihn. Was
soüte er tun, er konnte ihm nicht heifen. Und was
giaubte wohi Riuge? Daß sie ihn vergessen hatten?

Er hob den Kopf und sah, daß nur einige Sträu-
cher fehiten, dann war er da.

„Riuge! Riuge!", rief er und seine Stimme kam
ihm so iaut vor. Er watete wieder vorwärts. So
hatte er den Kopf durch das Dickicht bekommen.

Nociunais ein Scitritt mit den Händen und er
woüte die Bcine herabschieifen. Aber dann merkte
er durch ein.eii wahnsinnigen Schmerz, daß die
Beinc iu deu Zweigen hängen gebiieben waren
und niclit ioskommen konnten. Qrade in den Wun-
den. „Riuge! Riuge!" — rief er wieder, seine
Stimmc tat seinem Hais weh.

Und Riuges Kopf, der iag wie auf einer Schüs-
sci anf der Erdc, Riuges Kopf drehte sich, iangsam
in kieineM scinmüen Rucken, sekundeniangen Pau-
scu gcgcu iin:. Bci jcdem Ruck spritzte ein dünner
roter Straiii at'.s seinem Hais und der Stacheldraht,
dcr um den Hais saß, giich einer Koraüenschnur.
Und zuietzt iagen die haiberbiindeten Biicke d^r
beiden Briider in einander.

„ich giaubtc — vergessen — vergesseu —!"
Die Stimme Riuges fiüsterte und der ktebrige
Speichei giitt mit roten Fiecken tiber seine Lippen.

„ich wurdr, verwundet. in den Beinen!" sagte
Kinza und seinc Stimme kiang tot.

„Abcr Hirai sagte seibst, daß du tapfer bist,
und daß aües wieder gut ist!"

Da liob Riuge nochmais sein Gesicht, der
Schweiß iief von seiner Stirn; es kam ein kieiner
gincksender Laut aus seinem Hais, und um den
Mund ging eine Schnur, die ein Lächein sein
woüte. Und von dem Mundwinkei kam unartiku-
iiert ein Laüen, das eiue Wiederhoiung sein soiite,
von dem was Hirai gesagt hatte:

„Tappy —" sagte Riuge, und wieder war diese
Schnur, die seinen Lippen zum Lächein verheifen
woiite — „Tappy . . . gui wieier . . .!"

Dann fiei sein Kopf in drei kieinen Rucken hin-
unter, er war tot.

Noch einen Augenbiick iag Kinza und sah ihn
?m; in ihm fiiisterte es, Mai auf Mai, daß Leutnant
Hirai gesagt hatte, Ringe sei tapfer und aües set
vieder gut.

Dann hoben sich seine Arme, ganz iangsam. bis
er mit den Beinen fest in den Zweigen hängend
und das Gesicht in dem dürren scharfen Gras lag.
Und mit einmai iächeite er ein ganz wenig, und
füliite nicht, daß Erde und weike Biätter dabei
Nase nnd Mund füüten: ja, dachte er, und seine
Gedanken starben hin in diesem Lächein: ja, Riuge
hatte geuau so gesprochen wte ein Kind, ein giiick-
iiches Kind: Tappy . . . gui . . . wieder . . .

Und dies Lächein iag noch über seinem Gesicht,
ais die Kameraden ihn am nächsten Tag fanden.

Autorisierte Übersetzung von Neii Waiden

Gedichte

August Siramm

fcit

Du steht! Du steht!

Und ich
Und ich
ich winge

Raumios yeitios wägios!
Du steht! Du steht!

Und

Rasen bäret mich
ich

Bär mich seiber!

Du!

Du!

Du bannt die Zeit
Du bogt der Kreis
Du seeit der Geist
Du biickt der Bhck
Du

Kreist die Weit
Die Weit

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