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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 17/18 (Erstes und zweites Dezemberheft 1914)
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Behne, Adolf: Deutsche Expressionisten: Vortrag zur Eröffnung der neuen Sturm-Ausstellung
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Deutsche

Expressionisten

Adotf Behne

Vortrag zur Eröffnuug der neuen Sturm-Ausstettung

Meine Damen und Herren!

Die Aussteiiung, durch die ich Sie auf Wunsch
des Veranstaiters führen wiii, neunt sich eine Aus-
steiiung „Deutsciier Expressionistcn". Ueber den
Begrift „Deutsch" brauciit gewiB nicht viei gesagt
zuiwerden. Nur soviei: es wird sicit empfeitien, iu
Verbiudung mit den hier vertretenen Maiern, mit
Campendonk, Franz Marc, Kokoscitka, tticht so
sehr an Ludwig Knaus und Paui Thumann zu den-
ken, die unieugbar a u c h in Deutschiand geborett
sind, ais viei mehr an die Maier unserer Qotik,
etwa an den Schöpfer der StraRburger Qiasfenstcr,
an die Köinischen oder Westfäiisclten Meistcr,
oder um einen großen Geistesverwandtcn späterer
Zeit zu nennen, an Mathias Qrünewaid. „tteutsch"
— das bedeutet hier nicht Butzenscheiben-Roman-
tik, Mondsclieinpoesie und Vergißmeinnicht-Pin-
seiei, sondern Leidenschaftiichkeit der Darsteiiung,
Drang der Phantasie, Herrschaft des Qeistes

Die Ktinstier unserer Zeit seheu in den frühen
Meistern nicht die Voriagen ihres Schaffens. Keine
Spur von Archaismus ist in ihrer Kunst. Aber sie
erkennen in den Qotikern ihre recittmäßigen Ahnen.
Was sie vereint, ist die Liebe zum Ausdruck.
Nichts anderes bedeutet „Expressionismus". Die
Baumeister, die Piastiker, die Maier und Zeichner
der Qotik waren Expressionisten, ebenso waren es
die Aegypter, die Qriechen der vorktassischen
Zeit. Die expressionistische Kunst, der man mit
Voriiebe das Stigma der saisonhaften Modenarre-
tei anheftet, ist in Wirkiichkeit das Wiederer-
wachen von Neigungen, die in der Kunst zu ihren
gitickiichsten Zeiten stets geherrscht haben. Wäre
jene Liebe zur Qotik, die Manchem heute mit so
verdächtiger Eiie aus der Feder fiießt, ehriich, so
müßte die Marc, Kokoschka, Heemskerck, Mense
iängst zu Ehren gekommen sein, die ihnen zustehen.

Aber weshaib sind diese Biider so sonderbar?
Weii ihre Maier es mit der Kunst ernst und genau
nehmen. Weii sie in den Schwerpunkt ihres Schaf-
fens endlich wieder künstierische Riicksichtcn ge-
steiit haben, anstatt wissenschaftlicher, iiterari-
scher oder geschäftlicher Rücksichten. Man hat
das freiiich getadelt, ais nackten Formaiismus, un-
iebendige Aesthetenkunst. Aber um soiche Dinge
handeit es sich ganz und gamicht. Der Expressio-
nismus kennt keine Form, die ohne Beseeiung,
ohne Ausdruck wäre. Die Form steht ihm im
Dienste des Ausdruckes. Aber dieser Ausdruck
soil ein rein künstierischer sein — je reiner, desto
besser! Wer befürchtet, die absoiute Reinheit des
ktinstierischen Ausdruckes mache ein Werk sterii,
verrät nur, daß er in der Kunst bisher nur das ge-
schätzt hat, was Nicht-Kunst, Trübung, Beimen-
gung war.

Der Expressionismus hat endiich wieder ktinst-
ierische Rücksichten in den Schwerpunkt des
Schaffens gertickt! Was das bedeutet, wird uns
deutiich, wenn wir in Qedanken ein impressioni-
stisches Wierk mit einem modernen vergieichen.
Denn der Impressionismus ist der Prototyp einer
Kunst, die ihren Schwerpunkt verloren hat.

Jedes Kunstwerk, das Anspruch auf diese Be-
zeichnung erheben kann, ist ein Organismus. Ein
unorganisches Kunstwerk ist ein Widerspruch in
sich seibst. Organisch schaffen, ist das Wesen der
künstierischen Arbeit, und die Qabe, geistige Dinge
organisch wachsen zu lassen, ist das, was den
Künstier, in weiterem Sinne, vom Nicht-Künstler
unterscheidet. Das wahre Kunstwerk ist etwas
Gewachsenes, Entstandenes, und der Satz des Bio-

iogen Uexküii: „Nur die Maschmen werden ge-
macht, die Organismen aber entstehen" gilt auch
für die Kunst. Deshaib ist es die erste Aufgabe des
Künstiers, aus dem Schaffensprozeß aiies auszu-
schaiten, was das gerade Wachstum seiner Far-
ben, Formen und Linien beeinträciitigen könnte.

Auch der Impressionist wiil seibstverständiich
einen Organismus schaffen. Aber er verfäiit beim
Schaffen demseiben Irrtum, dem beim Dcnken die
Häckei und sonstige Rationalisten verfaiien: beide
ordnen sich äußeren Tatsäcidicitkeiten — s o g c -
nannten Tatsächiichkeiten! — unter. Haib foi-
gen sie den Biidungsgesetzen der inncnwelt, haib
den Regeln fertiger äußerer Biidungen. Was ent-
steht, kann kein Organismus sein, denn ein soicher
kann nur auf e i n e m Boden wachsen. Es gibt
keine Pfianze, die mit der Häifte ihrer Wurzein im
Qebirge, mit der anderen Häifte an der See wächst.
Wie Kaut unserem Denken einen Schwerpunkt
gegeben hat, so die Expressionisten dem ktinstieri-
schen Schaffen, indem sie es rein wachsen iassen
aus dem inneren Formvermögen, aus der Anschau-
ungskraft, der Phantasie. Der Impressionist dage-
gen gönnt diesen Kräften nur eine bedingte Mit-
wirkung, und darüber hinaus ist sein Qiaubensbe-
kenntnis: „Qeiingt es mir, ein Stück Natur so unmit-
teibar und so richtig zu erfassen, daß sich nichts
Fremdes einschieicht, so habe ich genügend Organi-
sches eingefangen, um ein Biid davon ieben iassen
zu können." Er schafft aiso nicht organisch, sondern
gibt fremde Organismen wieder. Aber Kunst heißt
nicht, Organisches wiedergeben, sondern eben or-
ganisch schaffen. Und weii der Impressionist das
durcheinander bringt, hat seine Kunst den Schwer-
punkt verioren. Sein Bild kann nur noch auf dem
Wege des Zufaiies zu einem Anschein des organi-
Gefüges kommen. Wohi ist die Natur orga.n-iscii,
aber sie ist es nur ais Qanzes! Der Impressionist
kann nur ein S t ti c k der Natur wiedergeben —
Stiicke aber sind ihrem Wesen nach unorganisch.

Ich sagte, der Impressionist erreicht zuweiieii
trotz aiiem den Anschein des Lebendig-Organi-
schen, dadurch nämiich, daß er eine äußere Einheit-
iichkeit über die verschiedenen Teiic iegt, die dem
von ihm herausgerissenen Stiick Natur angehören.
Das ist die Stimmung und zwar meist die atmo-
sphärische Stimmung, eine Einheit, die freiiich ietz-
ten Endes nur wieder stoffiicher Art ist. Daß sich
der Impressionist an die Stimmung kiammert, zeigt
deutiicher ais aiies andere, wie stark bei ihm das
Qefühi ist, den eigentiichen Schwerpunkt des
Schaffens verloren zu haben. Denn die Stimmung
ist selbst etwas Labiles, Unzuveriässiges, nicht
mehr als der Strohhaim, an den sich ein Ertrinken-
der preßt. Das macht die Arbeit des Impressionisten
erst recht wacklig und hin und her treibend. Von
der inneren Uinsicherheit leitet sich die ganze Art
der Nuancen- und Valeurmalerei her, das Tupfende,
Verwischte, Andeutende, fast möchte man sagen:
Stotternde. Der Impressionist rettet sich zu soi-
cher Technik, bei der er am ehesten auf die Qunst
des Zufailes hoffen darf.

Das impressionistische Biid ist seinem Wesen
nach isoliert. Es wirkt in ailer Weit wie ein Fremd-
körper, und nur unter Seinesgieichen in Aussteilun-
gen oder Museen verliert es etwas von einer Isoiie-
rung. Zur Natur verhällt es sich wie Wasser zum
Feuer, und zur Kunst wie ehn Krüppel zum Qesun-
den. Deshalb bleibt ihm nichts übrig, als einen un-
erhört breiten und stark profilierten Goldrahmen
um sich zu nehmen und Kuriosität zu sein.

Das moderne Biid braucht keinen Rahmen. AIs
etwas organisch Gewordenes fügt es sich aiiem
Organischen seibstverständlich ein, jedem sohönen
Raume, jeder Nachbarschaft guter Biider, mögen
sie sein aus weichem Jahrhundert und aus welchem
Lande sie wolien. In aiiem Organischen sind die

gieichen Qesetze an der Arbeit gewesen, aiies Or-
ganische ist miteinander blutsverwandt

Zweierlei gehört zum Wesen des Organischen:
die Zweckmäßigkeit in Riicksicht auf cin bestimm-
tes Ziei und die iebendige Tätigkeit in zusammen-
greifenden Funktionen. Das Ziei des expressionisti-
schen Bildes haben wir erkannt in dem Ausdruck
eines Eriebnisses. Der Impressionist begnügte sich
mit dem Etndruck, mit der Oberfiäche, dem Schein.
Der Expressionist wiii die geistige Quintessenz
cines Eriebnisses. Das Mittei, sie zu erreichen, ist
fiir die Kiinstier, die hier vertreten sind, der Kubis-
mus.

Der Kubismus, der in dem Kufe steht, eine
kaite inteiiektueile Methodik zu sein, ist in Wahr-
heit vöiiig aus dem Qefiihl geboren und wiii ledig-
iich Anspriiche des Qefühis befriedigen. Freilich
nicht das Qefühl dafür, ob ein Stiick der Biidfläche
Seide oder Woile darsteiit, sondern das Qefühl
fiir den innersten Zusammenhang der Dinge, ein
kosmisches Weitgefiihi. Der Kubismus ist nicht
Seibstzweck. Der Maier, der Biidhauer, der Archi-
tekt ist nicht kubistisch, um kubistisch zu sein, son-
dern weil sich gewisse Dinge nur in dieser Sprache
sagen iassen.

Was zu der Entstehung dieser Sprache führte,
war der Wunsch, dem Bilde das funktioneiie Leben
zu geben, das zum Wesen eines wahren Organis-
mus notwendig gehört. Das impressionistische Biid,
herausgerissen und isoiiert, war starr. Das expres-
sionistische Bild, ein iebendiger Kosmos, und daher
ailem Kosmischen eingebettet, nimmt teil an der
ailgemeinen Bewegung der Weit. Deshaib sind
seine Formen nicht starr, sondern flüssig. Die
Form wird mir nicht fertig gegeben, sondern sie
wächst und entsteht. Ftir fertig übernommene
Gegenstände ist im dieser Kunst seibstervständiich
kein Platz. Aber was ftir ein Armutszeugnis wäre
es nicht für die moderne Kunst, wenn sie nocii im-
mer an der Qesetziichkeit des Gegenständlichen
haften woilte, nachdem unsere Denker längst die
Bedeutungsiosigkeit des Qegenständiichen ftir jede
tiefere Erkenntnis durchschant haben.

Der Kubist kann seinen Formen nur dadurch
den Sinn des Werdens, das funktioneiie Leben ge-
ben, daß er die einzelnen Eicmente der Form viel-
deutig macht. Im impressionistischen Biide war
jedes einzelne Stück etwas Bestimmtes: Baum-
stamm, Laub, Wand, Woike usw. Daher die Starr-
heit. Wenn der Kubist die Form entstehen
iassen wiii, so darf er sie nicht abschiießen, er muß
sie aus dem Qanzen herausschwingen iassen, her-
ausfiießen. Das einzeine Stück der Fiäche bedeu-
tet nichts, erst in der Beziehung mit alien anderen
erhäit es seinen Sinn. Der Maier kam aiso not-
wendig zu Eiemcnten der Form, die für sich stoff-
lich und gegenständiich neutrai sind. Kubismus
heißt nicht, daß es unter aiien Umständen Kuben
sein müssen. Sonst wäre der Kubismus das, was
er am aiierwenigsten ist: eine dumme Art der Stili-
sierung. Der Ausdruck Kubismus bedeutet ver-
nünftigerweise nur, daß sich fiir den modernen
Maler Eiemente zum Aufbau der Form empfehien,
die wegen ihrer von Fern geometrieähniichen Art
die Kristallisation des Ausdruckes ermöglichen.
Deshalb ist der Kubismus eine geometrische Wis-
senschaftlichkeit sowenig, wie etwa der Pythago-
räismus eine Pcchnerei war. Er hat vielmehr wie
jener einen mystischen Grundzug.

Die Qegenwart eines futuristischen Biides gibt
uns Qeiegenheit, den historischen Ausgangspunkt
der kubistischen Formensprache kennen zu lernen.
Es zeigt sich sehr deutiich, daß der Antrieb zur
Schaffung dieser Sprache ein Gefühl war. Der
Futurist woilte den denkbar stärksten Ausdruck
des Lebens vermitteln, seine Beweglichkeit, Un-
endiichkeit, Intensität und den Peichtum seiner Be-
 
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