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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 17/18 (Erstes und zweites Dezemberheft 1914)
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht [20]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0119

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um diesen gewaitigen Körper, der mit einem knir-
sehenden Laut anfängt, da drinnen zu erschiafien.

Wieder ftihlt er die Kiinge einmal matt in sei-
nem Halse sägen, hört ein Herauswürgen aus dem
Munde da oben, sptirt die großen, schweißfeuch-
ten Pänste, die kiatschend an seiner Wange tasten
-und versagend mit dem Daumen nach seinen Augen
suchen. Eine sttirmische Woiiust steigert auf ein-
mai seine Kraft tiber aüe Qrenzen hinaus, wie
eherne Kiefer schiießen seine Arme sich gnaden-
ios, von zerbro.chenen Knochen kracht und knackt
es da drinnen . . . und gieich darauf taumein beide
nm, Kari Mumme zu unterst mit einem Seufzer.

Zähnefietschend sitzt Morton mit einem Sprung
auf sein-er krampfenden Brust, die nachgibt. Er-
Mickt im seiben Augenbiick dort drei Schritte ent-
fernt unter dem wehenden Banner —: die iange,
rctgiühende Purpurwunde in Annies Leib! Seine
Nervgn expiodieren; er sieht auf einmai das Mes-
ser, das Mumme hat faiien iassen, es iiegt da auf
der Erde dicht daneben — er ergreift es verzweifeit,
hebt es hoch und dtirstend empor, gewahrt das
funkeinde Auge da unten, das sich biutgesprenkeit
aus dem biau erstickten Gesicht herausbeult, jagt
die bewaffnete Faust mit aiier Kraft da hinab —:

Ja!

Bis auf den Qrund!

Bis auf den inuersten Qrund da drinnen —:
D a! . . .

Ein Sieden! Die Kiingenspitze stößt spröde
gegen eine Knochenwand tief da drinnen. Siedend
heiß schäunit es währenddessen gegen seine Hand
auf. Es dreht und windet sich wiid unter seinem
Qewicht. Ein tanggezogener, röchelnder Laut
dringt an sein Ohr, er erkennt ihn quaivoii wieder,
weiü! aber setbst nicht woher. Empört sich jäh
dagegen. Erhebt knurrend von neuem die Waffe.
ist schon unterwegs nach unten hinab damit, in
einem erneuten Stoß. Hört da aber wieder, erster-
bend schwacb, dies heisere und entsetziiche Qur-
gein — das im seiben Augenbiick ganz verstummt.
Erkennt es wieder, weiß piötziich und bebend wo-
her —: genau dasseibe grauenvoiie Quaigestöhn,
das er vorhin aus Annies Kehie gehört hat, Mord..
und da durchschauert es ihn eisig bis in sein Mark
hinein, das Messer wendet sich von seibst in seiner
Faust, er erhebt sich mit der Spitze zieiend gegen
seine eigene Brust, es biitzt, fährt nieder, er fühlt
seinen Feuerstrahi durch sein Herz zischen, er
sinkt mit einem Schrei zurück, aiies wirbeit und
braust um ihn her —:

Annie!

Ach Gott —:

Habe ich nun auch die Hoffnung auf dich ver-
scherzt! ....

Und kopftiber stürzt er im seiben Augenblick
meiienweit hinab, tief, tief hinab, beständig tiefer
hinab — durch Dämmerung, durch Finsternis, bis
zu einem erfrierenden Kohlschwarz, worin er in
eiuem Nu zusammenschrumpft.

Es wird voiikommen stumm um ihn her.

ich bin nicht mehr.

Bin tot . . .

Vil

Die drei Herren, aiie in Schwarz, stiegen, dicht
hintereinander — Qiaß Morton voran, sehr auf-
recht in seiner zugeknöpften Redingote; mit einem
beständigen und unbestimmten Lächein um den
Mund; todmtide in sämtiichen Qiiedern; und mit
spähenden Biicken nach beiden Seiten — stiegen,
piötziich schweigend, die bequeme, perigraue
Treppe hinauf; sie mündete oben im ersten Stock-
werk auf einen iangen und sehr heilen Korridor,
der durch die ganze Ausdehnung des Qebäudes
ftihrte.

„Nein —: dahin, Herr Morton, nach der andern
Seite, wenn ich bitten darf!" — rief von Qeer ge-
dämpft zu hinterst, noch ein paar Stufen tiefer, sei-
nen Oberkörper vornüberiehnend und eine Be-
wegung nach iinks zu machend.

Qiaß gehorchte mit einem Ruck. Offenbar,
dachte er gieichzeitig von neuem im innersten In-
nern, mit einem Schaudern —: ist da noch nichts
geschehen mit .... 1hm, aber wann denn?

„Hier!" — fuhr der Professor eiuen Moment
später fort.

Sie standen aiie drei stiii.

Vor einer hohen, grtin iackierten Tiirfüiiung —
an der oben ein kieines, kreideweißes und ovaies
Porzeiianschiid mit der Zahi siebenunddreißig in
schwarzen Ziffern hing.

Assessor Deiitzsch trat mit einer Schulter-
drehung einen Schritt vor die beiden andern,
streckte seine rechte Hand nach dem bianken Mes-
singtiirgriff aus, hob forschend den Biick zu Mor-
tons Antiitz und iieß ihn dort eine kieine Weiie
verharren —:

„Nicht wahr," — bemerkte er währenddessen
iangsam und haibiaut, seine schmaien Lippen
netzend — „die Herren woiien also gütigst noch
einen Augenbiick hier draußen Piatz nehmen!?

Ich werde die Wartezeit so kurz wie mögiich
machen!

Verzeihen Sie!"

Mit einer steifen Verbeugung veriieß er sie,
verschwand hinter der heilgrtinen Tür — und
gieich darauf unterschied man seine Stimme von
da drinnen her, erregt und eintönig, ununterbro-
chen redend.

Qiaß, der dastand, die linke Schuiter gegen die
jenseitige Mauer geiehnt, kurzatmig und mit zit-
ternden Knien, starrte fiebergespannt und um-
nebeit um sich — bemtihte sich zu hören, was da
drinnen vor sich ging. Er erbiickte jetzt indessen
eine geib gestrichene Bank, die dort ihm gegentiber
stand, mit der Rückiehne gegen die Wand, hinter
der die Stimme des Assessors kiang —:

„Ich giaube," — sagte er ieise — „daß ich mich
so iange setzen werde!

Es ist recht heiß hier drinnen!

Und wer weiß — :

Vieiieicht geht das ganze nicht so einfach, wie
Herr Deiitzsch meinte!"

Er faßte unbestimmt eine eiiige und zuvorkom-
mende Antwort von Qeers auf, war schon auf
die Bank niedergegiitten, iieß jetzt mit einem kiei-
nen Seufzer seinen Nacken gegen die ktihie, giatte
Mauer zurückfaiien, kiemmte lauschend seine Au-
gen zu —: wann, dachte er dabei und schauderte
—: und wie?

Einen Augenblick betrachtete er mit unerkiär-
iichem Schreck seine Arme und Hände — wie
um zu ergründen, ob wohl geheime Vorsätze da
drinnen in ihnen verborgen seien; meinte piötzlich
tatsächiich, in ihren. Muskeln und ihrer Haut ein
häßliches Qefühi sptiren zu können, ais wenn sie
sich begehriich rund um irgend etwas Lebendes
klammerten, um etwas Weiches und Warmes und
Widerstrebendes — das gieich darauf kait und un-
bewegiich und hart wurde, mein Qott, woher
kannte er dies Qräßiiche wieder . . . oder war es
die Vorausahnung von etwas, das erst binnen kur-
zem geschehen soiite?? . . .

Mit einem Ruck riß er sich von diesen Vorstei-
lungen los.

Versuchte, mit den Augen zwinkernd, um sich
zu sehen —:

Ein paar Schritte rechts von ihm war ein gro-
ßes Fenster mit frisch geputzten, unendiich
schwach biäuiich schimmernden Scheiben — das
nach einem mächtigen, sonnenflammenden Rasen-

piatz hinausiag, mit kiesbedeckten, gewundenen
Steigen, bunten Tuipenbeeten hier und da und
griinen Bosketts; in beträchtiicher Entfernung
von zweistöckigen. heiien Qebäuden mit roten
Dächern und biendenden Afarkisen umrahmt. —
Nach iinks zu, etwa zwanzig Eiien entiernt, unge-
fähr mitten in der Länge des Ganges, sah man das
bianke, weiße Qittergeiänder der Treppe, auf der
sie eben aus dem Kontor im Erdgeschoß herauf-
gekommen waren. — Noch weiter entfernt endete
der Korridor wieder mit einem umfangreichcn
Fenster, durch das eine goidene Riesenfiäche von
Sonne über den braungefirnißten Fußboden fiei —
mit dem Kreuz der Sprossen aus Schatten. Türen
wurden hin und wieder da hinten geöffnet. Weiß-
gekieidete Krankenpflegerinnen bewegten sich
iautios. In der erhitzten Luft hing dicht und auf-
reizend der kompiizierte Geruch aus Jod, Chioro-
form und Aether — hin und wieder einen
Augenbiick von einem kühien und biütenduftendeR
Hauch weggefegt, der durch eine kieine offene
Luftscheibe hier oben rechts nahe an der
Decke drang. Vogeigezwitscher ertönte heil da
draußen. Und dich hinter Mortons heißem Nacken,
aus Zimmer siebenunddreißig heraus, kiang ohne
Unterbrechung diese eintönige und entnervende
Stimme, die zu . . . zu Kari Mumme redete! Zu
dem Mörder — der jetzt binnen knrzem selber . . .

Morton war alimähiich auf seinem Sitz zusam-
mengesunken.

Er hatte schiießiich, um sich gegen eine etwaige
Beobachtung durch von Qeer zu schützen, seine
Augen geschiossen — bemiihte sich nuuauch seibst,
seibst, seinen Qedanken zu enttiiehen.

Aber tief drinnen in ihm wäizten sie sich be-
ständig hin und her. auf und nieder, nach recitts
und nach iinks, in einem iangsamen und iodernden
Chaos — diese wahnsinnigen und quaivoiien Fra-
gen, die ihn unaufhöriich verfoigt hatten, seit er
heute morgen zu sich gekommen war, einige Mi-
nuten vor aciit Uhr, daheitn in seinem Zimmcr,
attf dem Fnßboden iiegend —:

Sage mir, griibeite er bange —: sage mir ein-
mai, was bedeutete wohi schiießiich jener schreck-
iiche, wache Traum von dem Raclieakt gegen Kafi
Mumme?

War er vieiieicht schiecht und recht eine wider-
iiche, ieibhaftige Hailuzination, an und für sich na-
türiich aus dieser endiosen Nacht. geboren, wo sein
ganzes Wesen unabiässig um die Erinnerung an
Annies Tod gekreist hatte — und rttnd um das Be-
wußtseiu von dieser Begegnung mit ihrem Mörder
heute? Oder konnte man sich denken, daß er eine
Art Vorbedeutung von Dingen war, die jetzt bin-
nen kurzem geschehen wiirden — mit seinem voi-
ien Wissen und Wiiien??

War es ein mystischer Auftrag an sein Fieisch
und Biut — ein ferner und tiefer Befehl, der aus
dem gewaitsameren Qebiet einer fremden Weit
seine Nerven erreicht hatte — und dem sein Körper
in geheimem Qehorsam binnen kurzem nachzu-
kommen gedachte, wenm er diesem Mann von An-
gesicht zu Angesicht gegentiber stand?

Oder . . .

Oder endiich . . .

Aber nein, sicher nicht, dergieichen war ja un-
mögiich! Ein reiner Abergiaube von Anfang bis zu
Ende!

Seibstverständiich! Ja, aber erzähie mir trotz-
dem —: wissen wir im Qrunde jetzt irgend etwas
Tatsächiiches, für oder wider . . . dies, woran doch
zahilose Menschen einstmals voü und fest giaubten
—: daß unser Sinn in Wahrheit über magische
Kräfte gebietet!?

Daß, so wie unser Zorn wirkiich kalt machen
und stechen kann; und so wie unsere Zärtiichkeit
leuchtem und wärmen kann — ebenso unser Haß,
 
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