Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

DOI Heft:
Nummer 19/20 (Erstes und zweites Januarheft 1915)
DOI Artikel:
Kosztolányi, Dezső: Der Detektiv
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0135

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
mehr da, verschwand nnter einem Schwarzkünst-
lergriS. verdampfte ins Nichts, in eine neue Dimen-
sion, die mir voiikommen unbekannt ist, und jetzt
habe ich die Empfindung, daß nicht bloß gegen' mich
ein Attentat vertibt worden sei, sondern gegen die
Ordnung, gegen die Urlogik. Verzweifelt strengte
ich mein Gehirn an. Der Diebstahl bleibt immer
unverständlich. fst dem Wunder und dem Wahn
verwandt.

Im Winter des vorigen Jahres wurde bei meiner
Tante iH Siebenbürgen eingebrochen. Sie war am
Morgen von Hause fortgegangen und als sie am
Abend heimkam, fand sie die Tür weitgeöffnet, an
den Klinken von Stemmeisen hinterlassene Spu-
ren, die alten Schränke von Afessern beschädigt,
elne der Stuben ganz ausgepliindert. Meine Tante
erblickte dieses wtiste, düstere Bild, sprach kein
Wort und ging fort. Sie hatte in der Bank noch
genug Geld liegen. um damit getrost ein neues
Leben beginnen zu ikönnen, und dennoch sprang sie
in den Fluß. Sie konnte das Unglaubliche und
Wundersame dieses Vorfalls nicht erfassen.

Mein Schmerz war ähnlich. Im Anfang kiihlte
ich mein Pieber mit wildem und systemloseu
Sucheu. Durchstöberte jede Lckc und jeden
Winkel der Stube, schob die Schränke fort, kroch
unters Bett, suchte zwischen den 'I urflügeln. Mein
Gesicht wird rot, mich erfaßt Aerger. Ich sehe den
Instaiiateur, wie er meine Uhr fortträgt: ein fiinf-
zigjähriger, hagerer Mann mit gemütlosen bleifarb-
nen Augen, ergrauendem Schnurrbart, rauhem und
traurigem Gesicht.

„Einsperren lasse ich den Schuft!" spreche ich
zu mir.

Dann nahm ich einen Wagen, eilte zum Installa-
teur, der in einer Kellerwohnung wohnte, irgendwo
draußen in der Vorstadt. Zum Glück war er be-
reits daheim. Im scharfen Lichte einer elektrischen
Lampe schaute er gelassen und ruhig zu mir auf.

„Meine Golduhr ist verscwunden," die Worte
kamen mir mechanisch und gedankenlos von den
Lippen, „aus der Stube, in der nur Sie waren.
SoIIten Sie nicht versehentlich. . .

Der Installateur zuckte die Achseln, hob dle
Arme und winkte, ich möge seine Taschen durch-
suchen.

„Aber!" ich lachte höhnisch auf. „Wenn ich die
Uhr bis morgen in der Frühe nicht wiederhabe, er-
statte ich die Anzeige bei der Poiizei."

„Nach Belieben!"

Er schrieb mir sogar seinen Namen auf, die ge-
naue Adresse. Ich ging fort, irrte in der Stadt um-
her, verspürte kein Verlangen heimzugehen.
Schwelgte in dem Gedamken, daß ich diesen
schlauen Verbrecher einsperren lassen werde. Ein
echtes Verbrechergesicht übrigens. Sein ergrauen-
der Schnurrbart und seine Augenbrauen sind grün-
lich und feucht wie Schimmel.

Den andern Tag rannte ich zur Polizei, wo ich
noch nie im Leben war. Plärrenden und puter-
roten Menschen begegnete ich, die warteten und
warteten, vor versperrten Tiiren stumm und fie-
bernd warteten und unter Herzklopfen erzählten,
was ihnen widerfahren sei. Ich verirrte mich in den
strengen weißgetünchten Gängen und mein Atem
stockte. Endlich stand ich vor dem Polizeikom-
missar und erstattete Anzeige. Sofort wurde die
Untersuchung eingeleitet.

„Ist es sicher, dass der InstaHateur den Dieb-
stahl begangen hat?" fragte der Polizeikommissär.

„Ganz sicher!"

Dann zog ich die Augenbrauen ein wenig hoch:

„Höchstwahrscheinltch . . ."

Zeitig am Alorgen weckte mich scharfes Klin-
geln. Nach einer beinahe ganz schlaflos verbracn-
ten Nacht. Ich hatte mich lange in den Polstern
gewälzt, bis sich endlich meine Augen schlossen,
ttnd dann erschien mir wohl an die tausend Mal der

btaubebluste Arbeiter, der mich gleichmütig ansah,
der Dieb, ein wirklicher Dieb, wie ich ihn bisher
bloß aus Theaterstiicken kannte. Im Trattme
sah ich, wie er schwere Felsstücke auf dem Rüaken
schleppte, in einer finsteren Zellenecke hockte.
Seine Pupillen sprühten Funken. Gequält öffnete
ich die Angen. Vor meinem Bette stand ein
Fremder.

Er benahm sich so heimisch, als seien wir alte
Bckannte.

Stellte eineu Stuhl an mein Bett, setzte sich und
schaute mir ins Gesicht.

„Sie verzeihn, ich komm von der Polizei."

Mein Herz schlug laut unter der Decke, aucii
mein Gesicht erbleichte. Doch ich wollte den
Gleichgültigen spielen und schaute ihm gelassen ins
Gesicht.

„Ich bin Detektiv", sagte er trocken.

Um meine machtlose Aufregung zu bemänteln,
schloß ich die Augen ein wenig, als sei ich schläfrig,
drückte den Kopf in die Polster und es fiel mir der
mürrische russische Student ein, den der Detektiv
iu gleicher Lage fand. Doch der Student ftirchtete
sich nicht, obwohl er gemordet hatte. Nicht einmal
die Hälfte meiner Furcht hatte er auszustehen. Es
ist vergebens, ich bin nicht znm Helden geboren.
Habe gerade genug Kraft, um meine Augen offen zu
halten.

Dieser Detektiv ist ein gesunder rotwangiger
Mann, ein kleiner blonder Schnurrbart hockt ihm
unter der Nase. Nur seine Augen sind durch-
dringend, kaltblau und seine Gesten entsetzlich
sicher. Meine linke Hand hing träge vom Bettrand
hinab. Sofort bemerkte ich, er starrt sie steif an,
umfaßt mit einem Blick meine Augen^ meine Fin-
ger, durch die die Neurasthenie wie ein elektrischer
Strom prickelt. Die Nasenflügel des Detektivs
weiten sich. Er schnuppert herum. Nicht einmal
em Spiirhund schnüffelt so gierig. Mit allen Sinnen
ist er auf der Lauer.

Ich trank ein Glas Wasser. Sprach dann ent-
schlossen:

„Sie wünschen?"

„Ich möchte um einige Details in der Diebstahls-
angelegenheit bitten."

Ich begann. Daran hatte ich gar nicht gedacht.
Und es konnte doch von nichts Anderem die Rede
sein. Sofort fühlte ich mich erleichtert.

Der Detektiv hörte meine Worte, wandte aber
seine Blicke noch immer nicht von meiner linken
Hand, die über den Bettrand hinabhing. Seine
Blicke brannten wie Sonnenstrahlen, die durch den
Fokus eines Brennglases dringen. Es war peinlich.
Ich hätte die Hand in jedem AugenMick zurück-
ziehen können, doch befürchtete ich, es könne ver-
dächtig erscheinen. Ich bin doch der Kläger, muß
mich ganz natürlich benehmen, umsomehr, als ich
doch keinen Grund zur Furcht habe. Ich dachte an
die Romantik schlechter Detektivromane und
lächelte sogar heimlich. Dieser rotwangige junge
Mann sollte nach der Asche meiner Zigarette mei-
nen Charakter bestimmen können? Dann hätte es
doch für ihn gar keinen Sinn, noch immer so scharf
auf meine Hand zu starren, die von der Schlaflosig-
keit blaß ist. An ihrem Ringfinger steckt ein gol-
dener Ring. sonst ist nichts Auffallendes an ihr.
Wenn ich sie auf einen Augenblick betrachten
könnte, würde auch ich mich davon überzeugen.
Blut klebt nicht an ihr. Doch ist es mir nicht mög-i
lich, die Hand anzuschauen, wie es mir auch nicht
möglich ist, meine Nerven noch mehr zu reizen,
noch länger diesen stechenden, brennenden
Schmerz verursachenden Blick zu ertragen. Ich
spreche hastig und reiße im Eifer des Gesprächs
plötzlich die Hand unter die Decke.

Der Detektiv lächelt. Mir bleibt das Wort in
der Kehle stecken.

„Weshalb lächein Sie?"

„Ich?" fragt der Detektiv mit dem unschuidig-
sten Qesicl]t. „Ich lächle doch nicht. Belieben Sie
doch fortzusetzen."

„Mein Herr, Sie starren ununterbrochen auf
meine Hand!"

Der Detektiv Iächeit wieder.

„Sie scheinen nervös zu sein.'^

Ich spractt weiter. Doch jetzt beobachtete ich
den Detektiv. Sah, wie er alles in der Stube
prtift, weiß, wievie] Sessel ich besitze, wie meine
Türen, Fenster, Kiinken; sogar die GeMstücke hat
er abgezählt. die ich am Abend auf den Nachtisch
gelegt habe. Ich gehörte nicht mehr mir selbst.
War in das Gewirr einer verwickelten Angelegen-
heit geraten, in ein tausendfaltiges Netz von Ruhe-
losigkeit, Aufregung und Vcrfolgung, das mich mir
selbst entreißt, meine Ruhe vernichtet, mich zum
Opfer eines unbedeutenden Vorfalles macht. Jedes
Leben hat seine Geheimnisse und dieser aufdring-
liche Fremde ist sogar fähig, in den Vorhof meines
Herzens zu dringen. Plötzlich richte ich mich im
Bette auf.

„Ich habe mir die Sache überlegt," stammelte
ich, „und ziehe die Anzeige zurück."

„Das ist ausgeschlossen", sagt der Detektiv,
„es liegt ein Delikt vor, das von amtswegen ver-
folgt werden muß."

„Wenn ich aber nicht wiH? . . ."

„Warum?"

Ich konnte nicht antworten. Wurde verwirrt.

„Und," fragte ich, „wird der Dieb wenigstens
bestraft werden?"

„Wenn die Tat erwiesen ist, sicher."

„Er wird eingesperrt?"

„Jawohl."

„Kommt in den Kerker?"

„Jawohl."

„Haben sie schon Beweise?"

„Jawohl."

Der Detektiv war recht wortkarg. Stand auf,
empfahl sich, um wieder auf die Jagd nach dem un-
glückseligen Verbrecher zu gehen, der ihm nicht
mehr entkommen wird.

„In einigen Tagen werde ich noch weitere De-
tails brauchen. Sie haben wohl nichts dagegen,
wenn ich wieder komme. So um die gleiche Zeit.
Oder am Abend zwischen acht und zehn. Da
pflegen Sie immer zu Hause zu sein."

„Woher wissen Sie dies?"

Er lächelte.

„Ich weiß es."

Er verbeugte sich. Ich wollte ihm den Ausgang
zeigen, doch ging er so sicher, als sei er schon öfter
bei mir gewesen.

SoIIte er mich schon sonstwie gesucht haben?

Ich wusch mich mit eiskaltem Wasser, das er-
frischte mich etwas. Draußen auf der Straße
herrschte Tauwetter, musizierende Frühlingswlnde
wehten, die von weiten Wassern herkamen und der
Wasser reinen Geruch mir ins Gesicht hauchten.
Die Sonne schien. Im funkelndem Licht spazierten
viele Leute noch in den dunklen Winterkleidenn
Unbekannte Gesichter. Früher kümmerte ich mich
nie um sie. Ich kenne sie nicht und also gehen sie
mich auch nichts an. Nun versetzt mich diese
Fremdheit in Aufregung.

Die Beschäftigung prägt jedes Gesicht aus, es
gibt Advo.katengesichter, Professorengesichter, Be-
amtengesichter, Schauspielergesichter, auch solch'j,
dic gar nicht verraten und eben deshalb verdächtig
sind. Wenn ich diesen begegne, werde ich von
Furcht ergriffen. Diese bedeutungslosen, elegan-
ten und diskreten Spaziergänger sind bestimmt

t33
 
Annotationen