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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 21/22 (Erstes und zweites Februarheft 1915)
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Knoblauch, Adolf: Die schwarze Fahne [2]: Eine Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0148

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düstere siavische Hitnmei, ein Autbäumen, ein stei-
lerSchrei...

Bran geht teise iti sein Zimmer; die hochschwan-
gere Frau des Arbeiters droben in der Mansarde
des Nachbarhauses zündet die t.ampe an, ihr
Schatten geht stitt am Fenster hin nnd her. Eine
düstere Stimme zermatmter Betrübnis hat sich in
der hetten Festtichkeit erhoben und dringt in die
graustumme Nachthöhe.

Einige weinende, rufende Worte gehen in Brans
Herzen auf wie einsame Sterne, aber regungsios
steht er und wartet.

Ein Raschetn dröhnt durch die engen Wände,
das Haus verstummt vöttig, die Tür, die noch im
Spatt offen steht, läßt das Rascheln, das trübe ver-
derbtiche Geräusch einer feindseiigen Stimme zu
Bran dringen, sie packt ihn am Hals, beißt zu,
würgt .... Mit undurchdringtichem finsterem
Schmerz horcht Bran auf das Gespräch in Frau
Hannahs Küche: Frau Lise wird nach Hause zu-
rückkehren und es wird cin richtiger „Puppentanz"
beginnen.

*

Bran geht hin zur Frau Hannah, ats er hört, daß
das Kinderfräutein ins Sanatorium zurückgetaufen
ist. Er bittet sie um die Adresse von Frau Lise.
Frau Hannah gibt sie zögernd und verwundert, Es
ist schon spät, a!s Bran, unfähig seine rasche Tat
zu hemmen, einen Brief an die Unbeschützte auf
ihrem Gute schreibt, voHer Dankbarkeit darüber,
die teure Adresse in den Händen zu haben. Er hat
die Empfindung, a)s so))te sie in dieser Nacht ster-
ben, ais schreitet eine düstere Stimme zermahn-
ter Betrübnis über ihre Frauen-Innigkeit dahin.

Bran kann Frau Lise durch nichts erfreuen, er
darf ihr nicht dienen und zur Seite stehen. Aber
er kann ihr danken, daß sie ihm freundiich ge)äche)t
und auf seine Geistigkeit mit aufmerkendem Auge
geschaut hat. Das ist eine große Herrhchkeit, um zu
danken. Gehe nicht fort von mir, tritt ein in die
hohe Fest)ichkeit meines heutigen Abends, denkt
Bran und spricht es in seiner Stiiie, während er die
verhaltenen Worte niederschreibt, mit denen er in
ihr Getanenes und Ungetanenes tief eingeht.

Er dichtet von Frau Lise ein sanftes, alimächtiges
Lied, von ihrem Leid, das gebrocken und hülflos
gebannt, von dem Leben, das in Engnis und Trüb-
nis verdüstert ist, vou der Liebe auf deren Brust
ein würgender Albe hockt. Und er dichtet das feier-
liche übermenschliche Erstrahlen im Leid, wie es
unbegrenzt aus Engnis und Trübnis führt, den
Sturm der Liebe, der gegen die Alben anrennt, das
herrliche Frohlocken, von dem die sturmringende
Brust iauchzt . . .

Er dichtet eine Frau Lise, die er ersehnt, zum
Schicksalskampf bereit. Vor dem Armen am
Schreibtisch taucht ihr rätselhafter Blick aus näch-
tiger Ferne auf, in herzerarbeitender Nähe scheint
er mit ihr zu reden, sie auf die Probe zu stellen mit
unsäglichen Fragen, aber indem sie langsam zum
Schatten wird vor diesem ehernem Wiilen, kehrt
sie sich ab, und plötzlich sieht Bran die runde,
feste Linie ihres fleischigen Rückcns, von ferne
wendet sie noch einmal das gespenstige Antlitz zu
ihm, aber ietzt ist ihm, als schneidet es eine Gri-
masse. Bran wird sich der Einsamkeit bewußt,
ein Zwiespalt keimt, fremd klafft das Nahe, Heim-
Iiche. Er hält inne, schiießt den Brief und trägt
ihn durch die nächtlichen Straßen zur Post.

Der Frost steht gitternd vor den überheilen
Laternen, die Häuser sind stumm und schwarz,
und eine dichte Finsternis verhüllt streng Erde und
Wald. Kein Ruf, kein Weinen, kein Wirbel der
Not, kein Schrei dringt mehr durch diese Nacht,
verloren ist Bran, er hat Angst . . .

t4*

Der Brief

Bran wird am Abend des zweiten Tages nach
seinem Brief in Frau Hannahs Stube beschieden.
In Iangen gelben Flächen geht das Licht einer
Küchenlampe durch den frostigen Raum, wunder-
lich eckig hockt Finsternis im spitzen blassen Ant-
litz Frau Lisens und in dem der frierenden Frau
Hannah.

Bran sieht, daß ein Zusammensein zu Dreien
nicht die. Antwort auf seinen Brief sein kann, der
sie entschieden nicht erreicht hat. Frau Lise richtet
die peinliche Bitte an Bran, vor Hannah zu erklä-
ren, daß sie kein „Verhältnis mit ihm habe". Bran
ist verwirrt über ihr Verhängnis, aber gibt ihr
keine Erklärung und erzählt den beiden Frauen mit
Schonung von seinem Brief.

Frau Lise hört nur das Eine heraus, daß sie
einen Brief bekommen soil, sie bangt vor dem
Unheil, das in diesem Augenblick ein solcher Brief
ihr bringt.

Frau Hannahs knochige rote Hände erheben
sich gegen Bran: „Und mich mußten Sie nach dem
Gut der armen Dame fragen, die schon unter dem
Unglück ihrer Familie zu leiden hat. Wir haben
Ihnen so vertraut, und während ich die lieben
Weihnachtslieder spielte, schrieben Sie einen
schlechten Brief ..."

Die beiden Frauen verhandeln hastig mitein-
ander über die Möglichkeit, den Brief, der Frau
Lise bloßstellen kann, vor dem Leutnant zu retten
und zu beseitigen.

An die verschlossene Tür zu Frau Hannahs
Stube wird laut geklopft, das Fräulein vom Leut-
nant wünscht hereingelassen zu werden. Auf Frau
Hannahs trockenen Bescheid, daß das nicht ginge,
erwidert das Fräulein, daß sie zur Frau Leutnant
wolle, die längst fort sein müßte, aber noch im
Zimmer bei Frau Hannah sei. Herr Bran besuche
sie wohi drinnen! das wolle sie genauer feststel-
len. Brans Antlitz ist ganz weiß und erhöht, sein
Blick ruht still auf den Frauen, der Schimpf der
Gehässigen läßt sein Biut kalt.

Das Fräulein läuft zum würdigen Herrn Asses-
sor in die Küche, er öffnet ihr Brans dunkle Stube
und erklärt, daß Bran den ganzen Tag nicht da sei.

Mit katzenhaftem Sich-krümmen (so empfindet
Bran) bückt sich das Fräulein zum Schlüsselloch
von Frau Hannahs Stube und ruft hinein zum Ab-
schied, daß sie wohl wisse, wer alles drinnen sei,
sie habe sie sprechen hören, sie werde alles dem
Herrn Leutnant wieder sagen, und die Frau Leut-
nant habe dann was auszustehen, Entschuldigung
gebe es nicht . . .

Bei dem Schimpf springt die kleine Frau Lise
hoch zur Türe, Frau Hannah hält sie mit den Ar-
men zurück, der gehässige Störenfried draußen
rennt schadenfroh helllachend zur Treppe.

Bran verabschiedet sich von den Frauen, die
seine Gegenwart nicht mehr beachten und wird
vor seiner Stubentür von dem aufgebrachten
Herm Assessor sehr unfreundlich angeranzt.

Bei vorgeschrittenem Abend hört Bran am Ar-
beitstisch das Fräulein zurückkehren und zu Frau
Lise hasten, die im Schlafzimmer bei den Kindern
ist und sie mit freundlichem Zureden zu Bette
bringt, er hört des Fräuleins kalte freche Stimme
„einen Brief habe ich der gnädigen Frau vom
Herrn Leutnant zu übergeben", und Bran lauscht
angestrengt in Erwartung seines Briefes, den ver-
mutlich der Leutnant abgefangen hat. Das Fräulein
geht in die Küche zur Frau Hannah, wo die beiden
Eheleute mit ihr zanken. Bran hört den Brief hef-
tig knittern, dann zerreißen, Frau Lise läuft durch
ihr Zimmer, über den Flur, macht die Wohnungs-

tür zur Treppe wieit offen und wendet sich zur
Küche, wo sie das erschrockene Fräulein am Arm
herauszerrt „gemeines Frauenzimmer", so schailt
es atemlos und wüst durchs Haus, mehreremaie.
Die Nachbam erscheinen auf der Treppe und Bran,
der wieder einmal vergeblich auf seinen Brief ge-
hofft hat, versteht, daß sein schwerblütiger, ecki-
ger, mahnender Brief kaum so tätliche Wir-
kungen ausiiben wird. Er öffnet nun seine Ttir,
das Assessor-Ehepaar steht auf der Küchen-
kchwelle, in der Mitte des gasbeleuchteten Flurs
prangt mit Rot übergosseu, achselzuckend das
tiefgekrätikte Fräulein und versucht ein schwaches
Schluchzen. Mit befehlend wagerecht gestrecktem
Arm weist Frau Lise dem Zöfchen die Türe: „Ge-
meines Frauenzimmer, hinaus mit Ihnen. Wäder-
sprechen Sie nicht, gehen Sie auf die Straße, wohin
Sie gehören. Sie brauchen sich dazu gamicht an-
Ziehen. Wir sehen Sie um den Kopf mit den wüsten
Haaren aus, pfui, ais kämen Sie geradeswegs aus
dem Bett. Ihre Sachen können Sie sich morgen
bei mir abholen. Und solche Dirne drängt sich in
meine Familie, gibt mich bei meinem eigenen Mann
an, belügt ihn und verleumdet mich unaufhörlich,
sodaß er sich scheiden iassen will und mir einen
unerhörten Brief zu schicken wagt. Du Dirne
sollst nicht eine einzige Nacht mehr bei meinen
Kindern und unter meinem Dach verbringen" . . .

Das Fräulein entwischt, nachdem ste die erste
Bestürzung über die piötzliche Selbständigkeit
Frau Lisens verwunden hat, schnellt die Treppe
hinunter, um vor Allem der Anprangerung zu ent-
gehen, „ich werde alles dem Herrn Leutnant er-
zählcn", ruft sie von drunten herauf.

Der Herr Assessor steigt mahlend die Treppe
hinab, um das Haus und die Gartentür zu öffnen.
Der eisige Zugwind aus der Dezembernacht dringt
durch das Treppenhaus empor und schaudernd
knüpft Frau Lise die Pelzboa eng um Brust und
Hals. Frau Hannah bearbeitet ängstlich Frau Lise
und aus der düsteren Verblendung in die schlaffe
Ernüchterung verfallend, erlaubt diese dem Fräu-
lein, eine Nacht noch in der Wohnung zu verbrin-
gen. Frau Lise ist besiegt, sie gibt nach, aus aber-
witziger Scheu vor ihrem Mann und ehehchcr
Knechtung. Erschrocken wendet Bran sich ab und
riegelt sich in seiner Stube ein. Frau Hannah holt
das Fräulein, das die Treppe nur so hoch und ins
Schlafzimmer zu den Kindern rennt, die Kleider
vom Leibe reißt und sich ins Bett wirft, aus dem
sie keiner vertreiben soll.

Mit zankender Stimme driugt Frau Lise stun-
denlang auf das Fräulein ein, „immer dem Herrn
Leutnant die Wahrheit zu sagen!" Sie selbst sei
freilich vorhin zu einer Besprechung bei Frau Han-
nah gewesen, aber Niemand anders. Das Fräulein
findet plötzlich Tränen und beschwört, daß sie
Herrn Leutuant „nie mehr als die reine Wahrheit
sagte."

Die Puppenangst Frau Lisens vor der Auflösung
ihrer Familie ist zu groß, und lauge hört Bran die
Beschwörungsformel „Herr Leutnant" als hartes
Kiesel gegen seine Tür klirren.

Ehe Frau Lise sich zur Ruhe begibt, hört Bran
sie noch einmal tiber den Flur zur Küche gehen;
als sie zurückkehrt tritt Bran auf sie zu, reicht ihr
die Hand und bietet sanft „eine gute Nacht". Sie
gibt zerstreut ihre Rechte. Iächelt nervös und sieht
beiseite.

Bran steht an seinem Fenster und sieht Gärteu,
Aecker im frischen weißen Schein weit bis zum
Horizont. Nachdem es eine Woche lang unaufhör-
lich gestürmt hat, fällt viele Tage lang schon dich-
ter Schnee, die Kiefernwipfel bedeckt er so schwer
mit seiner Last, daß in den Schonungen und einge-
 
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