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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 23/24 (Erstes und zweites Märzheft 1915)
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Knoblauch, Adolf: Die schwarze Fahne [3]: Eine Dichtung
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Macke, August: Die Masken
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0159

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Bran fühtt durch, daß er aHe gegen sich hat in
dcm bcginncnden Streit und nicht nur das würdige
Ehepaar, das Haus in dem er lebt, nein, die ganze
Straße, den Ort, die „Weit". Die Weit wendet sich
vor ihm ab, und mag der Leutnant noch so ekeihaft
sein mit der unaufhöriichen Suche nach einem „fait
accompii", mag die Frau Leutnant Sinn und Be-
deutung seines Schreibens mißverstchea. woilen, so
Meibt doch ein Uebriges, das ihm das verdam-
mende Urteii von aiier Weit einbringt, mag er vor
sich setbst unsträfiich dastehen, die „Weit" sagt,
er habe sich in eine Ehe gemischt, die ihm nichts an-
gehen darf, und die Weit foigert kraft des Qesetzes
der Finaiität, daß er dabei einen bestimmten Zweck
gehabt habe.

Bran weist diesen Zweck aus gutem Recht und
kräftig aus guten Qeschmack die Bitte Frau Han-
nabs itöfiich von sich fort.

Bran steht droben im schwarzen Bergiand, um
ihn her ist es tief einsam. Zu seinen Füßen hört er
Aufpraii, Donner eines Steines oder Biockes, der ztt
Tai roiit. Bran kann ihn weder erspähen, noch ihn
daran hindern in der Tiefe seine Bahn zu voiienden,
nur an seinem Schaii ermißt er wägend die Kraft
des Aufpraiis und die Steiie fern fremden Schick-
safs, die er treffen wird.

X * X

Beim Hinausgehen öffnet Frau Hannah weit die
Sfubentür Brans, und auf die Schweiie drängen mit
dem Fräuiein des Leutnants eine Reihe Menschen
heran, unter denen dter kieinen Frau Lisens deka-
dentes bieiches Qesichtchen sich bemüht, über die
Schuiter der Vorderen Bran zu erbiicken. Frau
Hannah verzieht sich im Hintergrund des dämmeri-
gen Fiurs.

Das Fräuiein, das in der Zwischenzeit vom
Leutnant in wichtiger Sendung angeiangt ist, hat
ihr iugendiichrosiges Qesicht wieder eriangt, die
Dinge haben seit der vergangenen Nacht eine
erwünschte Wendung genommen, bei der Frau Lise
güänzend hinein - und sie unschuldig emporfaiien
wird fiir den Leutnant. Hinter ihren reizenden
braunen Locken steht der harte Kubus des neugie-
rigen Herrn Assessor, ängstiich schaut aus dem
Dunke! das hagere Arme Leute Qesicht Frau Han-
nahs.

Die Biicke aÜ dieser Leute stehen hakend fra-
gend um Bran, und Bran weiß, daß sie aüe mit
Spannung auf einen Brief an eine verheiratete Frau
harren. Ueber die großgeöffnet auf Brans Qesicht
gerichteten Augen Frau Lisens geht eine Stauge
eisernes Qrau, Bran erbiickt dies liebiiche Auge von
dem Augenbiick an nicht mehr, ais das wortfiih-
rende Fräulein im schönen Kasernenton ihres
Meisters öffentiiche Redekunst zu üben beginnt:
„Entschuidigen Sie, daß ich so ungebeten zu Ihnen
i-'is Zimmer komme. Aber ich 'komme im Auftrage
von Herrn Leutnant und soi! Ihnen erkiären, daß
Sie sofort Ihren Brief an die Frau Leutnant heraus-
geben. Sie sind darauf ertappt mit der gnädigen
Frau ein Verhältnis zu haben — und Herr Leut-
nant wiil sich scheiden iassen, wenn das wahr ist.
Um das festzustelien befiehlt er, daß ich mit dem
Brief in einer Vierteistunde bei ihm bin, Sie diirfen
inzwischen keine Zeit haben, einen anderen zu
schreiben und ihn unterzuschieben, Sie solien ihn
mir persönlich einhändigen. Wenn Sie dem Herrn
Leutnant nicht nachgeben, so wird er telefonisch
die Polizei holen."

Jetzt sekundiert der würdige Herr Assessor dem
Fräulein: „AHe Leute sollen zunächst wissen, daß
ich Ihren Brief, ganz abgesehen davon, daß er nach
Ihrcr eigenen Aussage Liebesdinge enthält, für den
Beweis einer Taktlosigkeit und Unverschämtheit
halte, wie sie mir noch nicht vorgekommen sind.
Sie verdienten ein paar iibergezogen fiir den

Dummjungenstreich." Herr Assessor humpelt vor-
wärts und steit sich dicht vor Bran: „Sie Einbre-
cher in fremde Ehen, haben ja nichts zu verlieren,
und nachdem Sie das Unheil angesbftet haben,
ziehen Sie Ihrer Wege. Qeben Sie endiich dem
Fräulein den Brief, ist er harmlos, tun wir Ihnen
wirklich Unrecht, so wird sich das bald herausstel-
len, und wir werden dann dem ganzen Streit mit
Herrn Leutnant, der ein verständiger, logisch den-
kender Mann ist, beizulegen suchen. Solite aber das
Gegenteil der Fall sein und Sie eine garnicht so
harmlose Persönlichkeit sein, so kommen aile Fol-
gen Ihrer Handlungsweise über Ihr Haupt . . . Aiso
schnell, der Herr Leutnant wartet."

Bran harrt, bis der schneidige Fürbitter des
Eheherrn ausgeredet und bemerkt mit gesenkter
aber fester Stimme, daß er Niemandem der Anwe-
senden den Brief gebe. Wohl aber sei er bereit, so-
gleich persönlich zum Herrn Leutnant zu gehen
und ihm den Brief in Qegenwart seiner Frau vor-
zulesen.

Herr Assessor säbelt wütend auf Bran drein:
„Sie zum Herrn Leutnant! Der wird Ihnen schön ..
was er da hat, Teller, Qläser fliegen Ihnen an den
Kopf, Wenn Sie es wagen, sich bei ihm blicken zu
lassen."

Br,an antwortet entschieden: „Wenn es sich nicht
machen läßt, daß ich den Brief vorlese, so bin ich
bereit, ihn dem Herrn Leutnant zu behändigen,
aber nur ihm selbst und Niemandem anders."

Schweigen. AHe wenden sich hastig hinaus und
gehen in Frau Lisens Wohnung zurück. Der Herr
Assessor schließt Brans Tür hinter sich.

X X

Bran hört sie alle drüben in der Stube durch-
einander reden und streiten, dann geht er hinzu
und klopft schnel] an jene Tür, aber er wird
übertönt von dem laut redenden Fräulein. Bran
öffnet selbst und tritt dann von der Schwelle
in den Flur zurück. Von hier ruft er mit
klingend junger Stimme in das Qewirr: „Dem
Herrn Leutnant bestellen Sie bitte, daß ich meinen
Brief allein auf seine Drohung hin schrieb, die das
Fräulein zur Sonntag-Nacht der Frau Hannah zum
Besten gab. Aüe Drohungen sind mir gleichgültig.
Der Brief geht nur Frau Brosin selbst an, er ist in
meiner besonderen dichterischen Sprache geschrie-
ben und daher ohne meine Erläuterungen mißver-
ständlich." Inzwischen hat Herr Assessor, der gern
Brans Schachzug vereiteln wiü, zugerufen:
„Worte leere Worte! die nicht mit der
Sache zu tun haben, Wir kennen das I Von Leuten
wie Bran, erfährt man nie das Richtige. Hören Sie
uicht auf ihn." Bran fährt fort: „Ja, ftinf Quart-
seiten ist der Brief lang, aber ich hätte zwanzig
'über das Thema der Frau Brosin schreiben kön-
nen; von Liebe steht nichts darin, aber Herr Asses-
sor mag sich in Acht nehmen vor meinen Begriffen
von sittlicher Veratntwortung und geistiger Be-
stimmung; er mag sich vor der Verieumdung hü-
ten, um derentwiüen dieser Streit um den Brief
entstanden ist."

Im Zimmer Schweigen, dann ruft Frau Hannah:
„Zeigen Sie mir bitte den Brief aus der Ferne wie
er aussieht!" Bran tritt hinzu und hält ihr den
Brief vor die Augen. Und Frau Hannah verkündet,
daß das ein Brief ohne Anrede sei. (Bran hat die
Qewohnheit, eine deutüch sich abhebende Anrede
in seinen Briefen zu vermeiden, diesen letzten Rest
vom einstmal gewesenen Sicheinanderfeieriichneh-
men). Es sei also gar kein Brief, sondern eine theo-
retische, wie Bran uns eben sagt, dichterische Ab-
handlung!

Bran geht auf sieine Stube, und auch die Unter-
haltung bei Frau Lise ist zu Ende. Das Fräulein
Iäuft ohne Brief zum Leutnant, die beiden Frauen

begeben sich, von Herrn Assessors elegantem
Scherz geleitet, zur Küche, um unter Teilnahme der
Kinder das Mittagessen zu bereiten.

Fortsetzung folgt

Die Masken

August Macke

Ein sonniger Tag, ein trüber Tag, ein Perser-
speer, ein Weihgefäß, ein Heidcnidol und ein Imor-
teüenkranz, eine gotisohe Kirche und eine chine-
sische Dschnnke, der Bug eiues Piratenschiffes,
das Wort Pirat und das Wort heilig, Dunkelheit,
Nacht, Frühling, die Zimbeln und ihr Klang und das
Schießen dcr Panzerschiffe, die ägyptische Sphinx
und das Schönheitspflaster auf dem Bückchen der
Pariser Kokotte.

Das Lampenlicht bei Ibsen und Maieteriink, die
Dorfstraßen- und Ruineiimalerei, die Mysterien-
spiele im Mitteialter und das Bangemachen bei
Kindern, eine Landschaft von van Qogh und ein
Stilleben von Cezanne, das Surren der Propeüer
und das Wiehern der Pferde, das Hurrageschrei
eines Reiterangriffs und der Kriegsschmuck der
Indianer, das Celio und die Qlocke, die schrille
Pfeife der Lokomotive und das Domartige des
Buchenwaldes, Masken und Biihnen bei Japanern
und Heüeuen und das gblieimnrsvoüe, dumpfe
Trommeln des indischen Fakirs.

Qiit nicht das Leben mehr, denn die Speise, und
der Leib mehr, denn die Kleidung.

Unfaßbare Ideen äußern sich in faßbaren For-
men. Faßbar durch unsere Sinne als Stem, Donner,
Blume, als Form.

Die Form ist uns Qeheimnis, weil sie der Aus-
druck von geheimnisvoüen Kräften ist. Nur durch
sie almen wir die geheimen Kräfte, den „unsicht-
baren Qott".

Die Sinne sind uns die Briicke vom Unfaßbaren
zum Faßbaren.

Schauen der Pflanzen und Tiere ist: ihr Qe-
heimnis fühlen.

Hören des Donners ist: sein Geheimnls fühlen.
Die Sprache der Formen verstehen heißt: dem
Qeheimnis näher sein, leben.

Schaffen von Formen heißt: leben. Sind nicht
Kinder Schaffende, die direkt auf dem Geheimnis
ihrer Empfindung schöpfen, mehr als der Nach-
ahmer griechischer Form? Sind nicht die Wilden
Künstler, die ihre eigene Form haben, stark wie
die Form des Donners?

Der Donner äußert sich, die Blume, jede Kraft
äußert sich als Form. Auch der Mensch. Ein Etwas
treibt auch ihn, Worte zu finden für Begriffe,
Klares aus Unklaren, Bewußtes aus Unbewußtem.
Das ist sein Leben, sein Schaffen.

Wie der Mensch, so wandeln sich auch seine
Formen.

Das Verhältnis der vielen Formen untereinan-
der Iäßt uns die einzelne Form erkennen. Blau
wird erst sichtbar durch rot, die Qröße des Bau-
mes durch die Kleinheit des Schmetterüngs, die
Jugend des Kindes durch das Alter des Qreises,
Eins und zwei ist drei. Das Formlose, das Unend-
liche, die NuII bleibt unfaßbar. Qott bleibt unfaß-
bar.

Der Mensch äußert sein Leben in Formen. Jede
Kunstform ist Aeußerung seines inneren Lebens.
Das Aeußere der Kunstform ist ihr Inneres.

Jede echte Kunstform entsteht aus einem leben-
digen Wechselverhältnis des Menschen zu dem
Tajtsachenmaterial der Naturformen, der Kunst-
formen. Der Duft der Blume, das freudige Sprin-
gen des Hundes, der Tänzerin, das Anlegen von

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