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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 4.1906-1908

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2. Heft
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Kekulé von Stradonitz, Stephan: Das Turnier zu Brüssel im Sommer 1905
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https://doi.org/10.11588/diglit.38677#0047

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Das Turnier zu Brüssel im Sommer 1905

Von

Dr. jur. et phil. Stephan Kekule von Stradonitz.


ie bekannt, ist der
burgundische Hof
um die Mitte des 15.
Jahrhunderts nicht
nur weitaus der
prunkvollste seiner
Zeit gewesen, ent-
sprechend dem vor-
handenen , gewalti-
gen Reichtum, sondern er galt auch für ton-
angebend hinsichtlich des äufseren Anstandes
und der Mode nach jeder Richtung hin.
War diese Rolle mit dem Tode Karls des
Kühnen (1477) auch ausgespielt, so ist die Nach-
wirkung doch eine weitgehende, bis auf die
Gegenwart dauernde geblieben. Nicht nur der
Orden vom Goldenen Vliefs ist vom burgundi-
schen Hofe hinübergerettet, sondern auch der
gröfste Teil der höfischen Einrichtungen der
Gegenwart. Der g-anze sogenannte Hofstaat der
europäischen Höfe der Gegenwart, die Hofämter
und deren Abzeichen, ein grofser Teil des Hof-
zeremoniells und die Hofgebräuche gehen unmittel-
bar auf jenen Hof zurück. Dieses im einzelnen
nachzuweisen, gehört nicht in den Rahmen dieses
Berichtes. Nur das eine soll hier hervorgehoben
werden, dafs die Vorbilder für alle europäischen
Höfe der Neuzeit jene beiden habsburgischen
Höfe gebildet haben: der zu Madrid und der zu
Wien, auf welche die burgundische Hofüberliefe-
rung von Maximilian, dem Gemahl der burgundi-
schen Maria (verm. 19. August 1477 zu Gent), durch
deren Enkel, nämlich Karl V. (geb. 1500), den
Stifter der Linie der spanischen Habsburger, und
Ferdinand I. (geb. 1503), den Stifter der Linie der
österreichischen Habsburger, übergegangen war,
womit es ja auch zusammenhängt, dafs heute so-
wohl Österreich wie Spanien das „goldene Vliefs“
als Orden der höchsten Hofehre besitzen. Dafs
aber Maximilian den Llof und Llofstaat seines
Schwiegervaters Karls des Kühnen, nach dessen

Tode, bei seiner kurz nachher erfolgten Vermäh-
lung einfach übernommen hat, ist eine Tatsache.
Auch das ganze Wappenwesen der Folgezeit
auf dem europäischen Festlande beruht, wie mir
scheinen will, ohne jeden Zweifel zum grofsen Teile
auf burgundischen Einflüssen, was des näheren
nachzuweisen allerdings eine bis heute noch un-
gelöste Aufgabe ist, aber um so lohnender wäre.
Infolge dieser Umstände allein schon kann es
nur als ein sehr glücklicher Gedanke bezeichnet
werden, dafs es die leitenden Kreise Belgiens
unternahmen, im Juli und August 1905 , bei Ge-
legenheit der ausgedehnten Festlichkeiten, welche
sich an die Lütticher Weltausstellung anschlossen
und zur Feier des fünfundsiebzigjährigen Be-
stehens der Unabhängigkeit Belgiens veran-
staltet wurden, jene Glanzzeit in der Ge-
schichte derjenigen Landstriche, welche eben
wesentlich das heutige Belgien bilden, wieder
erstehen zu lassen, indem man eine grofse höfisch-
ritterliche Festlichkeit jener Tage, nämlich ein
Turnier aus der Zeit Philipps des Guten, zur
Darstellung brachte.
Hinzu kommt aber noch ein Umstand, welcher
für das Gelingen eines derartigen Unternehmens
ungemein wesentlich war. Gerade für die bur-
gundische Glanzzeit Philipps des Guten und Karls
des Kühnen ist nämlich in den mit den prächtigsten
Malereien geschmückten Handschriftenschätzen
der „Bibliotheque de Bourgogne“, jetzt in der
Nationalbibliothek zu Brüssel, und in einigen
Handschriften der Pariser Sammlungen, so z. B.
dem „Armorial de la Toison d’Or“, wahrscheinlich
von Jean Lefevre, seigneur de Saint-Remy (siehe
unten), kurz vor 1467 gefertigt, ein Stoff vorhan-
den, wie kaum für einen anderen Zeitabschnitt,
und zwar gerade in bezug auf höfische Feste
und Sitte, die Tracht und das Waffenwesen mit
allem, was dazu gehört.
Ein Zusammentreffen weiterer glücklicher
Umstände beförderte in ungeahnter Weise das
 
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