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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 4.1906-1908

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2. Heft
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Forrer, Robert: Die ältesten gotischen ein- und mehrläufigen Faustrohrstreitkolben
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https://doi.org/10.11588/diglit.38677#0074

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6o

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

IV. Band.

Beute vom Heere Karls des
Kühnen stammte. In diese Zeit
pafst das Ganze unendlich viel
besser, in den Rahmen des
Reformationskrieges von
1:531 in gar keiner Weise.
Die Gröfsenverhältnisse
des Zwinglischen Feuerrohres
(20,2 cm Seelenlänge zu 1,9 cm
Kaliber) entsprechen ungefähr
den Abmessungen der drei-
läufigen N ü r n b er ge r Büchse,
Abb. 6, deren Seelenlänge von
Sixl(Thierbach-Festschrift S.95)
auf 23 cm bei 1,4 — i,öc m Kaliber angegeben wird.
Auch dieses Rohr wird von Sixl „in die ersten
Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts“ datiert; meines
Erachtens aber zu unrecht. Es gehört mit den
beiden Vierläufer-Faustrohren Abb. 1 und 2 in
die Zeit der mit Reifen umzogenen gotischen
Geschütze des 15. Jahrhunderts, und wenn ich
zwischen der zweiten und der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts zu entscheiden hätte, würde ich
mich für die Rohre Nr. 1 und 2 sogar für die
erste Hälfte aussprechen.
Die ganze Form dieser Rohre entspricht weit
eher der Handbüchse Abb. 7 des Münchner Codex
lat. 197 von 1420 bis 1430, als den uns aus der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bekannten
Gewehren. Bei letzteren bildet, ob geschmiedet
oder gegossen, die Tülle zum Stangenschaft mit
dem Rohr ein Stück; bei ersterer dagegen ist
sie nach Art der Lanzenspitzen vom Rohr selbst
durch eine tiefe Einbuchtung getrennt, stellt in
dieser Form eine primitivere Art der Verbin-
dung zwischen Rohr und Schaft dar. Diese
Einbuchtung versieht auf der Schützengabel zu-
gleich den Dienst, welchen später der Haken am
Rohr leistet, sie gestattete ein sicheres Einlegen
des Rohres in die Gabel und bot einen Wider-
standspunkt gegen den Rückstofs beim Schufs.
Sowohl Abb. 1 und 2 wie 6 und 7 konnten der-
art, ohne dafs sie Haken benötigten, auch auf
Gabeln Verwendung finden.



Abb. 6.


Abb. 7.

Abb. 8.
Sehen wir uns gegenüber diesen primi-
tiven Rohren die Handgewehre vom Ende
des 15. und die des 16. Jahrhunderts an,
so finden wir diese derart gewaltig vor-
geschritten, dafs man mir für Abb. 1,
2 und 6 meine Datierung in die erste Hälfte des
15. Jahrhunderts zugestehen wird: Schon im
Münchener Codex germ. 599 von 1475 ist das
Faustrohr als Pistole mit Luntenhahn und Ab-
zugvorrichtung fix und fertig, die Pistole fast
in der heutig-en Form vorliegend (vgl. Abb. 8).
Ebenso sind die kleineren Gewehre jener Zeit
zu einem grofsen Teil schon mit Abzugsvor-
richtungen der verschiedensten Art versehen.
Es wäre also ganz undenkbar, dafs man zu
Ende des 15. und noch weniger zu Anfang
des 16. Jahrhunderts so primitive Faustrohre und
Petrinais angefertigt hätte, welche längst überholt
waren!
Wohl aber ist das Prinzip der bündelartigen
Gruppierung- mehrerer Feuerrohre schon zu Ende
des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts ein wohl-
bekanntes und geübtes (vgl. Essenwein Taf. A.
IX, XIII, XVI, XIX) und haben die kleinen
Rohre jener Zeit gerade die tubenartige Form
unserer Rohre Abb. 1, 2, 6 und 7. So möchte ich
also bei aller nötigen Vorsicht die fraglichen
Rohre noch eher in die Zeit um 1390—1420 hinauf-
rücken und sie als verbesserte Nachkommen jener
Pistolen auffassen; welche Perugia im Jahre 1364
anfertigen liefs (Demmin S. 967). Dieselben hatten
die „Länge einer Palme; die römische Palme mifst
ung-efähr 17,5 cm“. Es waren also Rohre, deren
Länge zwischen der unserer Vierläufer-Faustrohre
Abb. 1 und 2 und der des Nürnberger Dreiläufers
Abb. 6 die Mitte hielt; wohl Rohre ähnlich den
zwei der Vente Richards-Rom (Nr. 640 und 041,
Taf. XXI), deren eisengeschmiedete und von je
4 Eisenring-en umzogene Läufe von 22 bezw.
24 cm Länge und 3 resp 2 cm Kaliber auf Schaft-
düllen analog Abb. 1, 2 und 6 sitzen, also eben-
falls auf kurzen hölzernen Stangenschäften mon-
tiert waren (Totallänge der Rohre mit den Schaft-
düllen 36 resp. 39 cm).
Fassen wir die. gewonnenen Resultate zu-
sammen, so ergibt sich für die Geschichte der
Faustrohre ungefähr das folgende Bild:
 
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