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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 4.1906-1908

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10. Heft
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Müller-Hickler, Hans: Studien über den langen Spieß
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https://doi.org/10.11588/diglit.38677#0325

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304

H. MÜLLER-HICKLER, STUDIEN ÜBER DEN LANGEN SPIESS

IV. BAND

wichtigen Einhalten der ,.Termine und Tempi“,
denn im Fechten.
Nach dem Studium mittelalterlicher Fecht-
bücher berührt es fast komisch, wenn wir hören,
dafs 21 Tempi zum Handhaben der Pike vor-
geschrieben, wie uns Wallhausen etc. mitteilt.
„Des Spiesses“
1. Rechts fasst ewre Spies, und stellt euch
in behörige Postur.
2. Auffwerts tragt ewre Spies
3. Niederstellt ewre Spies
4. Plat oder flach tragt ewre Spies
5. niderstellt ewre Spies
6. Fällt gegen Fussvolk ewre Spies
7. Niederstellt ewre Spies
8. Scheunst oder abwerts tragt ewre Spies
9. Fällt ewre Spies
10. Von hinten zu fällt ewre Spies
11. Herstellt ewch.
12. Schleifft ewre Spies.
13. Bey der Punten der Spitze fasst ewre
Spies.
14. Fället ewre Spies
15. Gegen Reuterey fällt ewre Spies
16.
17. Bey dem Ort gefasst schlept ewre Spies
18. Durch Pforten fällt ewre Spies
19. Niederlegt ewre Spies
20. Pflanzt ewre Spies
21. Aufhebt ewre Spies.
Alle diese Nummern wurden in „Tempo“
ausgeführt, auch z. B. das Fällen gegen Fufsvolk.
„Erstes Te-mpo, wann du mit der linken Hand
den Spiefs fassest, ihn aufschwingst. Die zweyte
Tempo, wann du ihm von oben herab bequemlich
sinken lässest ond ihn hinten mit der rechten
hand fassest — Die dritte Tempo, wann du dich
im Stofs oder ins Fäger mit dem Spies mit linkem
Fufs vorstellest.“
Freilich bot das völlig eingedrillte Handhaben
der Pike die einzige Möglichkeit, die Soldaten
während die „Fähnlein flogen“ im Zaume zu halten
und die Disziplin im Gefecht aufrecht zu erhalten.
(Wir haben eine ähnliche Erscheinung in der
„Salve“ bei unzuverlässigem Truppenmaterial).
Diese hatten so wenig Gefühl für den Wert ihrer
Waffe, dafs es steter Beaufsichtigung bedurfte,
dafs sogar die Doppelsöldner nicht gegen die Vor-
sc.hrift die Schafte „kürzten“.
Der Respekt vor dem Spiefs sank immer
mehr, wozu freilich auch die immer gröfsere Ver-
breitung des Gewehres beitrug. Wie hoch die
Achtung vor dem Träger der Waffe nun war,
können wir im Simplizissimus lesen, wo ihm ge-

sagt wurde: „In Summa ich habe mein Lebtag
viel scharfe Actionen gesehen, aber selten wahr-
genommen, dafs ein Pikenier einen umgebracht
hätte“!!! Noch trauriger klingt es, wenn Böhm,
ein Schriftsteller am Ende des XVII. Jahrhunderts,
die Pike empfiehlt, um mit ihr bei der Abend-
ronde die Buben zu verjagen.
Immer mehr kommt der Spiefs aufser Ge-
brauch, sein letztes Ende findet er in der Ver-
wendung als spanischer Reiter. Seiner statt-
lichen Länge beraubt, berührt ihn nun keine
Kriegerfaust mehr; kreuzweise durch einen
Balken gesteckt, dient er zur Abwehr der
Reiterei aus den Flanken bei Belagerungen, usw.
Dann verschwindet die einst so wichtige
Waffe.
Aufser zum direkt mörderischen Gebrauche
fand der Spiefs auch manchmal andereVerwendung.
Die Landsknechte retteten z. B. bei Pavia die in
den Tessin geratenen Schweizer dadurch, dafs sie
ihnen die Spiefse in die Fluten entgegenstreckten.
Wir sehen sie mit ihren Spiefsen bei Bach-
übergängen weite Sprünge machen und bei einer
nächtlichen Unternehmung bei Melzo klettern
die Knechte an ihren Schäften die Wälle und
Mauern hinauf.
Nun zu der Verwendung des Spiefses aufser-
halb der Schlacht. Nach dem Marsche oder der
Aktion bezog der Landsknecht, wie wir das auch
heute nicht anders kennen, Biwak oder Ortsunter-
kunft, mit dem Unterschiede allerdings, dafs es
weniger regelmäfsig herging, dafs weder auf Flur-
schaden noch Quartierzettel Rücksicht genommen
wurde. Bei ersterer Artwar es ja einfach, dieSpiefse
unterzubringen. Wir sehen auf den Lagerbildern
von Jost Amman dafs sie neben den Zelten
und Windschirmen in den Boden gesteckt wurden.
Ich denke mir rottenweise, denn es sind stets
nur vier bis fünf zusammen. Alb. Altdorfer,
1538, aber gibt uns in einem Ölgemälde noch
andere Arten bekannt. Die Knechte stellen die
Spiefse wie Hopfenstangen zusammen und diese
bilden somit einen aufserordentlich festen Zusammen-
halt und Schutz gegen Sturm und Regen. Prak-
tischer hierfür scheint mir die Manier, wie sie uns
Lucas Cranach zeigt; hier sind die Spiefse durch
die kleinen Laub- oder Strohhüten gesteckt, die
sich die Leute bauten, bieten diesen festen Halt und
sind sogleich zur Hand. Verschieden ist hiervon
eine andere von Altdorfer gezeigte Lösung. Es
werden Spiefse paarweise unter den Spitzen zu-
sammengebunden und bockartig in die Erde ge-
steckt. Über diese Einrichtung ward ein starker
Spiefs gelegt, der nun zur Auflage dient, und
gegen diese werden die Stangenwaffen gelehnt;
wie es scheint, nur von einer Seite, die der Mann-
 
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