Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 4.1906-1908

DOI Heft:
10. Heft
DOI Artikel:
Müller-Hickler, Hans: Studien über den langen Spieß
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.38677#0326

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
10. HEFT

H. MÜLLER-HICKLEK, STUDIEN ÜBER DEN LANGEN SPIESS

305

schaft zugekehrt war. Und wieder eine ähnliche
Art war, Böcke aus meterlangen Hölzern zu
fertigen und in diese die Spiefse zu legen (wie
die Lohrinden zum Trocknen).
Schwieriger wurde das Unterbringen der
Waffe im Ortsquartier; denn nicht überall gab
es Scheunen, Kirchen und hohe Räume. Helm-
barten, Büchsen und Schlachtschwerter waren
ja leicht in einer Stube untergestellt und fanden
dort Halt — aber die Spiefse! Ohne Zweifel
wurden im Feindesland eine Dorfwache aus-
gestellt, wohl möglich, dafs sie bei dieser aufgestellt
und bewacht wurden. Nehmen wir an, dafs dieses
unmöglich gewesen sei, wohin dann mit dem
langen Schafte? Da mag wohl guter Rat teuer
gewesen sein; doch haben wir Nachrichten, die
uns andeuten, wie sich die Knechte in solchen
Fällen verhalten haben werden. Es existiert,
wie mir Herr Oberstleutnant Bleuler mitteilt, ein
schweizer Bericht von 1593, worin mitgeteilt wird,
dafs die Einwohner einer Stadt, die scheinbar
mobil machte, die Spiefse vor die Häuser gestellt
haben. So werden es die einquartierten Lands-
knechte wohl auch gemacht haben.
Wie aber war es nachts? Ein ungesehener
rascher scharfer Sägestrich konnte den Träger
beim nächsten Gefechte in tödliche Verlegenheit
bringen.
So viel vom langen Spiefse in der Schweiz
und bei uns.
In anderen Ländern entwickelte sich sein
Gebrauch anders. Während er bei Pavia in
deutschen Fäusten den höchsten Triumph feierte,
waren die Spanier bereits Meister im Schiefsen
mit der Hackenbüchse, ihre arcabuseros feuerten
in derselben Schlacht die hommes d’armes zu-
sammen und halfen damit den Sieg erringen.
Neben dieser Waffe führten sie ein Rundschild,
Degen und Dolche und waren gerüstet; ihre

cuadrillas wagten sich sogar an die Flanken der
grofsen Ordnungen, unterliefen die Spiefser und
drängten sich in diese hinein. Doch ganz ver-
schmähten auch sie die Waffe der Deutschen
und Schweizer nicht und an die Spitze ihrer batal-
latos stellten sie Spiefser auf, die den Einbruch
vorbereiteten.
Bis in das 17. Jahrhundert jedoch waren immer
noch Piken in den spanischen Regimentern. Ein
Bild des Malers Velazquez veranschaulicht dies
in der „Übergabe von Breda“, las lanzas genannt,
auf dem ein Pikenwald die herrliche Darstellung
noch imponierender erscheinen läfst.
In Italien huldigte man aus alter Tradition
dem Spiefse mehr, obschon Machiavelli für Rund-
schild und Degen eiferte. Doch auch er gibt
jedem Fähnlein reichlich ausgesuchte Pikeniere.
In Wirklichkeit waren diese ja auch in der Haupt-
zahl und gehörten auch zur Volksbewaffnung;
denn Reisert meldet uns, dafs nach der Einnahme
von Rom 1527 der Befehl erging, dafs die Bürger
die langen Spiefse abliefern mufsten.
In Frankreich dämmerte es spät, dafs Fufs-
volk nun die Schlachten schlage und als alle
anderen Kriegsvölker längst die neue Waffe trugen,
wurden von Franz I. jene Ordonnanz-Kompagnien
errichtet: herrliche Reitergeschwader, schwer
gerüstet und von Helden wie Bayard geführt.
Sie starben bei Pavia den Heldentod. Keine
W'affe blühte in Frankreich, weder die Haken-
büchse noch der Spiefs, dessen Träger immer
tiefer sank, infolge der Zuchtlosigkeit der Schützen,
denen er als Kamerad beigegeben war.
Kein WMnder, dafs Franz I. erklärte, er
könne mit dem deutschen Fufsvolk die Welt er-
obern. Zu diesem Ruhme hat dem Landsknecht
neben unvergleichlicher Tapferkeit der lange
Spiefs verholfen.
 
Annotationen