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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 8.1918-1920

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5./6. Heft
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Erben, Wilhelm: Schwertleite und Ritterschlag
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https://doi.org/10.11588/diglit.44570#0126

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106

WILHELM ERBEN, SCHWERTLEITE UND RITTERSCHLAG

VIII. BAND

der Ritterwürde im Laufe der Jahrhunderte durch-
gemacht hatte. Die rechtshistorische Literatur
bot keinen befriedigenden Aufschlufs über diese
für die gesellschaftliche Schichtung sowie für das
Verhältnis weltlicher und geistlicher Einflufsnahme
bedeutsame Frage. Während von einem Forscher5)
weltliche Rechtsbräuche, die bei der Aufnahme
in das Gefolge, bei der Wehrhaftmachung und
bei der Freilassung üblich waren, als zureichende
Erklärung vermutet wurden, blieb doch die An-
sicht vorherrschend6), dafs der Ritterschlag, der
sich nur auf den Eintritt in den Ritterorden be-
ziehe, kirchlicher Herkunft sei, dafs dagegen in
der Schwertleite .die altgermanische Waffen-
reichung fortlebe. Aber anknüpfend an die
Tatsache, dafs es im Mittelalter mehrere Stufen
der Volljährigkeit gab, war von einer dritten
Seite7) der Vorschlag vertreten worden, den Ritter-
schlag, als zu dem Besitz der schweren Rüstung
passend, auf eine spätere Altersstufe zu beziehen
und entsprechend der zunehmenden Ausbreitung
der Schwergerüsteten eine allmähliche Verdrän-
gung der einfachen Schwertleite durch den tech-
nisch wichtigeren Vorgang des Ritterschlages an-
zunehmen.
Luden solche Verschiedenheiten zu neuerlicher
Überprüfung der Quellen ein, so konnte ich mich
doch auch dazu nicht entschliefsen, die Gesamtheit
der bisher für diese Dinge benützten Belege vor-
zunehmen. Sachliche und persönliche Gründe
sprachen für eine gewisse Beschränkung. Die-
jenigen neueren Forscher, welche sich am ein-
gehendsten mit dem Gegenstand befafst hatten,
begründeten ihre Auffassung nicht blofs mit ge-
schichtlichen Quellen im engeren Sinn, sondern
sie zogen, dem Beispiel folgend, welches im 17.
«fr und 18. Jahrhundert die gelehrten Franzosen ge-
geben hatten8), auch dafür wie überhaupt für das
geschichtliche Bild des abendländischen Ritter-
tums die Erzeugnisse der höfischen Dichtkunst
5) ErnstMayer, Deutsche und französische Verfassungs-
geschichte 2 (1899), i6iff.
6) Richard Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechts-
geschichte, 3. Aufl. (1898), S. 442, sachlich unverändert 5. Aufl.
(1907), S. 456f., jetzt verbessert 6. Aufl. 1 (1919), 481t.
7) Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst, 3 (1907),
S. 238ff., 269.
8) Auf Charles Dufresne Du Cange (geb. 1610, gest. 1688),
der in seinem grundlegenden, von den französischen Bene-
diktinern bald erweiterten Glossarium mediae et infimae
Latinitatis die Chansons de geste zu verwerten begann,
folgte J. B. De La Curne de Sainte Palaye (geb. 1697, gest.
1781), der seine Mömoires sur l’ancienne chevalerie zuerst
1753 in den Schriften der Pariser Akademie, dann 1759 als
selbständiges Buch veröffentlichte. Ich benütze die deutsche,
an vielen Punkten vermehrte Ausgabe, welche Klüber unter
dem Titel „Das Ritterwesen des Mittelalters“ (3 Bände,
Nürnberg 1786 — 1791) erscheinen liefs.

heran. Das gilt sowohl von deutschen9) als von
französischen Darstellern10), ja eine deutsche Dok-
tordissertation machte es sich geradezu zur Auf-
gabe, möglichst genaue Vorstellungen von dem
beim Ritterschlag gebräuchlichen Hergang zu ge-
winnen, indem sie die Berichte der französischen
Epiker miteinander verglich und gegenseitig er-
gänzte, ohne irgendwie auf die Worte der gleich-
zeitigen Annalisten und Chronisten einzugehen11).
Nun unterliegt es ja keinem Zweifel, dafs mittel-
alterliche Dichter vollere Bilder vom Leben jener
Zeit bieten, als wir sie in den erzählenden Quellen
finden, und auch dem Rechtshistoriker sind sie
deshalb, wie ein berufener Kenner einst hervor-
hob12), von grofsem Wert. Aber den Vorteilen
der Anschaulichkeit stehen bei den Dichtern doch
auch viele Nachteile gegenüber, die ihre Ver-
wertung als unmittelbare Erkenntnisquelle selbst
für Zustände und Gebräuche stark beeinträch-
tigen13). Die Dichter trachten ihre Helden in
helles Licht zu stellen, sie übertreiben zu diesem
Zweck deren Eigenschaften und die Einzelheiten
ihres Äufseren in der Richtung, welche dem
Modegeschmack der Zeit entspricht; in dem Ge-
fühl der Widersprüche zu den tatsächlichen Ver-
hältnissen ihres eigenen Lebens malen sie die
Vergangenheit in verherrlichenden Farben und
sie drücken sich bei Beurteilung der davon ab- .
stechenden Gegenwart absichtlich mit besonderer j
Schärfe aus. Dazu kommt, dafs auch die Dichter
von ihren Vorlagen abhängen und diesen gar
vieles, was ein sorgloser Leser als Abbild der
Wirklichkeit ansehen möchte, entnommen, also
insbesondere Züge des französischen Lebens nach

9) Alwin Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der
Minnesinger, 1. Aufl. 1 (1879), 141 ff. und 2. Aufl. 1 (1889),
i8iff., dann Roth von Schreckenstein, Die Ritterwürde und
der Ritterstand (1886), besonders S. 203 — 312, Köhler, Ent-
wicklung des Kriegswesens und der Kriegführung in der
Ritterzeit 3, 2 (1889), S. 57 ff.
10) Ldon Gautier, La chevalerie, 3. ed.(i896), S. 245!!.,
und Guilhiermoz, Essai sur l’origine de la noblesse en
France (1902), namentlich S. 393 ff.
n) Karl Treis, Die Formalitäten des Ritterschlags in
der altfranzösischen Epik, Berliner Dissertation 1887.
12) Richard Schröder in der Zeitschrift für deutsches
Altertum 13, 139ff., und in der Zeitschrift für Rechts-
Geschichte 7, 131 ff; vgl. auch desselben Corpus iuris
Germanici poeticum in der Zeitschrift für deutsche Philo-
logie, 1. u. 2. Bd.
1S) Vgl. zum folgenden E. Meier (in seiner ausführlichen
Besprechung von Schultz, Höfisches Leben) in der Ztschr.
für deutsche Philologie 24, 374, Paul Kluckhohn, Die
Ministerialität in Südostdeutschland (Quellen u. Studien zur
Verfassungsgeschichte des deutschen Reiches IV. 1, 1910),
S. 7ff., und besonders die wichtigen Ausführungen von
Julius Petersen, Das Rittertum in der Darstellung des
Johannes Rothe (Quellen u. Forschungen zur Sprach- und
Kulturgeschichte, 106. Heft, 1909) S. iff.
 
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