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Heidelberger Tagblatt — 1859 (Juli bis Dezember)

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Juli
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https://doi.org/10.11588/diglit.2788#0025

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Dik Schlacht bei Solftrino hat zunächst
auf den Gang der Kriegserkignisse jene
Holgen gcübt, welche wir unter dem frischen
«Lindruck der ersten telegraphischen Botschaft
zum Voraus bezcichnet hattkn.

Peschiera ist umschloffen, vie franzö-
flsche Armee näher an Verona gerückt, um
auch hier den Vcrsuch einer Umschließung
vorzunehmcn, wenn die durch Ankunft
des „Cousin" nicht erheblich vergrößerte
Zahl der Streiter es erlauben wird.

Alles dies ist ohne weiterc Kämpfe ge-
fchehen.

Dic nächsten blutigen Entscheidungen
wcrden sich voraussichtlich um die in den
frühcren Kriegen so oft mit Blut getränk-
ten Höhen von Somma Campagna
«nd Santa Lucia und um die Hoch-
rbene von Rivoli vor sich gehen, von
wo man die Zuzüge aus Tirok zu hem-
men versuchcn wird.

Ob abcr Oesterreich noch einmal auf
die Würfei eincr großen Angriffsbewe-
gung einen letzten Einsatz thun, ob cs
den Angriff auf St. Lucia, den Wende-
pnnkt von Karl Alberts Schicksal, den
Franzosen überlasscn, ob es von letzteren
fich in seine Festungen hineinmanövriren
laffe, müssen nun die nächsten Tage zeigcn.

Uns will es gcmahnen, als ob ein Fric-
denshauch über die Alpen zu wchen an-
fange.

Schlachten, bci welchen 300,000 Men-
schen flch scchzehn Stunden lang zerflei-
schen, nach welchen wohl 50,000 Mann
kampsunsähig werden, stnd keine Baüet-
scherze, dcren „cku Oapo" irgendwem er-
wünscht wäre, zumal wenn der nächste
Gewinn nur eine Quadratmeile Erde, der
Nebergang über cinen schon ausgegebenen
Fluß ist. Es weht etwas FrLedensluft
und wird t schon von ven Männern dcr
Börse verspürt, wclche in langsamem,
abcr stetigem Steigen begriffen ist.

Es weht ctwas Friedensluft aus den
Unterhandlungen über Auswechslung der
Gefangenen hervor, aus der jetzt cndlich
auch vom östcrrcichischen Kaiser beliebtcn,
freien Rückkehr der verwundetcn Feinde.
Daß an dl'ksem Umschlage die guten Dienstc
der drei noch unbetheiligten Mächte we-
niger Ursache sind, alö die Furcht vor
der Empörung Ungarns von der eincn
«nd die Scheu von der andern Seite, de»

Teusel durch Belzedub zu vertreiben, d. h.
noch einen Brand in die Staatsordnungen
zu schleudern, der das eigene Haus ver-
zehren kann, dieses schtint uns kkar.

Minder klar aber .ist, was bei dem stch
vorbereitenden Umschlage der Dinge die
eine der drei Mächte zu thun gesonnen
ist, an der unser Her; in aller Treuc
hängt, Deutschland.

Bedeutend ist die zauberschnclle Eini-
gung mit Preußen, zu welcher die wider-
strebende.n kleinern Staaten sich sofort nach
der Schlacht von Solferino einlicßen; groß
die Anstrengungen, welche Preußen jetzt
vvn Allcn sordert. Wir werden mit nächstem
einer Vermehrung unseres Armeecorps
cntgegen zu sehen haben, welche ebcn so
tief in die Familie»-Verhältniffe und die
Pflege der LaNdwirthschaft und Gewerbe
eingreisen wird, als dieses je in Preußen
dcr Fall sein kann.

Zu was werden diese Opfer führen?

Vvrcrst, sv hoffen wir, zür Emigkeit
der deutschen.Voiksstämme mit ihrcn Re-
gierungen, zur Einigkeit der Regierungen
uvter flch.

Tiese allein kann die Bürgschast bietcn,
daß unsere Opfer — wir hoffcn, daß es
nur solche an Gcld und Gut blciben —
nicht umsonst dargebracht und daß Nie-
manv, wer cs auch sci, cs wagcn wcrde,
die Grenzmarken Deutschlands anzugreifen,
fich an seiner Jntegrität zu versündigen.

Dtese deutsche Stimmung abcr
scheint jetzt auch nach dem ersten hestigen
Aufbrausen des Haffcs, der Hoffnung und
Befürchtung die aügemeine aller deutschen
Volksstämme werden zu wollen; sic ist
es, welche wir im Augenblicke der österr.
Kricgserklärung als zu hoffenden Ausgang
der ausschließlich österr. Begeisterung be-
zeichnct hatten.

Die Politik Louis Napoleons

Ganz unverkennbar steigt Ln Frankrcich
die Achtung vor dcn Ocsterreichcrn in dem-
selben Grade, als die vor Prcußen und
dem übrigen Dcutschland sinkt. Die Kor-
respondenzen vom Kriegsschauplatz laffen
der Tapferkeit und dem Muthe der Oester-
reicher aüe Gerechti'gkcit widerfahren, sclbst
der lctzte ofsizftlle Bericht über dir Schlacht
vvn Solferino ist wenigcr ruhmredig, als
man erwarten konnte, ein pcrsönlichcö
Kompliment für drn Kaiser Fr. Zoseph

ist die Erwähnüng dcr durch seine An-
wesenheitbewi'rktcn Begeisterung der östkr-
reichischen Armee, mit den österreichischcn
Gefangenen wird nach dcn Provinziäl-
blättcrn von den franzvsischen Garnisvns-
truppen fraternisirt, inder offiziösen Preffe
macht daS tolle Schi'mpfcn auf Oester-
reich mehr und mehr dem Hyhne gegen
das übrige Deutschland Platz, vom Kaiser
wird crzählt, daß er bald zurückkehrcn und
dann „durch große Mäßigung die Welt
überraschen werde." Man fehe sich gegen
einen franzöffsch - österreichischcn Separat-
frieden vor, der jetzt noch, aber vielleicht
nicht mehr langc durch ein endliches Han-
deln Preußcns aufgehalten werden kann.
Napoleons Polirik ist: Einen nach dem
Andern zu faffen: das Mittel dazu bc-
steht in solgender List: Während r es Krieges
mit cinem Großstaat sucht er einen oder
zwei andere neütral zu erhalten, die letz-
keren es durch ihre Halbheit mit beiden
Kriegführenden verderben zu laffen, und
sie dann mit schadcnfreudiger Zustim-
mung der zuerst Nicdergekämpften allein
zu fasskn. L>o wär es im Krimmkrieg: Ruß-
land sei'ndlich, Oesterreich gegen das letztere
feindlich neutral, Preußen gegcn beide
neutral. Noch auf dem Schlachtfclde rcich-
ten die Franzosen den Ruffen dic Hände.
Jetzt ist Oestcrrcich bekriegt, Rußland ge-
gen Oesterreich seindlich ncutral, Preußen
gcgcn Frankrcich feindlich ncutral, England
„aufrichtig nach beiden Seiten neutral."

Unter den Mauern von Veronakönnte
mit Okstcrreich Freundschast geschkossen
werden, wie vör vier Jahren mit Ruß-
land aus den Trümmern des Malakoff.
Dcr drilte und vierte Akt könnten dahin
entworfen sein, zuerst Preußcn und dann
England mit Hülsc odcr Neutralität Ruß-
lands, Oesterrcich und der deutschen Mit-
tclstaaten niederzukämpsen. Jm fünften
Akt würdc eine ctwaige europäische Koali-
tion, die man im zweiten Akt versäumt
hat, ein schwercs Spiel haben, und manche
Zngrcdieiitien wcrden sich bis dahin m
di'e dpnastischc Politik einmischen. Möge
dcr Gcniüs Preußens es äbwenden, daß
alle sünf Akte zum Schaden und zur Un-
ehre Deutschlands gelangen, daß m'cht
mehr Zcit.und Chancen perloren werden,
als schon verlorrn siud.
 
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