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Heidelberger Tagblatt — 1859 (Juli bis Dezember)

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November
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https://doi.org/10.11588/diglit.2788#0469

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Heidellierger Tagdiatt.

M S«7

DienAag, IS. Nooember

jahrlich 36 kr.

Insertivnsgebühren für die Zspaltige Pe-
titzeile oder deren Raum werden mit 2?r.
berechnet.

1839.

Telegramme

Paris, 11. Nov. Ans Turin vom
10. Abends. Der König weigert sich in
Uebereinstimmung mit Rathschlägen aus
Paris, den Prinzen von Carignan zur
Annahme der Regentschast über dke mit-
tklitalienischen Staaten zu ermächtkgen.

Paris, 12. Nov. Der Moniteur
enthält eine Note folgenden Jnhalts: „Die
italienischen Versammlungen haben dem
Prinzen von Carignan die Regentschaft
angebotcn. Diese Entschließung ist be-
dauerlich Angesichts der baldigen Ver-
einigung eines europäischen Kongreffes,
welcher berufen ist, über die Angelegen-
heiten Jtaliens zu bcrathen, denn stc hat
den Zweck, auf die hier zu verhandelnden
Fragen vorgrcistndcn Einfluß zu übcn.

Das Schillerfest.

Und etner Freude Hochgcfühl cntbrennet,

Und cin Gcdanke schlägt in jeder Brust.

Jungfrau son OrleanS.'

(Zum 10. November 1859.)

Eine gehobene Stimmung hat die Gei-
ster crgriffcn allenthalben im deutschen
Lande, ein Ehrentag des dcutschen Volkes
steht vor nns. Nicht blos die cngere
Hcimath Friedrich Schillers bereitct
fich, den Tag, an welchem vor eincm Jahr-
hundcrt Deutschlands größtcr Dichter dem
Volkc gcschcnkt wordcn, mit geweihten
Herzen zu begehcnz anch nkcht Weimar
allein erneuert das Andenken an die glor-
reiche Dichterzeit; nicht die großen Städte
nur, die Herde der Jnteüigenz, die bc-
vvrzugtcii' Sitze literarischer und küüst-
lerischer Regsamkeit sind es, welche Schil-
lers Ruhm in diesen Tagcn verkünden:
nein, seine Vcrehrung kennt solche Schranke
nicht, überall, wo deutsches Leben ist, in
großcn, wie in kleinen Räumen, begegnen
stch die Gemüthcr in dcrselbcn Liebe,
übcrall fciern ihn mit lautem Danke alle
Theile seines Volkcs. Die deutsche Bühne
chrt ihn mit ihren besten Kräften, die
Poeste, ja alle Knnst lchnt an scincn Ruhm
den ihrigen, die Literaturgeschichte und
Geschichte dcr Menschheit weisen ihm sei-
nen Ehrenplatz an, die Jugend begeistert
stch an ihm, und das Volk, vas in seinen
Innungen und Genossenschaften nicht feh-
len will, wo ein festlicher Zug dem großcn
Deutschen huldigt, das Volk ahnt auch
da, wo eS ihm nicht ganz folgen kann,

mit richtigem Sinne den hohen Wcrth
eines großen Geistes sür die ganze Na-
tion. So ist der Dank für den edlen
Dichter ein aügemeincr. Nie wohl sah
Deutschland solch' etn Fest, solch' frcudigen
Einklang, in welchen kaum trgendwo ekn
Mißton stch mischt, und auch da nur, um
unter der vollen Harmonie spurlos zu
verhallen. Ja die freudigc Bewegung
geht weit hinaus über die deutschen po-
Ir'tlschcn Grenzen, ste erfüüt das ganze
Gebiet deutscher Zunge. Zn der
deutschen Schweiz ist der Dank der
Herzen für den Sänger dcs Tell, welcher
schweizerischc Mannhaftigkeit so herrlich
gepriescn hat, sv warm als im deutschen
Mutterlande: das nachwachscnde Geschlecht
soll noch einst des Fcsttagcs sich erinnern,
an wclchcm dort ber Iugend der „Wil-
helm Teü" zum Festangebinde gereicht
wird, wie in Schwaben die Gedichte des
Meisters. Und die kerndeutschen Vla-
mingen stimmen in ihrem saftigen nie-
Lerdeutschen Idiom cin in den Iubel, die
Sch-i-es wiger bekunden wieder in ihrer
wankloscn deutschen Treue, daß Deutsch
ihre süße Muttersprache ist, die Hollän-
ver rühren sich, unv allüberall, wo Dcutsche
weilen aus dem Ervenrund, im Orient, in
Rußland, in Frankrcichs Hauptstadt, und
chrüben über'm Ocean die Hunderttausende:
Ein Geist, Ein Gedanke beseelt und einigt
ste an diesem Tage. Was heute Aüe
bewegt, es ist der nationale Jnhalt
ber deutschen Schillerfeier. Vor
zehn Iahren ließ das heiße, iw Ziele
schwankende Ringen zu keincm versöhnen-
ven Einigungspunkie gelangen; klage man
ven deutschen Hadcr der Gcgenwart an,'
so hart cs ihm gebührt, der Fortschritt in
der Erkenntniß, vaß nur deutsche Einigung
das Künftige seich- kann, ist seit jenen
Lagen doch ein mächtiger;. die geistige
Arbeit aus vem nationalen Fclde ist keinc
vergebliche gewesen, sie hat, begleitct von
der überwäliigenden Jüustration des gro-
ßen politischen Drama's in Europa, in
jedes ehrliche deutsche Hcrz mit unauö-
löschlichcr Schrift die ernsten Mahnworte
geschriebcn, daß nur eine, wenn auch lang-
same, doch stekige Entwicklung zur natio-
nalen Einheit dem deutschen Volke seine
Zukunft verbürgt. Jn dem Sturm des
Iahrcs 1859 sucht dcr Deutsche einen
Halt, kinen geistigen Mittelpunkt. Das
Volk hat ein Bevürfniß, stch eins zu

fühlen, es will sein Einheitsgefühl laut
bekennen, seincm Drange Worte geben:
Schiller ist dem deütschen Jdealismus der
Mittelpunkt. Wir entbehren der Dinge,
welche andcre Nationen groß gemacht, und
mächtig und einig erhalten, wir entbehrcn
der glorrcichen geschichtlichenErinnerungcn,
namcntlich des auf ein Volk so mächtig
wirkenden militärischen Ruhms. Wir stnd
gezwungen, unsere Stärke und mit ihr die
nationale Berechtigung anderswo zu su-
chen; unter aü' dem Viclcn, was wir
pslegen, um Kraft zur Einigung daraüs
zu ziehen, ist für den stnnenden, warmen
Chäraktcr des deutschen Volks das Höchste
dcr Ruhm unserer Literatur, der Stolz
auf unsere Dichter, denen keine Nation
cine ebenbürtige Reihe an die Scite setzen
kann. Jst es nicht cin Ruhm, innerlich
berechtigter, höher als der zweideutige
des Kriegers und nachhaltiger, heute noch,
ein Jahrhundert, nachdem uns Göthe's
jüngerer Freuud geboren wordcn, und für
alle kommenden Geschlcchter, als der Sol-
datenruhm, der im Wirbcl neuer Ereig-
nisse in nichts zerfährt. Wo findet sich
in der ganzen Geschichte des Mcnschen-
geistes ein zweiter Dichter, welcher, wie
er, den Charakter scines Volkes bildete,
welchcr, bewußt und unbcwußt, dem Den-
ken und Wollen scines Volkes dcn Jnhalt
gegeben? Solchcs sühlt das Volk, und in
Zeiten des Dranges qiehr noch als sonst
fühlt cs das Walten seines Licblings.
Nicht litcrarische Licbhaberei, oder die Lust
lauten Jubelns, oder Modesucht hst die
deutsche Schillcr'feier geboren, ste
ist empfangen in der nationalen Be-
drängniß. Und so möge denn die deutsche
Nation ihrcn Liebling seiern und als schöne
Frucht ein Stück Eini'gkeit aus der Feier
erwerben. Nichtein schneü vorüberziehendes
Gepränge wollen wir schauen, sondcrn
uns aü' den Feiern von den Gestaden der
Ostsee bis zum stillen Wiesenthale VeS
Schwarzwaldes, vom Nordseestrande zur
Donau hohen Gcwinn, bleibcndcn Nutzen
ziehen. So einig, so herzlich und brüder-
lich, wic wir in Schiller's Gedächtniß
stnd, warum können oder wvllen wir es
dcnn sonst nicht sein? Das Werk deutscher
Eiiiigung, deutscher Größe wird uns nicht
leicht gemacht. Wir haben in unserem so
reich gegliederten Volksleben einmal die
Summc der deutschen Gegensätze und Un-
terschiede. Wir haben nicht gleich andere»
 
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