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Heidelberger Tagblatt — 1859 (Juli bis Dezember)

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September
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https://doi.org/10.11588/diglit.2788#0249

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lich. Preis mitllnterhaltungsblattviertel-
jährlich 36 kr.

tzvonnrag, LL. «epremver

titzrile oder deren Raum werden mit Lkr.
berechnet.

Telegramm.

Paris, 8. Sept. Der Moniteur
erklärt den Charakter der Thatsachcn von
Vrllafranca und sagt, daß Zntrigue und
Leidcnschaft die Darstcllung der Lage bei-
der Armecn im Monat Juli entstellt haben.
Die Chancen waren beinahe gleich; die
österreichischc Armce mußte stärker werden,
indem ste sich auf die Festungen stützte,
uird Deutschland war bereit, die Sache
Oesterreichs zu ergreifen. Verwirklichte
stch diese Eventualitär, so hätte Ver Kaiseer
Nspolevn scine Trnppen Mückgezogen, um
fie an den Rhein zn führen. Jtaliens
Sache war dann, wenn nicht vcrloren,
doch zum Mindesten stark gcfährdet. Unter
diesen schwierigen Umständen dachte der
Kaiser, daß es vortheilhaft wäre, siir
Frankrcich zunächst und fiir Ztalien, Fric-
den zu schließcn, vorausgesetzt, daß die
Bedingungen seinem Programm cntsprä-
chen. Die erste Frage war die, zu wiffen,
ob Oesterreich das erobertc Gebiet ad-
treten würde, ob es aufrichtig seine Ober-
herrschaft in Ztalien verlaffen nnd däs
Prinzip der italienischen Nationalitat an-
erkenneu, Venetien mit Einrichtungen de-
kchenken werde, welchc cs zu einer italie-
nischen Provinz machen würdcn. Der
Kaiser vsn Oestcrreich räumte Allcs dieses
ein, stellte aber als unumgängiiche Be-
dingung die Rückkehr der Großherzoge in
ihre Staaten. Die Natur der Sache em-
pfahl, und Napoleon acceptirte eine Rück-
kehr, w^lche ohne fremde Truppen vor
stch ginge, mit ernstlichen Garantieen für
den freien Willen der Bcvölkerungen, wel-
chen man vorstellen mußte, wie schr die
Rückkehr im Zntcrcsse des italienischen
Vaterlandes sci. Für feden nnparteiischen
Mann leuchtet cin, daß der Kaiser durch
Frteden mehr gewann, als dnrch Waffen.
Maü muß auch die tiefe Sympathie L.
Napoleons für die Aufrichtigkeit und Ent-
schloffenhcit anerkennen, mit welcher der
Kaiser von Ocstcrreich im Zntercffe des
eurdpäischen Fricbens und im Bcrlangen
nach Wiederherstellung guter Beziehmigcii
mit Srankrcich auf scinc schönen Provin-
zen und auf ekne gefährliche, aber glor-
reiche Politik vcrzichte, welche seinen Ein-
stuß in Jtalien sicherte. Wäre der Verrrag
aufrichtig vollzogen wordcn, so wärc Oester-
reich eine bcfrcundcte Macht gewvrden und
keine deutschc Macht in Jtalien mehr ge-

wesen. Es ist leicht zu begreifeiz, daß,
wenn nach dcm Fricdensschluffe Ztalitns
Geschicke Männcrn anvertraut worden wä-
rcn, welche «ehr für das gcmeinschaftlichc
Vaterland als für theilweise Erfolge be-
müht gewesen wären, dieselbcn den Frie-
dcn von Villafranca entwickelt habcn wür-
den. Sie hätten vorgcschlagen, daß dcr
Kaiser von Oefierrcich in Venetien die
Stcüung einnahm, wie Holland in Lurem-
burg. Der Kaiser Napoleon durfte auf
die Einsicht und den Patriotismus Zta-
licns zählen und dcn Glauben hegcn, daß
es seine Politik begreife, welche stch so
zusammenfaffcn läßt: An Stelle eines
curopäischen Krieges nimmt Kaiser Na-
poleon eiucn Frieden an, welchcr zum
Erstrnmal feit Zahrhunderten dic Natis-
nalität Ztaliens sanktivnirt. Piemont sieht
seine Macht vergrößert, spielt die erste
Rolle, wenn di'e italienische Koutödcration
errichtet ist, nur unter der Einen Bcdin-
gung, daß die alten Herzoge wiederkehren.
Diese Sprache wird, wir hoffen es, anch
fetzt nvch degriffen werden durch den ge-
sunden Theil der Nation., Die Regierung
Frankrcich^ hat schon erklärt, daß die
Herzoge nicht durch Gewält zurückgcfiihrt
werden mögen; wenn aber die Bedin-
gungen des Friedens von Villafranca nicht
erfülltwerdcN, so ist der Kaiser von Oester-
reich seiner Verpflichtungen für Venetien
levig. Beunruhrgt dürch feindselige De-
monstrationen auf dem rechten Po-Ufer,
wird er im Kriegsstand bleiben. Statt
einer Pölitik der Versöhnung und des
Fricdens wird man wieder eine Politik
dcs Mißtrauens und des Hasses entstehen
sehkii, welche neue Berwirrung und neues
Unglück herbeiführen wird. Der Artikcl
schließt: „Man scheint sich viel von einem
curopäischen Kongrcß zu versprechen. Wir
wünschen ihn lcbhaft, aber wir bezweifeln,
daß er bessere BediNgungen für Ztalien
herbeiführcn wird. Der Kongreß wird
vcrlangen, was gerecht ist; wäre es abcr
gcreci't, von einer Großmacht wichtige
Coneefsionen zu verlangen, ohne ihr da-
für gleichwiegenden Ersatz daizubieten?
Das einzige Mittel wärc der Krieg, aber
mögc sich Jtalien darüber keincn Tän-
schungen hingebcn. Es gibt nur cine ein-
zige Macht in Europa, welche für einc
Zdee Krieg führt. Das ist Frankreich,
und Frankreich hat seine Aufgabe erfüllt."

(Schw. M.)

Reapolitanische Zustäude.

Die „Jndkpendance" bringt eiuen Be-
richt, der eine Zunahme der Schwüle in
dem Königreiche beider Sicilien andeutet.
Zedermann beschwert sich, und nichts geht
voran. Die Codi'ni (die Bezopften, die
Chinesen, worunter die Ztaliener dcn gan--
zcn Schweif der Rcaktion verstehen) sind
wüthend über die Wendung dcr Dinge
in Ml'tteli'talicn, über die französischc Am-
nestie und wüthend übcr den König Franz,
der ihnen nicht Festigkeit gcnug entwickelt;
ste finden es namentlich unverantwortkich,
daß man die Schweizcr gehen läßt. Nun
haben diese aber allen Verlocknngen Wi-
derstand geboten, die Codini leben fedvch
der Ueberzcugung, Ncapel werde über kur;
odcr lang geplündert werden ohne die
Schweizer, und man dürft deshalb keine
Opfer und Verführungskunst scheuen, um
diesen Eckstein der Ruhc und Ordnung
nicht zu vcrlieren. Anch die Armee ist
mißvergnügt. Zn dcn Caserncn wurden
160,000 muratistl'sche Proklamationen ver-
theilt, und trvtz zahlreicher Verhaftungen
ist man den eigentlichcn Urhebcrn nicht
auf die Spur gekommen. Die Soldatcn
schimpfen unumwiiliden über eine Anzahl
ihrer Vorgesctztcn, und wollen wie die -
Schweizer bezahlt und behandelt sein.
Um zu bkslbwichtigcn, hat der König am
25. August einen Besuch in den Cascrnen
in Nocera, Maddalonie, Caserta und Ca«
puä gemacht und stch gegen den gemkinrn
Soldaten schr hcrablassend gezeigt. Auch
der Richterstand ist unzufrieden, und eine
persönliche plumpe Bcleidigiing, die sich
eine der hvchstgestelltcn mili'tärischen Per-
sönlichkeiten in Folge eines verlornen Pro-
zeffes ungescheut gegcn den seiner Recht-
lichkcit und Geradheit wegen bekannten
Rath Niutta vom oberstcn Civilgerichts-
hofe erlaubt hat, ist Veranlassung gewor-
dcn, daß sämmtliche Obcrgerr'chtsräthe,
mit Ausnahme Anzani's, nm ihre Ent-
laffung eiiigekommen stnd/ wenn man ihrein
Collegen Genugthuung versage. Fast der
ganze Richter- ünd Advökatcnstan^ steht
so als Phalanr den Generalitätcn und
Stabsofnziercn schroff gegennber, während
ber König sich passtv verhält. Auf Sirr'-
lien ist dic Bewcgung bereits so vollstän-
dig organisirt, daß ein in Sammet gebun-
dener und mit dem stcilianischcn Wappen
gezierter stattlicher Band an den Kaiser
 
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