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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 1- Nr. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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jeidelbere

Volksblatt.

NIr. 3.

Mittwoch, den 12. Januar 1876.

9. Jahrg.


Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskows ka.

(Fortſetzung.)

Kaum ein halb Jahrhundert vorher waren nur
reiche Damen im Beſitz eines einzigen Hemdes von Lein-
wand geweſen, trugen daſſelbe alſo blos bei feſtlichen
Anläſſen. Und auch jetzt noch war ein Hemd ein ſo
koſtbares Geſchenk, daß es ſelbſt Fürſtinnen ihren Ver-
wandten als höchſtwillkommene Gabe darboten. Den
feinen Kopf mit ſeiner Fülle hellblonder Flechten um-
ſchloß eine Haube von ſchwarzem Harras, mit ſeidenen
Schnüren zierlich ausgenäht.
Die Glieder der Engernſtein'ſchen Familie mit Aus-
nahme Engelbrechta'd dankten auf Benigna's beſchei-
denen Gruß mit freundlichem Nicken und der Bräuti-
gam gab ihr einen Wink, heranzutreten zu ihm und
ſeiner Braut.
Sie that es ohne Scheu, und richtete an das Paar
einige glückwünſchende Worte — ehrerbietig und herz-
lich zugleich. Wenzel Engernſtein war auch ſtets freund-
lich gegen ſie geweſen, obwohl nicht ſo voll wahrhaft
mund. Theilnahme wie ſein jüngſter Bruder Sigis-
mund.
„Du weißt“, ſagte er zu ſeiner Neuvermählten,
daß Frau Kerbelin, Benigna's Mutter, mit großer
Mühe, doch wohlbehalten, Engelbrechta in's großväter-
liche Haus brachte, als deren Mutter, meine älteſte
Schweſter, geſtorben, das Schloß Vohtal's im Bauern-
kriege zerſtört war und Vohtal nicht wußte, was mit
dem zarten Kinde zu beginnen. Die arme Frau hatte
damals ihren jungen Ehegeſpons verloren und »kehrte
mit ihrem einzigen Kinde, der Benigna, nach der Vater-
ſtadt zurück. Von den Hoffnungen, mit denen ſie ihrem
Mann in die Fremde gefolgt, war keine in Erfüllung
gegangen. Arm kam ſie wieder und konnte das Un-
glück nie verwinden.“
Benigna hörte das nicht — hatte ſich zu ihrer Be-
gleiterin zurückbegeben, die nicht ſp einfach gekleidet
war, wie ſie. Käthe, deren Vater das allerdings ſehr
Übelberufene Haus des ſogenannten Nachtſchmiedes am
Obermarkt beſaß,
jedem Ausgange

einer Handwerkertochter geſtattete. Ihre ſeidene Haube

verbrämte Steinmarderfell, der Latz war von Sammet

war nicht arm, und ſchmückte ſich bei
gern mit Allem, was die Obrigkeit

und ihre Schürze mit bunter Seide reich ausgenäht

„verzänkelt“, wie man es damals nannte. Das Mieder
umſchloß ein ſilberner Gürtel; an dieſem prangte das
Meſſer in ſlberner Scheide — am Finger aber ein gol-
dener Ring. Lebhaft bedauerte ſie, daß ſie nicht den
Sonntagsrock von Harras angelegt hatte, ihre ſilber-
nen, vorſchriftsmäßig drei Loth ſchweren „Knöpfe“ um
die Arme und das zierliche Täſchchen, das, wie neuer-
dings wieder, die weibliche Kleidung vervollſtändigte,
und zur Aufbewahrung des Faziletlein oder Fazolet-
leins diente, ſolchergeſtalt hatte ſie mit Allem zu prun-
ken, was einem Mädchen ihres Standes vergönnt war.
Mittlerweile hatte der Stadtpfeifer ſammt ſeinen
Geſellen wieder zu muſiciren begonnen, ſchwang ſich die
Jugend im Tanz. Den Jungfrauen, die etwa ein Viertel

der Hochzeitsgäſte bildeten, war es nicht geſtattet, in

die Nacht hinein zu verweilen. Mit Ausnahme der
beiden nächſten Verwandten der Braut, die bei dieſer
bleiben bis das Feſt zu Ende, mußten ſie ſich ſchon

zwiſchen zwei bis 4 Uhr — ganze Zeit — heimbegeben

und zwar im Geleit ehrbarer Matronen, der Bieterin-
nen, von denen ſie auch eingeladen wurden. Da die
Stunde des Aufbruchs herannahte, beeilten ſie ſich, noch
möglichſt viel zu tanzen.
Engelbrechta führte den Reihen. Mit großem Ver-
gnügen wie es ſchien, während der Magiſter Rächer ſich
mit dem Bruder des Bräutigams unterhielt, beide der
jugendlichen Luſt fernbleibend. Deſto lebhafter nahm
ein anderer junger Herr daran Theil, ſchien wahrhaft
unermüdlich und in ſo übermüthiger Stimmung, daß
ſeine Bewegungen an die Grenzen des Erlaubten ſtreif-
ten, wenn nicht gar dieſelben überſchritten. Da er in-
deß von Adel war, nahm man ihm das nicht übel.
Wußte man doch, daß an den Höfen, an denen er ge-
lebt hatte, die Sitte freier war als in den Städten.
Er führte die Tänzerin, welche ſich dünkte mehr zu
ſein als das Töchterchen des regierenden Bürgermeiſters
Engelbrechta Vohtal. ö
Katharina konnte ſich nicht ſatt an ihm ſehen. „Der
paßte gut in die Tanzlauben zu den ausgelaſſenen Ge-
werksgeſellen“, flüſterte ſie ihrer Gefährtin zu. „Nur
ſein Anzug iſt zu prächtig! — Wer iſt der Herr mi
den weiß⸗ und hellrothen Pluderhoſen?“ erkundigte ſi
ſich bei einem Diener der Engernſteins. x
Er gab bereitwillig Auskunft. „Herr von Keude-
litz, ein vornehmer Edelmann aus Böhmen, der mit
ſeinem Begleiter. dem Magiſter dort, mit dem unſer
Herr redet, bei Herrn von Orbitz auf Dyllenberg zu
 
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