Heidelberger Volksb
Nr. 12.
Samſtag, den 12. Februar 1876.
9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)
Er beruhigte ſie darüber und reichte ihr den Arm.
Sie ſchritten nach dem Reichenbacher Thor und paſſirten
es. Noch waren die Pferde nicht da — ſo blieben ſie
denn unter dem Thorbogen ſtehen, wo der Wind ſie
nicht traf.
„Glaubt Ihr noch nicht an meine Liebe?“ fragte
ſie neckend.
Er drückte zärtlich ihre Hand. „Ich habe Dir ge-
mißtraut, ungerechterweiſe“, beichtete er reuevoll. „Dein
Hochmuth gegen Herrn v. Orbitz hatte mir Bedenken
eingeflößt. Jetzt glaube ich, daß Du auch in einem
engen, beſchränkten Hauſe glücktich ſein und glücklich
machen wirſt.“ ö
„Ihr ſeid und bleibt jetzt alſo auch noch der arme
Magiſter?“ Es klang etwas unmuthig. „Nun dürftet
Ihr doch wohl endlich die Maske fallen laſſen.“
Thymo antwortete nicht. ö
„Gib mir Dein Wort — biſt Du wirklich Magiſter?“
ſchmeichelte ſie. „Mein Oheim Sigismund bezweifelte es.“
Hufſchlag und Roſſewiehern ertönte. Es miſchte ſich
dasſelbe mit der Tanzmuſik, die aus Tanzläuben und
und Bierſtuben bis hierher ſchallte.
Thymo führte ſie aus dem Thor hinaus und ſagte
tonlos: „Wenn Du ſo fragſt, darf ich nicht darauf
beharren, die Maske vorzubehalten.“ Er nahm dabei
die Larve ſammt den daran befeſtigten Hörnern ab; es
war indeß zu dunkel, um ſein Geſicht zu unterfcheiden.
„Nun alſo — fahrt fort in der Beichte“, mahnte ſie.
„Du rühmteſt mein Zitherſpiel und meinen Geſang;
Du rühmteſt auch meinen Tanz, meine Gewandtheit über-
haupt. Nun denn, wenn ich wöre, als was ich mich
Dir ja auch in Groß⸗Woitersdorf zeigte — ein Spiel-
mann und zugleich Tänzer, Seilſteiger — Gaukler über-
haupt? Erſchrick nicht“, fuhr er flehend fort. „Denke
überhaupt an nichts, als an meine Liebe. Ich trotze um
Deinetweilen der Acht.“
Sie erſchrack dennoch lebhaft und entriß ihm ihre
Hand. Ein Abenteurer alſo, den ſie in hartnäckiger Ver-
blendung für einen aus Laune verkleideten Edelmann ge-
halten — ein Schwindler, wie ſie damals und zu allen
Zeiten nichts Seltenes waren.
Eine furchtbare Angſt
ſchnürte ihre Bruſt zuſammen und raubte ihr den Athem.
Die Schmach und Entehrung, welche ihrer wartete, wenn
das Abenteuer ruchbar ward, dazu die Enterbung, die
ihr unfehlbar bevorſtand — ſie meinte, wahnſinnig zu
werden, oder vielmehr wahnſinnig geweſen zu ſein, als
ſie dieſem Menſchen ihr Ohr lieh, es dagegen Benigna
und auch deren Mutter verſchloß.
Er hatte ihren Arm erfaßt und ſie weiter geführt,
über den Platz zum äußern Thor hin, zu den zwei Pfer-
den, die hier ungeduldig den Boden ſcharrten. Sie war
ſo niedergeſchmettort, daß ſie nicht an Widerſtand dachte,
Da dröhnte ein ſeltſamer, markerſchütternder Ton
durch die Luft; Geheul und Pfeifen, Pauken und Dro-
metenklang zugleich und doch nichts von alledem. Etwas
ganz Un⸗ und Ueberirdiſches, Eatſetzliches.
Engelbrechta ſtieß in unwillkürlichem Erſchrecken einen
lauten, gellenden Schrei aus.
„Was iſt das? Still, Du verräthſt uas“, flüſterte
Thymo betroffen, doch ſeine Faſſung raſch wieder findend.
Er verſuchte, ſie auf das Pferd zu heben, während der
Mann, welcher auf dem andern ſaß, in jähem Schwan-
ken davon⸗ und zum Thore hinausjazte. Er kannte dieſe
entſetzlichen Töne nicht und vermochte ſie ſich nicht zu
erklären.
Engelbrechta vermochte das wohl. Es war die Löwen-
pfeife, eine Art Orgelwerk, durch Blaſebälge bei dem
jedesmaligen Eintritt des Neumondes in Bewegung ge-
ſetzt, — um die Chriſtenheit an die Auferſtehung zu
mahnen. Man ſchwärmte damals noch für ſolche Spiel-
werke. ö
Brechta meinte auch, aufzuerſtehen, fühlte ſich we-
nigſtens wie neugeboren. Eine bekannte Stimme fragte,
zwar noch ziemlich ferne, auf ihren Schrei; „Was gibt's
hier?“
Jede Ruͤckſicht ſchwand. „Sigismund, Hilfe — zu
Hilfe!“ ſchrie ſie. Gewalt — man will mich fort-
ſchleppen! Hilfe!“
„Gewalt? Nicht doch, Fräulein!“ Thymo konnte
es nur kaum hörbar hervorſtoßen. Während ſie das
Tuch von ihrem Haupte riß, ſtand er regungslos. Dann
ſchwang er ſich, zur Erkenntniß der Gefahr gelangend,
auf das Roß. Zu ſpät! ö
Die äußern Thore wurden ſchon mit der Tämme-
rung geſchloſſen, nur die Seitenpforten blieben un Winter
bis zur Betglocke geöffnet. Der Tyorhüter war jetzt
Nr. 12.
Samſtag, den 12. Februar 1876.
9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)
Er beruhigte ſie darüber und reichte ihr den Arm.
Sie ſchritten nach dem Reichenbacher Thor und paſſirten
es. Noch waren die Pferde nicht da — ſo blieben ſie
denn unter dem Thorbogen ſtehen, wo der Wind ſie
nicht traf.
„Glaubt Ihr noch nicht an meine Liebe?“ fragte
ſie neckend.
Er drückte zärtlich ihre Hand. „Ich habe Dir ge-
mißtraut, ungerechterweiſe“, beichtete er reuevoll. „Dein
Hochmuth gegen Herrn v. Orbitz hatte mir Bedenken
eingeflößt. Jetzt glaube ich, daß Du auch in einem
engen, beſchränkten Hauſe glücktich ſein und glücklich
machen wirſt.“ ö
„Ihr ſeid und bleibt jetzt alſo auch noch der arme
Magiſter?“ Es klang etwas unmuthig. „Nun dürftet
Ihr doch wohl endlich die Maske fallen laſſen.“
Thymo antwortete nicht. ö
„Gib mir Dein Wort — biſt Du wirklich Magiſter?“
ſchmeichelte ſie. „Mein Oheim Sigismund bezweifelte es.“
Hufſchlag und Roſſewiehern ertönte. Es miſchte ſich
dasſelbe mit der Tanzmuſik, die aus Tanzläuben und
und Bierſtuben bis hierher ſchallte.
Thymo führte ſie aus dem Thor hinaus und ſagte
tonlos: „Wenn Du ſo fragſt, darf ich nicht darauf
beharren, die Maske vorzubehalten.“ Er nahm dabei
die Larve ſammt den daran befeſtigten Hörnern ab; es
war indeß zu dunkel, um ſein Geſicht zu unterfcheiden.
„Nun alſo — fahrt fort in der Beichte“, mahnte ſie.
„Du rühmteſt mein Zitherſpiel und meinen Geſang;
Du rühmteſt auch meinen Tanz, meine Gewandtheit über-
haupt. Nun denn, wenn ich wöre, als was ich mich
Dir ja auch in Groß⸗Woitersdorf zeigte — ein Spiel-
mann und zugleich Tänzer, Seilſteiger — Gaukler über-
haupt? Erſchrick nicht“, fuhr er flehend fort. „Denke
überhaupt an nichts, als an meine Liebe. Ich trotze um
Deinetweilen der Acht.“
Sie erſchrack dennoch lebhaft und entriß ihm ihre
Hand. Ein Abenteurer alſo, den ſie in hartnäckiger Ver-
blendung für einen aus Laune verkleideten Edelmann ge-
halten — ein Schwindler, wie ſie damals und zu allen
Zeiten nichts Seltenes waren.
Eine furchtbare Angſt
ſchnürte ihre Bruſt zuſammen und raubte ihr den Athem.
Die Schmach und Entehrung, welche ihrer wartete, wenn
das Abenteuer ruchbar ward, dazu die Enterbung, die
ihr unfehlbar bevorſtand — ſie meinte, wahnſinnig zu
werden, oder vielmehr wahnſinnig geweſen zu ſein, als
ſie dieſem Menſchen ihr Ohr lieh, es dagegen Benigna
und auch deren Mutter verſchloß.
Er hatte ihren Arm erfaßt und ſie weiter geführt,
über den Platz zum äußern Thor hin, zu den zwei Pfer-
den, die hier ungeduldig den Boden ſcharrten. Sie war
ſo niedergeſchmettort, daß ſie nicht an Widerſtand dachte,
Da dröhnte ein ſeltſamer, markerſchütternder Ton
durch die Luft; Geheul und Pfeifen, Pauken und Dro-
metenklang zugleich und doch nichts von alledem. Etwas
ganz Un⸗ und Ueberirdiſches, Eatſetzliches.
Engelbrechta ſtieß in unwillkürlichem Erſchrecken einen
lauten, gellenden Schrei aus.
„Was iſt das? Still, Du verräthſt uas“, flüſterte
Thymo betroffen, doch ſeine Faſſung raſch wieder findend.
Er verſuchte, ſie auf das Pferd zu heben, während der
Mann, welcher auf dem andern ſaß, in jähem Schwan-
ken davon⸗ und zum Thore hinausjazte. Er kannte dieſe
entſetzlichen Töne nicht und vermochte ſie ſich nicht zu
erklären.
Engelbrechta vermochte das wohl. Es war die Löwen-
pfeife, eine Art Orgelwerk, durch Blaſebälge bei dem
jedesmaligen Eintritt des Neumondes in Bewegung ge-
ſetzt, — um die Chriſtenheit an die Auferſtehung zu
mahnen. Man ſchwärmte damals noch für ſolche Spiel-
werke. ö
Brechta meinte auch, aufzuerſtehen, fühlte ſich we-
nigſtens wie neugeboren. Eine bekannte Stimme fragte,
zwar noch ziemlich ferne, auf ihren Schrei; „Was gibt's
hier?“
Jede Ruͤckſicht ſchwand. „Sigismund, Hilfe — zu
Hilfe!“ ſchrie ſie. Gewalt — man will mich fort-
ſchleppen! Hilfe!“
„Gewalt? Nicht doch, Fräulein!“ Thymo konnte
es nur kaum hörbar hervorſtoßen. Während ſie das
Tuch von ihrem Haupte riß, ſtand er regungslos. Dann
ſchwang er ſich, zur Erkenntniß der Gefahr gelangend,
auf das Roß. Zu ſpät! ö
Die äußern Thore wurden ſchon mit der Tämme-
rung geſchloſſen, nur die Seitenpforten blieben un Winter
bis zur Betglocke geöffnet. Der Tyorhüter war jetzt