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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
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Volksblatt.

Nr. 381.

Mittwoch, den 19. April 1876.

9. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleg er, Schiffgaſſe 4
und bei den Tragern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Der Geiger.
Ein Lebensbild aus dem Franzöſiſchen von Bent gen.
(Vortſetzung.)

Job, der von der ganzen Rede nur das eine Wort
„vergeſſen“ verſtanden hatte, unterbrach ihn jetzt, indem
er mit der größten Empörung ausrief: Vergeſſen, ich
ſollte meinen Schmerz vergeſſen, wenn ich ſonſt nichts
mehr auf der Welt habe? ö
Wenn Dir nichts auf der Welt mehr etwas gilt,
warum willſt Du nicht dieſes Stück Holz verbrennen?
fuhr der fanatiſche Prieſter mit ſeiner unerbittlichen
Logir fort. ö
Ach, — ſür den armen Job war es kein Stück
Holz, es war der einzige Freund, ver ihm auf Erden
geblieben; aber der Gedanke, daß man glanuben könne,
dieſer Freund ſei fähig, ihn in ſeinem großen Unglück zu
tröſten, verſetzte ihn iu eine Art von Wuth.
So verbrennt ſie denn, Ihr ſelbſt, brachte er end-
ſih n. Mühe und kaum verſtändlich heraus und wandte
ab. 2—
Für ͤ den Prieſter war es genug; er zögerte keinen
Augenblick, aus Furcht, Job könnte wieder andern Sinnes
werden, ſeine ihm ſo mühſam abgerungene Einwilligung
zürücknehmen. Mit ſtarker Hand und einem Lächeln der
Befriedigung auf den ſchmalen Lippen ſchleuderte er das
unſchulbige Inſtrument, welches ſeiner Meinung nach
Job's ſündhafter Gefährte geweſen, in die Flammen.
Die Saiten riſſen und ſprangen, es klang faſt wie
ein menſchlicher Ton. ö
Den armen Job durchſchauerte es an allen Gliedern,
es war ihm zu Mutte, als wohne er dem Morde eines
lebenden Menſchen bei, oder vielmehr, als ſei ſeine eigene
Seele im Begriff, ihn zu verlaſſen. Sein Geſicht nahm
einen Ausdruck an, daß Paſtor Flech einen Augenblick
fürchtete, der Geiger möchte verrückt werden. Immer
noch beſſer wahnſinnig werden, troͤſtete er ſich jedoch
ſelbſt, als ein Sünder bleiben.

Mein Sohn, fing er an, und ſuchte nach Worten,
um ſeinem Opfer Muth und Troſt einzuſprechen, dabei
nahm ſeine Stimme einen mildern Klang an, mein

Sohnn
Aber Job hörte nichts mehr. Er war auf die Knie
gefallen und ſchlug mit dem Kopf auf die Platte der

Feuerſtelle, worauf ſeine letzte Liebe ſich ſoeben verzehrt
hatte. Lange blieb der Geiſtliche noch bei ihm, nach
beſten Kräften ihn ermahnend und ihm zuredend, aber
er hätte eben ſo gut zu einem Stein ſprechen können.
Als er ſah, daß alle ſeire Mühe vergeblich war, rief er
einen Nachbarn herbei und teug ihm auf, bei dem Un-
glücklichen Wache zu halten, bis er wieder zur Beſinnung
käme; nach ſo vielen ſchlafloſen Nächten, fügte er hin-
zu, ſei dieſer lethargiſche Zuſtand nur zu erklärlich.

Die ausgebrannte Aſche der armen Geige lag noch
auf demſelben Heerd, der noch vor ſo kurzer Zeit der
Mittelpunkt einer glücklichen Fanilie geweſen. Ehe Paſtor
Flech das Haus verließ, warf er einen zetzten Blick auf
die verkoblten Ueberreſte, als bedeuteten ſie den nun
niedergeſchmetterten Satan ſelbſt. Und dann ging der
würdige Diener der Kirche hinaus in die kalte Herbſt-
nacht mit dem Bewußtſein, ein gutes Werk gethan, Gott
eine Seele zugeführt zu haben, demſelben Gott, deſſen
Geſchöpf er, ſtatt wie es ſein Amt als Prieſter der
Religion und der Liebe waͤre, zu tröſten und aufzurich-
ten, den letzten Troſt geraubt, deſſen Seele er vollends
der Nacht der Verzweiflung Preis gegeben hatte. Er
empfand nicht den ſtrömenden Regen, nicht den Wind,
der ihm den Hagel in's Geſicht peiſchte; bis auf die
Haut durchnäßt, erreichte er ſeines Pfarrhof, gefühllos
für Alles außer für den Sieg, welchen er eben geron-
nen hatte. — Andern Tages war auf ganz Brohat nur
don der Bekehrung Jobs die Rede. Man ſchütielte die
Köpfe und wollte es nicht glauben, ehe man ſich ſelbſt
davon überzeugt hatte. Aber zum großen Bedauern der
neugierigen Beſucher blieb die Thüre des Trauerhauſes
für Jeden verſchloſſen, ausgenommen für den Griſtlichen,
der täglich kam, um ſein einmal angefangenes Werk
weiter zu derfolgen. Unglücklicherweiſe war aber der
Eifer des heiligen Mannes, dem Himmel eine ſchon für
verloren gehaltene Seele wieder zuzuführen, größer als
ſein Verſtand und ſeine Menſchenkenntniß, und in der
Abſicht, Job zur Buße umzuleiten, machte er ihn gerade-
zu verrückt. Er erzählte ihm ohne Unterlaß, auf welche
Art ein in ſündiger Luſt verbrachtes Leben wieder aus-
getilgt und gut gemacht werden lönne, durch Gott wohl-
gefällige Entbehrungen und Kaſteiungen, wie hierſelbſt
auf dem Boden von Brohat die Heiligen das Beiſpiel
dazu gegeben hätten, indem ſie der Welt entſazten. Der
heilige Mode, deſſen Kiſſen ein Fels auf inem kleinen
nach ihm benannten Inſelchen geweſen, der heilige Indek,
 
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