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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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Nr. 42.

geidelberger Vollsblatt.

Samſtag den 27. Mai 1876.

9. Ichrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgafſe 1

und bei den Trägern. Auswürts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Der Kloſterteich.
Von B. M.

(Fortſetzung.)

„Sie liegt mehr in unſerer Macht als Du denkſt“,
antwortete ihr Robert. „Ich glaube, daß wenn man
ein beſtimmtes Ziel feſt und unabläſſig mit Ausſchluß
jedes andern Gedankens und Gefühls vor Augen hat,
daſſelbe weit öfter erreicht wird, als oberflächliche Men-
ſchen glauben.“
Er brach kurz ab, denn wie ein Vorwurf ſtieg es
in ihm auf, daß ja auch ſeine Liebe zu Elsbeth ein ſolch'
brennendes Verlangen geweſen ſei und daß die Erfül-
lung ſeiner Wünfche nur durch ein ſchweres Oyfer er-
er ſort: war. — Lächelnd und in leichterem Ton fuhr
er fort:
„Wir ſehen eben nur, wenn ein Menſch ſeinem Schick-
ſal unterliegt, aber wer kann wiſſen, wie oft feſter
Wille die Verhältniſſe bezwungen hat.“
Es war Beiden eine Erleichterung, daß ihr Allein-
ſein in dieſem Augenblick durch den Eintritt eines liebens-
würdigen, alten Fräuleins unterbrochen wurde, die ſeit
Kurzem, auf Elsbeth's Bitte, zu ihr gezogen par, um
bis zu ihrer Hochzeit bei ihr zu bleiben.
So glücklich ſich Elsbeth auch in der Nähe ihres
Verlobten fühlte, ſo beängſtigend wirkten doch die jähen
Ausbrüche ſeiner Leidenſchaft auf ſie. In Gegenwart
Anderer benahm er ſich zurückhaltender und dann hatte
ſeine Unterhaltung einen bezaubernden Reiz für ſie.
Ganz verſchieden von dem alltäglichen Geſchwötz ihrer
übrigen Eſtebrügger Bekannten, wußte er in feſſelndſter
Weiſe über Literatur, Kunſt, Wiſſenſchaft und die wich-
tigſten Tagesintereſſen zu ſprechen. Elsbeth beſaß zwar
ceine bedeutenden Kenntniſſe, aber ſie hatte jene ſeltene
Gabe mit voller Hiegebung zuhören zu koͤnnen und das
eifrigſte Streben, ſich zu bilden und zu veredeln, Eigen-
ſchaften, die die Mönner vor allen anderen an den
Frauen ſchätzen. Ihre liebliche Erſcheinung, ihr ſanftes
nachgiebiges Weſen, ihre milde Ruhe, zogen ihn um ſo
mächtiger an, weil ſie den vollkommenſten Gegenſatz zu
der ſtürmiſchen Heftigkeit ſeines Characters bildeten.
Sein alter Onkel, dem er eine, weit üder die An-
ſprüche eines Landarztes gehende Erziehung verdankte,
hinterließ ihm außer ſeiner Praxis eine aus Haus, Gar-

ten und Feld beſtehende Beſitzung, „der Kloſterhof“ ge-
nannt. Dörnburgs geſchickte Behandlung eines unge-
woͤhnlich ſchwierigen Krankheitsfalles, hatte die Aufmerk-

ſamkeit der bedeutendſten mediziniſchen Zelebritäten auf

ihn gelenkt. Man hatte ihn vielfach gedrängt, aus ſei-
ner Verborgenheit hervorzutreten, und ſeine ſeitene Be-
gabung und reichen Kenntniſſe in einer angemeſſenen
Stellung zu Nutz und Frommen der leidenden Menſch-
heit zu verwerthen. Er hatte aber bis jetzt alle, auch
die glänzendſten Anerbietungen ausgeſchlagen. Viele
ſchrieben dieſe Hartnäckigkeit ſeiner Anhänglichkeit an
Eſtebrüge zu, wo die ärztliche Würde ſeit einer Reihe
von Jahren in der Familie Dörnburg erblich geweſen
war; Andere vermutheten (und mit größerem Recht), daß
ſele. Liebe zu Elsbeth Steinach ihn an die Heimat feſ-
ele.
Als er ſie an dieſem Abend verließ, ſagte er:
„Elsbeth, von nun an werde ich nach Rang und Eh-
ren ſtreben. Würde es Dir großen Schmerz bereiten,
wenn ich Dich eines ſchönen Tages aus unſerm alten
Eſtebrügge entführte?“
6 181 ſchlug lächelnd die Augen zu ihm auf und ſazte
nig:
„Nein, denn ich nehme meine Heimat mit mir.“
„Ich möchte Dir gern einen ſonnigeren Aufenthalt
bieten, als den alten, dumpfigen Kloſterhof. Ich möchte
meiner Elsbeth ihren Platz unter den angeſehenſten
Frauen des Landes anweiſen.“
Nach einem zärtlichen Abſchied verließ er ſie und ge-
langte jenſeits des Kirchhofs durch eine ſchmale Gaſſe
auf die Hauptſtraße, von der er bald wieder in ein an-
deres Seitengäßchen einbog und ſich in wenig Minuten
vor dem Gitterthor des Gartens befand, in dem ſein
Haus lag.
Es war ein alterthümliches, düſteres Gebäude, das
ſeinen ſeltſamen Namen ſeit Alters trug, weil es eia-

mal die gaſtliche Freiſtätte einer frommen Stiftung ge-

weſen ſein ſollte. Ein kleiner Vorſaal und ein düſteres
großes Ztmmer lagen nach vorn heraus, ein plump auf-
geführter Anbau mit beſonderem Eingang diente als
Sprechzimmer. Zwei große Wohnzimmer lagen hinten
nach dem kleinen Garten hinaus und gewährten den

Ueberblick über das Feld, dus die Befitzung abſchloß.

Dies Feld wurde ängſtlich von der Eſtebrügger Jugend
gemieden, denn auf einer Seite deſſelben befand ſich ein
ſchwarzer, ſchlammiger Teich, welcher nach dem Volks-
 
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