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WWMall lllid Kunii / Aus der UM der Frau / Sie Lekeitimte
Pfälzer Sole_Donnerstag, 18. April 1935_70. Jahrgang / Ar. 92
Annahme -er Entschließung in Genf
Einstimmigkeit bei Stimmenthaltung Dänemarks / Beleidigende Ausfälle Litwinows gegen Deutschland / Bemerkenswerk
Kritik des spanischen Vertreters / Gin Zwischenspiel / Frankreichs Dank an den Völkerbundsrat
DNV. Genf, 17. April.
Als erster Redner ergriff am Mittwoch der
sowjetrussische
Außenkommiffar Litwinow
»as Wort. Er begann mit der Feststellung, daß
gestern die Unterzeichner des Versailler Ver-
trags, die durch den deutschen Schritt unmittel-
bar berührt seien, gesprochen hätten. Sowjet-
rußland sei für Versailles nicht verantwortlich,
aber als Mitglied des Völkerbunds und des
Dölkerbundsrats sei es durch eine Verletzung
des Völkerbundspaktes durch einen Staat, der
noch Mitglied des Völkerbundes sei, ebenfalls
berührt. Gewiß müßten alle Staaten für ihre
Sicherheit sorgen. Man werde, wenn ein Staat
sich Waffen anschaffe, zunächst annehmen, daß es
zu defensiven Zwecken geschehe. Diese Annahme
werde aber zweifelhaft, wenn diese Waffen
nicht zu Verteidigungszwecken, sondern offen-
sichtlich zur Revanche und zu einer Ge-
waltpolitik bestimmt sein könnten, die die
Sicherheit benachbarter Staaten bedrohe. Wenn
ein Staat, der durch ein Staatsoberhaupt
regiert werde, unbegrenzte Eroberungsziele
als sein Prr^- amm bezeichnet habe, und er spä-
ter von dieser Politik nicht abrückte, dann sei
eine andere Lage geschaffen. Deutschland habe
keinerlei Garantien dafür gegeben, daß es an
diesen Zielen nicht mehr festhalte. Der sowjet-
russische Außenkommissar stellte sodann die Frage
auf, ob man vor derartigen Tatsachen die
Augen schließen könne. Litwinow suchte sodann
die „Gefährlichkeit" Deutschlands durch einen
Vergleich zu demonstrieren. Er behauptet,
daß, wenn in einer Stadt sich ein Individuum,
das die Absicht kundgetan habe, die Häuser der
Bürger zu zerstören, illegal Waffen besorgt
habe und dann beruhigende Zusicherungen gebe,
zweifellos keine Sympathien erzeugt würden.
Litwinow stellte in Zweifel, ob man die Ver-
sicherungen eines derartigen angriffslustigen
Individuums ernst nehmen könne, das fähig
sei, sich über alle Gesetze hinwegzusetzen. (Hier
zeichnete Litwinow, ohne es selbst zu wollen, in
hervorragender Weise den Durchschnittstyp des
kommunistischen Revolutionärs).
Litwinow erklärte sodann abschließend, er wäre
froh, wenn Deutschland hier anwesend wäre
und die Gelegenheit ergreifen müßte, von sei-
nem Programm der Revanche und der Erobe-
rungsgelüste abzurllcken. Leider sei hierzu kei-
nerlei Aussicht vorhanden.
Im weiteren Verlauf der Aussprache erklärte
der portugiesische Vertreter,
daß er zwar der Ansicht sei, daß die Förderung
der kollektiven Sicherheit in Europa nur dann
möglich sei, wenn ein Vertragsbruch unmöglich
gemacht werde, daß er aber dem Beschluß
von Sanktionen sehr skeptisch ge-
genüber st ehe. Besonders Maßnahmen wirt-
schaftlicher Art träfen oft beide Teile und ver-
lören daher den Charakter einer Strafe. Im
übrigen gehöre Portugal zu den Staaten, die
es begrüßen würden, wenn gewisse Länder, die
durch ihr Prestige und ihre Bedeutung einen
wichtigen Platz in der europäischen Friedens-
organisation einzunehmen berufen seien, zum
Völkerbund zurückkehrten.
Der australische Vertreter
erklärte, daß er für die Entschließung stimmen
werde. Obwohl diese besonders auf europäische
Probleme Bezug nehme, so sehe man doch auch
in außereuropäischen Staaten mit Beunruhi-
gung die Verschlechterung der politischen Lage
in Europa. Die Entschließung nehme auf Tat-
sachen und auf Verpflichtungen Bezug, die außer
Zweifel feien. Von der Annahme der Ent-
schließung erhoffe er eine Beruhigung der inter-
nationalen Lage.
Der spanische Vertreter Madariaga
Di« darauf hin, daß der Völkerbundsrat viel
mehr eine politische Instanz als ein Gerichtshof
sei und daß daher nicht lediglich nach
dem Buchstaben vorgegangen werden
könne, ohne den politischen Notwendigkeiten
Rechnung zu tragen. Aus diesem Grund habe
er der unterbreiteten Entschließung vorzuwer-
fen, daß sie nicht genügend die politische Ee-
samtlage berücksichtigte und der geschicht-
lichen Entwicklung Rechnung trage, die
das Vorgehen der deutschen Regierung zur Folge
hätte. Die spanische Delegation habe oft genug
darauf hingewiesen, daß die Anwendung des
Artikels 8 des Völkerbundpakts unbedingt ge-
fördert werden müsse. Wäre eine Ab-
rüstungskonvention zustände ge-
kommen, so w ü rd e man sich heute in
einer wesentlich anderen Lage be-
finden. Der spanische Vertreter kam dann
auf die Wirksamkeit des Völkerbundspaktes zu
sprechen. Er sprach die Auffassung aus, daß,
wenn gewisse Paktartikel nicht mit der nötigen
Ehrlichkeit angewendet würden, man sich auch
nicht wundern müsse, daß auch andere Ver-
pflichtungen nicht eingehalten werden. Unglück-
licherweise hätten die meisten Artikel des Pakts
in den letzten Jahren eine Abschwächung erfah-
ren. Die Schwierigkeit bei der Veschließung von
Sanktionen sei die Frage des Augenblicks ihrer
Anwendung. Wenn er gestern einige Zweifel
über die vorgelegte Entschließung ausgedrückt
habe, so werde das die spanische Delegation nicht
daran hindern, die Realitäten zu berücksichtigen,
denn Spanien könne sich nicht der Zustimmung
zu einer Entschließung enthalten, in der gesagt
sei, daß die Gewalt kein Recht schafft.
Die Vertreter Mexikos, Argentiniens und Chiles
brachten übereinstimmend ihre Loyalität gegen-
über dem Völkerbund zum Ausdruck und beton-
ten, daß sie sich stets für genaue Innehaltung
der gegenseitig eingegangenen Verpflichtungen
eingesetzt hätten. Sie hoben jedoch besonders
hervor, daß durch die vorliegende Erklärung,
die auf Europa abgestellt sei, der weltumfassende
Charakter des Völkerbundes nicht in Frage ge-
stellt werde. Von allen drei Seiten werde der
Entschließung zugestimmt werden.
Der dänische Außenminister Dr. Munch
erklärte, daß er die letzten drei Paragraphen
der Entschließung gern annehmen würde, es
gebe aber einen anderen Abschnitt, nämlich die
Einleitung der Entschließung, der aus die
welthistorische Entwicklung Bezug
nehme und der über das deutsche Vor-
gehen vom 16. März ein Urteil fälle.
Ueber die Zweckmäßigkeit dieses Teiles habe er
starke Zweifel.
Er befürchte, daß sein Inhalt auf die in Gang
befindlichen internationalen Verhandlungen
eine schlechte Einwirkung haben werde und daß
die Schwierigkeit, aus dem Engpaß herauszu-
kommen, in dem sich die internationale Politik
augenblicklich befinde, dadurch noch erhöht
werde. Er bedauere sehr, daß die Entschließung
diesen Teil enthalte» da man dadurch aus
dem allgemeinen Rahmen herausgetreten sei,
Deutschland namentlich genannt und dem Rat
somit die Rolle eines Gerichtshofes zugeteilt
habe.
Die Annahme dieses Teiles würde die Der-
söhnungsaufgabe des Völkerbundsrates beein-
trächtigen.
Er könne daher seine Zustimmung zu der Ent-
schließung nur dann geben, wenn dieser Teil
eine entsprechende Aenderung erfahre. So
aber sei ihm das nicht möglich.
Was die Frage der Sanktionen für
zukünftige Vertragsbrüche anlange,
so sei sein Land angesichts der gegenwärtigen
internationalen Lage damit einverstanden, dem
Studium der Ausdehnung des Artikels 16 zu-
zustimmen, da die umsichgreifende Nichtanerken-
nung internationaler Verpflichtungen somit zur
internationalen Anarchie zu führen drohe. Seine
Regierung lege jedoch großen Wert darauf, Laß
gleichzeitig mit der Vorbereituna solcher Maß-
nahmen neue Anstrengungen gemacht werden,
dem Rü st ungs wettlauf Einhalt zu ge-
bieten, der immer beängstigendere Formen an-
nehme.
Ser türkische Außenminister
erklärte, daß internationale Verpflichtungen ein-
gehalten werden müßten, und daß er der Rats-
entschließung zustimmen werde. In seiner Eigen-
schaft als Vertreter der Türkei hob der Rats-
präsident sodann die Notwendigkeit hervor, das
vorliegende Memorandum im Lichte der Ver-
handlungen von Stresa zu betrachten. Die
Kleine Entente und der Balkanbund hätten be-
züglich der Verhandlungen von Stresa bereits
ihre Ansicht zum Ausdruck gebracht. Es liege ihm
jedoch als Vertreter der Türkei daran, in die-
sem Zusammenhang gewisse Wünsche der
Türkei bezüglich der die Türkei betreffenden
militärischen Klauseln des Abkommens von
Lausanne zum Ausdruck zu bringen, falls die
kommenden Verhandlungen zur Aufhebung der
militärischen Bestimmungen der Verträge von
Neuilly und Trianon führen würden.
Diese Anspielungen des türkischen Außen-
ministers wurden jedoch sofort von den Vertre-
tern der drei Großmächte Italien, England und
Frankreich in aller Form zurückgewiesen,
da sie mit dem gegenwärtigen Verhandlungs-
thema der Ratssitzung nichts zu tun hätten.
Nach diesem kurzen Zwischenspiel stellte dann
der türkische Außenminister als Ratspräsident
den französisch - englisch - italienischen
Entschließungsentwurf zur Abstimmung.
Hierbei meldete sich der dänische Außenmini-
ster Munch zum Wort und erklärte, daß ihn
die Ablehnung der drei Großmächte, die von ihm
vorgeschlagenen Aenderungen an der Entschlie-
ßung vorzunehmen, dazu bestimmen müßte, sich
bei der Abstimmung seiner Stimme zu enthal-
ten. Er gab jedoch der Hoffnung Ausdruck, daß
die Entschließung dennoch das Ziel erreichen
würde, zu der so notwendigen Befriedung Euro-
pas beizutragen und zu einem Uebereinkommen
aller Großmächte zu führen.
Vor dem Schluß der Sitzung ergriff Litwi-
now nochmals das Wort und erklärte, daß er
der Beschränkung der Bestimmungen gegen Ver-
tragsbruch auf Europa nicht zustimmen könne.
Er sei der Ansicht, daß solche Maßnahmen auch
auf die übrigen Weltteile ausgedehnt werden
müßten, da sonst der Eindruck entstehe, daß die
außereuropäischen Verträge ohne weiteres ver-
letzt werden dürften.
Der englische Außenminister Sir John Si-
mon erklärte dazu in ziemlich scharfem Ton,
daß es nicht Sache der Ratsentschließung sei,
die Aufgaben des einzusetzenden Ausschusses zu
beschränken. Die besondere Erwähnung Europas
in der Entschließung sei vollkommen erklärlich
durch die Bedeutung, die die hier aufgeworfene
Frage in erster Linie für Europa habe. Er
könne einer Aenderung der Entschließung im
Sinne der Wünsche Litwinows daher nicht zu-
stimmen. Durch eine Erweiterung würde die
Entschließung ihre Kraft und Wirkung verlie-
ren. Ziemlich erregt fügte er hinzu, man be-
finde sich hier vor einem praktischen Problem,
das eine praktische Lösung verlange und das
nicht mit leeren Formeln und Worten in ein so
erweitertes Gebiet getragen werden könne, daß
es daran wirkungsvoll zerschelle.
Kurz vor 13.30 Uhr wurde die von Frank-
reich, England und Italien eingebrachte Ent-
schließung vom Völkerbundsrat bei Stimment-
haltung Dänemarks angenommen.
Nach der Abstimmung sprach der französische
Außenminister Laval noch einige Worte. Er
erklärte, daß Frankreich dem Völkerbund fest
zugetan sei. Der Rat habe seine Verantwortlich-
keiten übernommen. Er habe den Vertragsbruch
ausdrücklich verurteilt. Laval führte weiter aus,
er habe nun die angenehme Pflicht, dem Rat im
Namen Frankreichs für die Erfüllung seiner
Auiaaben au danken. Einem unruhigen Europa
Litwinows Agitationsrede
DNB. Berlin, 17. April.
Zu der Rede, die der sowjetrussische Volkskom-
missar des Aeußern, Litwinow, am Mittwoch vor
dem Völkerbundsrat hielt, schreibt di« „Deutsch«
Diplomatische-Politische Korrespondenz" u. a.:
Die Aufdringlichkeit des sowjetrussi-
schen Auftretens in Genf hat mit der Erklärung
Litwinows den Gipfel erreicht. Man hat
fast den Eindruck, daß der Sowjetkommissar sein
Publikum verwechselt und in Genf die Red« ge-
halten hat, die er für den kürzlich veranstalteten
Sowjetkongreß wahrscheinlich vorbereitet hatte.
Was allenfalls für die in der Sowjetunion ver-
einigten Völkerschaften geeignet gewesen wäre,
wurde von ihm einem Gremium von Nationen
vorgesetzt, das sich gern als die Oberste Instanz
der zivilisierten Welt betrachtet. Das ist charak-
teristisch für die Ungeniertheit, mit der die Sow-
jetunion mit dieser Instanz der „kapitalististhLn
Welt" umspringen zu können glaubt; es ist aber
auch typisch für den Völkerbund, daß
dort eine solche Rede gehalten werden konnte.
Litwinows kommunistische Agitationsrede
gegen das nationalsozialistische Deutschland
steht in einer Reihe mit den sonstigen vo»
Moskau aus geförderten Umtrieben in der
Welt, die eine systematische Bedrohung der
anderen Staaten darstellen.
In Spanien, Südamerika, Indien, China, Japan
und vielen anderen Ländern verrichten die Emis-
säre desjenigen Systems ihre unterirdische Ar-
beit, das sich neuerdings in der Rolle eines
Friedensgaranten gefällt- In der ganzen Welt
muß ein Heer von Geheimpolizisten
unterhalten werden, um die Moskauer Frie-
densstörer zu bekämpfen; selbst in Ländern wie
der mit Rußland eng befreundeten Türkei hält
man es für notwendig, jeden Moskauer Agen-
ten unschädlich zu machen. Unter diesen Umstän-
den, die Litwinow wohl selbst am besten kennt,
gehört eine erstaunliche Kühnheit dazu,
die Politik anderer Länder kritisieren zu wol-
len. Litwinow ironisiert ungewollt sich und feine
Gesinnungsgenossen, wenn er den Vergleich ge-
braucht, daß ein Individuum, das in einer Stadt
die Absicht kundgetan habe, die Häuser der Bür-
ger zu zerstören, illegal Waffen besorgt habe und
dann beruhigende Zusicherungen gebe, zweifellos
damit keinen Eindruck machen würde.
Das ist genau die Auffassung, die auch nach
dem Eintritt der Sowjetunion in den Völker-
bund in weitesten Kreisen gegenüber diesem ge-
waltigen Komplex mit seinen unkontrol-
lierbaren Ideen und Absichten und
seiner starken Bewaffnung besteht. Die unbe-
sprochen gebliebene Rede Litwinows war der
bezeichnende Auftakt zu der gefaßten Entschlie-
ßung. Tatsächlich hat sich der Völkerbund ein
Urteil in eigener Sache angemaßt.
Mit ernster Sorge fragt man sich in Deutsch-
land, ob das Genfer Vorgehen von Nutze«
für weiteres Verhandeln sei« wird.
werde Frankreich weiter seine Hilfe zur Siche-
rung des Friedens leihen. Durch Taten, wie die
in Rom, London und Stresa beschlossenen, werde
Frankreich weiter dem Frieden dienen.
Laval erst nach dem 6. Mai in Moskau
DNB. Moskau, 17. April. Wie die Taß berich-
tet, ist nach Mitteilungen aus Paris damit zu
rechnen, daß der Besuch des französischen Außen-
ministers Laval erst nach dem 6. Mai, d. h. nach
den französischen Gemeindwahlen, wird ftattsin-
den können.