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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 77-149)

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Nr. 101 - Nr. 110 (2. Mai - 13. Mai)
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Pfälzer Sole

Mntag, 6. Mm 1S3S

70. Jahrgang / Ar. 104

Eine aufsehenerregende Rede Stalins
Die Schwierigkeiten bei -er Durchführung -es Sowfetprogramms
Die Parteirevolte

DNB. Moskau, 6. Mai.
Gelegentlich der Abschlußprüfung und der Ent-
lassung eines neuen Jahrgangs roter Offiziere
und Militäringenieure hielt Stalin eine große
Rede, in der er aussehenerregende Enthüllungen
über die Vorgänge innerhalb der Partei machte.
Stalin schilderte die Schwierigkeiten, die sich der
Durchführung seines Programms der Industria-
lisierung und Kollektivisierung entgegenstellten
und erklärte, nicht alle Parteigenossen hätten die
nötige Geduld und Ausdauer besessen. Man habe
von ihm den Rückzug gefordert. Als er nicht nach-
gegeben habe, hätten sich die aufsässigen Genos-
sen nicht mit der Kritik begnügt. „Sie haben
uns mit der Anzettelung eines Aufruhrs inner-
halb der Partei gegen das Zentralkomitee ge-
droht, ja mehr noch, sie haben diesem und jenem
unter uns mit der Kugel gedroht!" Schließlich
habe sich aber sein Weg, der auch der Weg Le-
nins gewesen sei, als der richtige erwiesen.
Die Enthüllungen Stalins haben in Moskau
sensationell gewirkt und werden in politischen
Kreisen lebhaft besprochen.
Gin gereiztes Dementi
Keine französische Anleihe für die Sowjetunion?
DNB Moskau, 5. Mai.
Die Jswestija" schreibt zu. der Meldung der
französischen Blätter „Jour" und „Liberte",
nach der bei den Verhandlungen über das sran-
zösisch-sowjetrussische Bündnis die Frage der Ge-
währung einer Anleihe an die Sowjetunion
eine Rolle gespielt habe:
„Diese Meldung haben sich die Journalisten
aus ihren schmutzigen Fingern gezogen. Die
Sowjetregierung hat weder in Zusammenhang
mit den Verhandlungen über den Vertrag ge-
genseitiger Hilfe, noch unabhängig von diesen
Verhandlungen Anleiheforderungen gestellt,
noch führte sie Verhandlungen über eine solche
Anleihe."
Aehnlich äußert sich auch die „Prawda". In
Gegensatz dazu stehen gewisse Ausführungen des
Organs des Volkskommissariats der Schwer-
industrie „Sa Jndustrialisaziju", wenn es
schreibt, es sei auch wichtig, der politischen An-
näherung zwischen Sowjetrußland und Frank-
reich eine entsprechende „ökonomische Basis"
zugrunde zu legen.
Ein infamer Pakt
DNB. Paris, 5. Mai. Das Mitglied der fran-
zösischen Akademie Louis Bertrand setzt in einem
neuen Artikel in „La Presse" seinen Feldzug ge-
gen das französisch-sowjetrussische Abkommen fort.
Er bezeichnet es als infamen Pakt, der den Krieg
bedeute. Die Lehre des Jahres 1914 habe weder
dem Volke noch feiner Regierung gedient. Wir
haben uns, so schreibt Louis Bertrand u. a., jetzt
immer weiter von einer Aussprache mit unsern
östlichen Nachbarn entfernt. Tie Reise nach Ber-
lin scheint endgültig in Frage gestellt zu sein,
und das zwingt mich, meine Betrachtungen über
die Art einer Verständigung mit Deutschland vor-
übergehend zu unterbrechen. Gegenüber dem be-
gangenen Verbrechen kann man sich nur entrüsten
und nochmals über die Folgen dieses unsinnigen
Schrittes nachdenken.
Vörsenspekulantenan -erArbeit
Planmäßige Verbreitung von Gerüchten über den
polnischen Zloty
DNB. Danzig, 6. Mai. Im Zusammenhang
mit der Umwertung des Danziger Gulden sind
in -en letzten Tagen in Danzig, offensichtlich
Planmäßige Gerüchte über eine angeblich bevor-
stehende Abwertung des Polnischen Zloty in Um-
la"f gesetzt worden. Am Samstag sind außerhalb
der Börse in Danzig in in größerem Umfange
Zloty gegen englische Pfund umgetauscht worden.
Bon gutunterrichteter polnischer Seite werden
diese Gerüchte und Börfenmanöver als Machen-
schaften von Spekulanten bezeichnet, die infolge

des raschen Handelns der Danziger Regierung
bei der Guldenumwertung mit dem Gulden keine
Spekulationsgeschäfte mehr tätigen konnten und
die sich nun am Zloty schadlos zu halten versu-
chen. Man kann dieser Polnischen Erklärung noch
hinzufügen, daß es sich um die gleichen Kreise
handelt, deren Machenschaften um den Danziger
Gulden in den Erklärungen der Danziger Regie-
rung deutlich gebrandmarkt worden sind.
Taufen- neue Flugzeuge
Der englische Aufrüstungsplan
DNB London, 5. Mai. Die Sonntagszeitung
„People" meldet, der englische Aufrüstungsplan
gehe in den Hauptzügen dahin, den ursprüng-
lich bis Ende des Jahres 1938 geplanten Bau
von insgesamt 500 neuen Kriegsflugzeugen be-
reits in den nächsten sechs Monaten zu vollen-
den und außerdem weitere 500 Flugzeuge in
Auftrag zu geben- Ferner sollen in Süd- und

Das Volksfest in Lon-on
DNB London, 5. Mai.
In ganz England hat das silberne Regie-
rungsjubiläum Königs Georg V. einen bei-
nahe unvorstellbaren Taumel der Begeisterung
und Freude ausgelöst. Das sonst so nüchterne
englische Volk ist von einer überschäumenden
Jubiläums st immung erfaßt, die sich am
Montag, dem eigentlichen Jubiläumstage, bis
zur Siedehitze steigern wird London selbst ist
vollkommen verwandelt und gleicht mit seinem
wogenden Meer von Girlanden und Flaggen,
mit seinen Tausenden von Scheinwerfern, mit
den bunten Tribünen und den bekränzten und
beflaggten Fahrzeugen beinahe einer südländi-
schen Stadt während eines Volksfestes.
Die Jubiläumsbegeisterung erreichte bereits
am Samstag abend einen beihnahe unglaub-
lichen Höhepunkt. Niemals, so berichten die
Zeitungen, hat London derartige Menschen-
massen gesehen, wie am Samstag abend, selbst
nicht am Waffenstillstandstage. Hunderttau-
sende, ja
Millionen von Menschen »n übermütiger
Stimmung waren auf den Straßen und
Plätzen zusammengedrängt,
sangen vaterländische Lieder, tanzten aus dem
Pflaster und staunten die Farbenpracht der De-
korationen an. Die Polizei war angesichts die-
ser ungeheuren Menschenmenge vollkommen
machtlos und das unbeschreibliche Wirrwarr
wurde durch Tausende von dichtbesetzten Fahr-
zeugen aller Art erhöht, die sich ihren Weg
durch die Menge zu bahnen versuchten. Manche
Hauptstraßen mußten vollkommen für den Ver-
kehr gesperrt werden; Autobusse benötigten für
eine Fahrt von einem Kilometer manchmal
zwei volle Stunden Sämtliche Gaststätten,
Hotels. Cafes, Lichtspieltheater und Theater
waren bis auf den letzten Platz besetzt. Die
größten Gaststätten mußten schon am frühen
Abend wegen Ueberfüllung polizeilich gesperrt
werden.
Aehnliche Szenen spielten sich auch am Sonn-
tag ab. Einer der Hauptsammelpunkte der
Massen war der große Platz vor dem könig-
lichen Palast. Zehntausende von Menschen stan-
den stundenlang auf demselben Fleck, um viel-
leicht ein Mitglied der königlichen Familie zu
sehen. Als sich der König einige Sekunden
an einem Frontfenster zeigte, erhob sich ein
ungeheurer Begeisterungssturm.
Ueber eine halbe Million Besucher aus allen
Teilen Englands, aus dem Britischen Weltreich
und aus der übrigen Welt sind zum Jubiläum
nach London gekommen. In der ganzen Stadt
gibt es kein freies Hotelzimmer mehr und

Ostenengland zehn« neue Kriegsflugplätze er-
richtet werden. Außerdem soll ein großer Re-
krutierungsplan zur Vermehrung des Flieger-
personals in Angrif genommen werden.
Sechs Tote -ei einem
Vootsunglükl aus -er Donau
DNB. Wien, 5. Mai. Ein schweres Boots-
unglück auf der Donau hat am Sonntag bei
Mitter-Arnsdorf in der Wachau sechs Menschen-
leben gestostet. Eine Gesellschaft von zehn Perso-
nen wollte mit einem Boot den gegenwärtig in-
folge des Hochwassers sehr reißenden Donaustrom
überqueren. Das Boot kenterte Plötzlich, und alle
zehn Insassen stürzten in die eiskalte Flut. Nur
vier von ihnen konnten gerettet werden, während
die übrigen sechs ertranken. Bisher konnte nur
eine Leiche geborgen werden. Ein geretteter 13-
jähriger Glymnasiast aus Wien hat bei diesem
Unglück Vater und Mutter verloren.

Hunderte müsse» im Freien übernachten.
Mit Riesenspannung wird der große Ju-
biläumszug am Montag erwartet, der
sich zu einer der prächtigsten und prunkvollsten
Kundgebungen gestalten wird, die England je-
mals erlebt hat 14 000 Truppen aller Waffen-
gattungen marschieren bereits in der Morgen-
dämmerung im Innern der Stadt auf, um an
den Straßen, durch die der Jubiläumszug führt,
Salier zu bilden. 40 Musikkapellen werden auf-
gestellt, um die Menge zu unterhalten. Viele
der ganz Begeisterten nahmen bereits in der
Nacht zum Montag ihre Stellungen ein. Der
Zug der großen Menschenmassen beginnt in
aller Frühe, da schon um 9 Uhr das ganze Ge-
biet, durch das sich der königliche Umzug be-
wegt, vollständig abgesperrt wird. Zu diesem
Zweck sind an mehreren Punkten regelrechte
Holzmauern und Barrikaden errichtet
worden Der eigentliche Umzug beginnt etwa
um 10 Uhr vom Buckingham-Palast aus und
trifft nach dem Dankgottesdienst in der St.
Pauls-Kathedrale gegen 1 Uhr wieder dort
ein.
Die Polizei sicht sich vor eine ungeheure
schwere Aufgabe gestellt, um die in die Mil-
lionen gehenden Menschenmassen am Montag
vormittag in Ordnung zu halten. Große poli-
zeiliche Verstärkungen sind daher aus vielen
Teilen Englands nach London gezogen worden.
Der Glückwunsch
-es deutschen Reichskanzlers
DNB. Berlin, 5. Mai
Der Reichskanzler hat an den König von
England aus Anlaß dessen Regierungsjubiläums
folgendes Telegramm gerichtet:
Eure Majestät bitte ich meine und der Reichs-
regierung aufrichtigsten Glückwünsche zum 25.
Jahrestag der Thronbesteigung Eurer Majestät,
verbunden mit den besten Wünschen für Eurer
und Ihrer Majestät persönliches Wohlergehen,
entgegenzunehmen. Das deutsche Volk verfolgt
mit warmer Sympathie alle Bestrebungen Eurer
Majestät und der Königlich-Britischen Regierung
zur Festigung des Friedens; es hofft, daß diese
Bemühungen erfolgreich sein mögen zur Wohl-
fahrt des britischen Reiches und zum Segen für
die ganze Welt.
KrSnungSjubiläum ohne Irland
DNB. London, 5. Mai. Tas einzige Land im
englischen Weltreich, in dem das Jubiläum nicht
gefeiert wird, ist der Irische Freistaat, der be-
kanntlich di« Unabhängigkeit vom englischen Mut-
terland« erstrebt. Aus Dublin wird gemeldet, daß
man dort nicht «ine einzige Flagge und nicht den
geringste« Schmuck für das Jubiläum sieht und
daß keinerlei Feierlichkeit«« veranstaltet werd««.

„Der ideale
konstttülionelle Monarch"
Zum 25. Regierungsjubiläum de»
Königs von England
Wenn England heute die einzige Großmacht
der Welt ist, wo die Monarchie als Staatsform
fest und unerschütterlich dasteht, von der loyalen
Gesinnung des ganzen Volkes getragen und ge-
stützt, so ist das nicht zuletzt das Verdienst des
Mannes, dessen silbernes Regierungsjubiläum
in den nächsten Tagen mit allem Pomp unter
Anteilnahme eines sich über die ganze Erde er-
streckenden Reiches gefeiert wird. König Ge-
org V. hat in seiner vierteljahrhundertjährigen
Regierung wahr gemacht, was ein bedeutender
englischer Publizist seinerzeit prophetisch sagte:
„Die Geschichte wird ihn als einen idealen kon-
stitutionellen Monarchen rühmen". Es ist über-
aus reizvoll zu verfolgen, wie sich der König
allmählich seine Stellung im englischen Volk er-
obert und sie so befestigt hat, daß er heute der
unbestritene Vater des Vaterlandes, ja das ein-
zige Symbol ist, das die verschiedenen Teile des
britischen Reiches zusammenhält. Die neue Ver-
fassung, die sich das Empire vor sieben Jahren
gegeben hat, macht geradezu ein gekröntes Haupt
in England unentbehrlich; dieses staatsrechtliche
Bedürfnis hat die Veranlagung des regierenden
Königs nur begünstigt.
König Georg V. stand nicht von. allem Anfang
an in der Gunst seines Volkes. Als er den
Thron bestieg, war er allerlei Verdächtigungen
ausgesetzt und der Gegenstand von Legenden,
die er selbst durch seine exemplarische Lebens-
führung zu entkräften verstanden hat. Lord
Rosebery hat von ihm gesagt: „Er hat ein
gesundes und enthaltsames Leben geführt; er ist
ein guter Gatte und ein guter Vater. Er wird
jene häuslichen Tugenden auf seinen Thron er-
heben, die seinem Lande teuer sind." Diese Er-
wartung hat Georg V. vollauf erfüllt. Ganz
durchdrungen von seiner schweren Aufgabe und
von der Notwendigkeit einer erblichen Mon-
archie überzeugt, die eine Stetigkeit und einen
engen Zusammenhang des Volkes verbürgte, ist
er, nach den Worten eines Engländers, „der
beste Typus des englischen Gentleman, arbeit-
sam, geübt im Ertragen von Schmerzen, ernst-
haft in allem, womit er sich beschäftigt, zwei-
fellos ein starker Mann und mit einem starken
Willen; das Musterhaupt eines englischen
Musterheims." Seine Häuslichkeit war sein
höchstes Glück, sein größtes Vergnügen war, mit
seinen Kindern zu spielen, die ihm diese Sorg-
falt mit Zuneigung und Liebe vergalten. Sein
persönlicher Geschmack entbehrte jeden Prunks,
verabscheute jedes Aufsehen. Seine Einfachheit
und Zurückhaltung, diese Erundelemente seines
Charakters, haben ihn immer populärer werden
lassen und seine Stellung zu einer unerschütter-
lichen gemacht. Diese Einfachheit und Zurück-
haltung sind ihm von einem gesunden In-
stinkt eingegeben, einem Instinkt, der ihn in
Augenblicken immer das Richtige treffen ließ,
wo er von seinen verfassungsmäßigen Rechten
Gebrauch zu machen in die Lage kam. Da er
Fehler vermieden und in der inneren Politik
aus seinem gesunden Menschenverstand immer
das Richtige getroffen hat, hat er Entscheidendes
dazu beigetragen, den Glauben an die Mon-
archie im Volk zu befestigen und selbst dort
lebendig zu machen, wo dieser Glaube nicht von
Anfang an vorhanden war. Ganz deutlich hat
sich das im Jahr 1928 gezeigt, als König Georg
auf den Tod erkrankt war, als der Prinz von
Wales von Südafrika aus in einer Rekordreise
an das Krankenbett seines Vaters eilte, gewär-
tig, selbst die Regierung übernehmen zu müssen.
Damals hat sich gezeigt, daß die Krankheit des
Trägers der Krone im ganzen Volk, von ver-
schwindenden Ausnahmen abgesehen, als eine
persönliche Angelegenheit empfunden wurde.
Wenn einmal die Biographie dieses Königs
geschrieben wird, so fehlen vielleicht die pikan-
ten Einzelheiten, die die Lebensgeschichte seines
Vaters auszeichnsn — trotzdem wird sie soviel
 
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