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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 77-149)

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Nr. 121 - Nr. 130 (25. Mai - 6. Juni)
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MirMall und Kualt / Aus brr Mll der Frau / Sie Lelektuade

psülzer Sole

Freitag, 31. Mi 193S

70. Jahrgang / Ar. 12s

McktrLtt des Kabinetts Ilandin
Die Kammer verweigert das Ermächtigungsgeseß / Sofortige Vildung einer neuen Regierung?

des

Deutscher Entwurf eines Lust-Locarnos

gen
Im

Abwertung sei, heute, im Zeichen der Panik,
von einer solchen Maßnahme keine Rede sein
könne. Die einzige Rettung für das Land bleibe,
daß in der kommenden Nacht eine neue Re-
gierung aus Mitgliedern aller Parteien ge-
bildet werde, der man morgen die Vollmachten
nicht verweigern würde. Reynaud sprach die
Hoffnung aus, daß die neue Regierung eines
Tages die Notwendigkeit einer Währungsanglei-
chung einsehen werde. Die Rede Reynauds
machte ungeheuren Eindruck auf die Kammer.
Nach kurzer Sitzungspause sprach der Neu-
sozialist Deal. Er machte der Regierung zum
Vorwurf, daß sie erst jetzt Vollmachten verlangt,
die sie schon längst nach einem genauen Pro-
gramm hätte beantragen müssen. Wenn man
nicht Roosevelt sein wolle, dann laufe man Ge-
fahr, Brüning zu werden. Eine gewaltige De-
flation unter den jetzigen Umständen würde
zwangsläufig zum Bürgerkrieg führen.
Nach einem Angriff des Neusozialiften Moch
gegen die Deflationspolitik der Regierung, die
sich trotz Einsparungen von 21 Milliarden als
unwirksam erweise, wurde die Sitzung erneut
unterbrochen.

Preß Association berichtet, daß der deutsche
Luftpakt-Entwurf in britischen diplomatischen
Kreisen begrüßt werde als eine entschlos-
sene Geste des Vertrauens und als Zeichen der
Bereitschaft zur Zusammenarbeit
um eine Befriedigung Europas herbeizuführen.
Nicht nur die britische und die deutsche Regie-
rung hätten Paktentwürfe vorbereitet; auch
die anderen Regierungen seien an der Arbeit
gewesen. Der französische Entwurf sei bereits im
englischen Auswärtigen Amt eingegangen.

Aückrttt des Finanzmimsters
Bei den Angriffen des Sozialisten Moch ge-
gen die Regierung griff Finanzminister Ger-
main-Martin in die Debatte ein mit der
Versicherung, daß er gegen die Franzosen, die
an Spekulantenverbänden teilgenommen hät-
ten, eine Strafrechtsverfolgung in die Wege
geleitet habe. Diese Erklärung löste auf den
Bänken der Linken, wo man Namen verlangte,
ungeheure Erregung aus, die der Kammerprä-
sident nur mit der Drohung beschwichtigen
konnte, die Sitzung abzubrechen.
Zur allgemeinen Ueberraschung erschien wäh-
rend der zweiten Sitzungspause Ministerpräsi-
dent Fland in, den Arm in der Binde, von
seinem Arzt begleitet, auf der Regierungsbank.
Als der Kammerpräsident die Sitzung wieder
eröffnete, bestieg Flandin sofort die Redner-
tribüne, um die Vorlage zu verteidigen. Flan-
din wies auf die Begründung zum Ermächti-
gungssetze und auf die technischen Ausführungen
des Finanzministers hin, um dann scharf gegen
die Spekulation zu Felde zu ziehen. Er ver-
breitete sich im Einzelnen über die Umstände,
die den Angriff gegen den Franc im Inland
und im Ausland veranlaßt hätten, und be-
tonte, daß die Kammer sich heute für oder ge-
die Abwertung werde aussprechen müssen,
weiteren Verlauf seiner Ausführungen

suchte der Ministerpräsident nachzuweisen, daß
die von der Regierung geforderten Vollmach-
ten nicht in Widerspruch zu der republikani-
schen Verfassung ständen.
Zum Schluß seiner Rede kündigte der Mini-
sterpräsident an, daß Finanzminister
Germain-Martin eben seinen Rücktritt an-
geboten und er diesen angenommen habe. Er
selbst werde neben dem Ministerpräsidium das
Finanzministerium übernehmen.
Die Ausführungen Flandins wurden von der
Kammer kühl ausgenommen. Die Ankündigung
des Rücktritts des Finanzministers hat nicht
sonderlich überrascht.
Nach der Rede Flandins wurde die Weiter-
beratung auf 2130 Uhr vertagt.
Nach Wiederaufnahme der Kammersitzung um
21.30 Uhr wurde die allgemeine Aussprache
für geschlossen erklärt. In der Aussprache über
die Abstimmung erging sich ein kommunistischer
Redner in heftigen Angriffen gegen die Re-
gierung und in einer Verherrlichung der „Frie-
denspolitik der Sowjetregierung".
Hierauf ergriff Staatsminister Herriot
das Wort. Er teilte mit, Ministerpräsident
Flandin erkläre sich damit einverstanden, daß
die Vollmachten zum 31. Oktober erlöschten
und die Ratifizierung durch das Parlament
vor dem 15. März 1936 zu erfolgen habe.

nisse laut werden, es könnte zu Massenstreiks
und Unruhen unter den Farmern und Arbeitern
kommen. Bereits jetzt tauchen schon Stimmen
auf, die das Weiße Haus bitten, ein hieb- und
stichfestes neues Niragesetz im Kongreß
einzubringen. Dies, so erklärt man, sei mög-
lich, wenn die Bedenken des Bundesgerichts be-
seitigt würden. Das heißt 1. daß die Bundes-
regierung nicht in die Souveränität der Einzel-
staaten eingreife, sondern nur in zwischenstaat-
liche Verkehrsregeln, und 2, daß der Kongreß
nicht mehr soviel gesetzgeberische Befugnisse an
das Weiße Haus übertrage.
Im Weißen Haus hüllt man sich zu alleoem
in Schweigen. Man will abwarten, welche Wir-
kung die Entscheidung des Bundesgerichts in den
verschiedenen Teilen des Landes und den ver-
schiedenen Schichten auslöst. Allgemein herrscht
der Eindruck vor, daß ohne eine Verfassungs-
änderung ein wirklich durchgreifendes Niragesetz
nicht geschaffen werden könne. Da aber em«
Verfassungsänderung in Amerika viele Jahre
benötige und besonders am Vorabend neuer
Kongreßwahlen sehr unbeliebt sei, so sei di«
weitere Entwicklung der Nira-Frage noch ganz
ungewiß.

DNB Paris, 31- Mai
Die Regierung Flandin ist bei der Abstim-
mung in der Kammer über das Ermächtigungs-
gesetz in der Minderheit geblieben und demge-
mäß zurückgetreten.
Die Kammer hat der Regierung die Ermäch-
tigung mit 353 gegen 202 Stimmen versagt.

Dramatischer Verlaus
-er Kammersitzung
DNB. Paris, 30. Mai.
In der fieberhaften Spannung eines vollbe-
setzten Hausey und unter ungeheurem Andrang
der Zuhörer wurde am Donnerstag nachmittag
die Kammersitzung eröffnet, in der die
Entscheidung über das Ermächtigungsgesetz fal-
len wird. Sämtliche Minister mit Ausnahme
des Ministerpräsidenten, der erst gegen 18 Uhr
erwartet wurde, hatten auf der Regierungsbank
Platz genommen.
Der Kammerpräsident gab zunächst bekannt,
daß es der Finanzausschuß abgelehnt
habe, in die Erörterung der Vorlage einzutre-
ten. Der Abgeordnete Aubert der Radikalen
Linken stellte die sogenannte Vorfrage mit der
Forderung nach Auflösung der faschistischen Ver-
bände, nach Verbot sämtlicher Aufmärsche und
auf Schließung der Börse. Dieser Antrag wurde
vom Linksrepublikaner Thellier bekämpft,
der bedauerte, daß die Regierung nicht recht-
zeitig Maßnahmen gegen die Spekulation ergrif-
fen habe, worauf der Finanzminister dazwischen-
rief, daß bei der Staatsanwaltschaft bereits
strafrechtliche Verfolgung gegen die Spekulanten
beantragt worden sei. Der Abgeordnete Aubert
zog schließlich seinen Antrag bezüglich der Vor-
frage zurück.
Darauf begrüßte der Eeneralberichterstatter
des Finanzausschusses, Varety, den Beschluß
des Ausschusses. Er bezeichnete den Goldabfluß
als nicht beunruhigend; trotzdem sei aber die
Gefahr nicht außer Acht zu lassen wegen mög-
licher Rückwirkungen auf die Lage des Schatz-
amts. Am 28. Mai seien nicht weniger als 1^
Milliarden Gold abgewandert, und zwar nicht
nur ins Ausland, dessen Spekulation sich anschei-
nend seit dem 25. Mai entmutigt zeige, sondern
ins Inland selbst. Gerade dies müßte als alar-
mierendes Anzeichen gelten, daß große Mengen
Gold von französischen Staatsangehörigen ge-
kauft worden seien. Es handele sich also um eine
Vertrauenskrise, die in erster Linie mit dem
Haushaltsfehlbetrag zu begründen sei. Dieser
betrage für 1935 sieben Milliarden Franken,
während das Schatzamt nur noch über sechs Mil-
liarden flüssige Mittel bis Ende 1935 verfüge.
Die Ausgaben seien um eine Milliarde höher
als veranschlagt und die Einnahmen um fünf
bis sechs Milliarden niedriger. Höchst beunruhi-
gend sei auch der Fehlbetrag der Eisenbahnge-
sellschaft mit rund vier Milliarden. Die Lebens-
haltung der Nation sei eben nicht mehr ihren
Einnahmen angemessen. Aus all diesen Gründen
habe der Finanzausschuß mit Stimmenmehrheit
die Vorlage abgelehnt, aber gleichzeitig seinen
Willen bekundet, den Franken zu schützen und die
Spekulation zu treffen.
Der Schwerindustrielle Fernand Laurent
übt« ironische Kritik am Kabinett Flandin.
Wenn sich die Regierung auf das Vorbild Poin-
car4s berufe, so sei zu erwidern, daß hinter l
Poincar^ das ganze Land gestanden habe, aber
Flandin sei kein Poincarö. Das Schicksal des
Franken dürfte nicht mit dem Kabinett Flandin
verknüpft werden.
Anschließend hielt der frühere Finanzminister
Aeynaud eine aufsehenerregende Rede, in der
er sagte, daß, obwohl er - selbst Anhänger einer

Der Rücktritt Germain-Martins
DNB. Paris, 30. Mai. Der Rücktritt
Finanzministers E e r m a i n - M a r t i n ist, wie
er selbst erklärte, auf die Angriffe zurückzufüh-
ren, die während der Aussprache gegen ihn per-
sönlich gerichtet worden sind. Flandin hatte sich
zunächst geweigert, den Rücktritt anzunehmen,
sich aber schließlich dazu entschlossen, als die
Führer mehrerer Gruppen ihm erklärten, der
Rücktritt Germain-Martins könnte den Ausgang
der Kammeraussprache wesentlich erleichtern.

Zn London überreicht
DNB Berlin, 30. Mai
Die Reichsregierung hat der englischen
Regierung auf deren Wunsch den Entwurf eines
Luftcarno-Paktes übergeben, wie dies schon
früher seitens der französischen und italienischen
Regierung geschehen ist.
Zu der Uebergabe des deutschen Luftpaktent-
wurfes durch den deutschen Botschafter schreibt
die Times", zur Zeit der Londoner Bespre-
chungen sei man der Ansicht gewesen, daß der
Abschluß eines solchen Paktes gleichzeitig mit
der Regelung anderer Fragen erfolgen müsse,
di« mit der Befriedigung Europas verknüpft
seien. Es verlaute jedoch, daß die britische
Regierung der Ansicht sei, daß durch den Ab-
schluß des französisch-sowjetrussischen Paktes ge-

Diese letztere Information wird auch von
der „Evening News" bestätigt. Sie be-
merkt, daß der deutsche Entwurf als ein Zei-
chen für die Aufrichtigkeit der letzten Versiche-
rungen Hitlers angesehen werde, wonach
Deutschland bereit sei, an einem Luftabkom-
msn teilzunshmen.

Gedämpfte Stimmen in LISA
DNB Washington, 29. Mai.
Die Entscheidung des Bundes-
gerichts gegen die Niragesetze ist naturgemäß
das Hauptthema aller Gespräche und der Haupt-
inhalt aller Zeitungen. Wenn auch verschiedent-
lich in den Kreisen der Opposition Freude dar-
über herrscht- daß die „Verfassung gerettet" sei,
so ist es doch bemerkenswert, daß bei vielen
Gegnern Roosevelts, die bisher scharf gegen die
Niragesetze Stellung genommen hatten, Besorg- >

Vouiffon Nachfolger Flandins?
Paris, 31. Mai
Nach der Abstimmung über das Ermächti-
gungsgesetz, bei der die Regierung mit 151
Stimmen in der Minderheit blieb, wurde die
Sitzung der Kammer noch nicht aufgehoben und
man erwartet, daß die Bemühungen zur Lö-
sung der Regierungskrise beschleunigt werden,
um, wenn möglich, noch vor dem Beginn der
der Börse am heutigen Freitag eine Regierung
zustandezubringen. In den Wandelgängen der
Kammer kehrt der Name der Kammerpräsiden-
ten Vouisson als aussichtsreichster Kanditat
für den Ministerpräsidentenposten wieder.

i wisse Veränderungen eingetreten, und daß es
eine Reihe stichhaltiger Gründe gebe, weshalb
die Verhandlungen über den Abschluß eines
Luftpaktes ohne weitere Verzögerung
in Angriff genommen werden sollten. Es
sei zu erwarten, daß der Außenminister das
Unterhaus dahin unterrichten werde, daß die
britische Regierung seit der Stresaer Konferenz
einen solchen Vertragsentwurf vorbereitet habe
und daß auch Hitler nunmehr seinen Beitrag
dazu geliefert habe. Diese Vorschläge würden
nunmehr von den fünf Signatarmächten des
Locarno-Vertrages sorgfältig geprüft werden.
Es werde nicht erwartet, daß es sofort zu einer
Konferenz der fünf Mächte kommen werde, weil
die vorbereitenden Besprechungen am bequem-
sten auf diplomatischem Wege vor sich gehen
könnten.

Direkte Flugstrecke Berlin—Barcelona
Berlin, 29. Mai. Am 1. Juni nimmt die
Deutsche Lufthansa den Luftverkehr auf dem
Teilstück Berlin—Stuttgart der Strecke 22 Ber-
lin—Stuttgart—Barcelona nach den im Flug-
plan bereits vorgesehenen Zeiten auf. Wer um
7 Uhr morgens auf dem Flughafen Tempelhof
startet, ist — ohne das Flugzeug wechseln zu
müssen — bereits um 11.25 Uhr in Genf, um
13.30 Uhr in Marseille und um 14.50 Uhr, also
nach 6/4 Stunden, schon in Barcelona. Das Ee-
genflugzeug startet um 8.35 Uhr in Barcelona
und trifft um 18.00 Uhr in Berlin ein.
 
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