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Pfälzer Note

Donnerstag, 23. Ml 1935

70. Jahrgang / Ar. 119

Englische Parlamentsdebatten zur Lage

Eine Erklärung Baldwins

DNV London, 22. Mai.
Die Reichstagsrede des Führers stand im
Vordergrund der Erklärung, die der stell-
vertretende englische Ministerpräsident Bald-
win am Mittwochnachmittag im Unterhaus
über die engli sche Wehrpolitik und ihre
Zusammenhänge mit der internationalen L 'ge
abgab. Baldwins Erklärung dauerte etwa eine
Stunde und steigerte sich oft zu großen redneri-
schen Höhepunkten. Es machte einen sehr tiefen
Eindruck auf die Abgeordneten, daß die Rede
durch einen versöhnlichen und großzügigen Geist
gekennzeichnet war, wie er nur selten in den
Aeußerungen englischer Minister seit dem Welt-
krieg zum Ausdruck gekommen ist. Totenstille
herrschte im ganzen Hause, als Baldwin gegen
Schluß seiner Ausführungen erklärte:
Ich hatte einen besonderen Redeschluß vorbe-
reitet, aber ich habe ihn zerrissen, nachdem ich
die gestrige Rede Hitlers im Reichstag geprüft
hatte, und ich möchte nun in einem anderen Ton
enden.
Gleich zu Beginn seiner Ausführungen ging
Baldwin auf einige der von Hitler mitgeteilten
13 Punkte der Reichsregierung ein. Er brachte
dabei folgendes u. a. zum Ausdruck:
1. Die Erklärung Hitlers, daß Deutschland in
der Luft Gleichheit mit den anderen Ein-
zelstaaten wünscht, ist eine Bestätigung der
Basis, auf der die englischen Pläne begründet
sind.
2. Der deutsche Standpunkt, daß Deutschland
nicht nur zu einer Erhöhung, sondern auch zu
einer Herabsetzung der Rüstungsgrenzen
bereit ist, ist ein sehr wichtiger Gedankengang.
3. Die deutschen Aeußerungen über einen
Luftpakt auf der Grundlage des Locarno-
Vertrags sind umso wertvoller, als Hitler
sagte, daß ein solcher Luftpakt von einer Be-
grenzung der Luftrüstungen begleitet sein solle.
4. Abschnitte der Hitlerrede zeigen, daß er
unsere Ansicht über den Schutz der Zivilbevölke-
rung gegen Luftangriffe teilt.

5. Wir begrüßen Hitlers Beitrag als Hilfe für
eine allgemeine Regelung im Sinne des Lon-
doner Protokolls.
6. Baldwin erklärte, daß er nicht auf die
Aeußerungen des Führers über die osteuro-
päischen Paktpläne Bezug nehmen wolle,
da diese nicht in direkter Beziehung zu der jetzi-
gen Wehrdebatte stünden.
7. Baldwin sagte, daß die englische Regierung
den Plan einer Koordination der eng-
lischen Wehrministerien zurzeit er-
wäge.
8. Baldwin ging auf die englischen Auf-
rüstungspläne über, die er mit einem mit
großem Beifall aufgenommenen Appell an
Unterhaus und Volk richtete: „Vermeidet
jetzt Panik st immung! Wir wollen nicht
die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Zu-
viel kostbares Blut ist vergossen worden.
9. Baldwin erklärte, der Schleier, der über
den Handlungen der drei autoritären Staaten
Europas liegt, ist in Deutschland zum Teil ge-
lüftet worden. Laßt uns hoffen, daß er ganz
geöffnet wird, damit wir offen miteinander
sein können.
10. Englands Luftaufrüstungs-
maßnahmen werden auf die Erklärung
Hitlers begründet, daß sein Ziel die Luftparität
mit Frankreich ist.
11. England beabsichtigt daher, seine Luft-
flotte auf 1500 Frontflugzeuge inner-
halb von zwei Jahren zu erhöhen.
12. Der Luftpakt und die Begrenzung der
Luftrüstungen sind viel leichter zu erzielen, wenn
die drei Länder Deutschland, Frank-
reich und England vom selben Anfangs-
punkt ausgehen, d. h. wenn die Luftpari-
tät aller Staaten vorhanden ist.
13. Mit der englischen Industrie sind
Verhandlungen im Gange, um die Expansion der
Industrie für militärische Produktionszwecke zu
erzielen. In diesem Punkt will England hin-
ter keinem anderen Land zurückstehen.

Die Bussprache im Llnierhaus

DNB. London, 22. Mai.
Nachdem Baldwin seine Erklärung unter gro-
ßem Beifall der Regierungsparteien beendet
hatte, teilte der stellvertretende Vorsitzende der
Arbeiteropposition, Major Attlee,
mit, daß seine Partei mit den Regierungsvor-
schlägen nicht zufrieden sei. Sie werde daher
gegen den Ergänzungshaushalt für die Luft-
aufrüstung stimmen.
Die Wehrvorschläge Baldwins ständen inso-
fern in keiner Beziehung zu den von ihm ge-
schilderten Gefahren, als sie nicht im geringsten
dazu angetan seien, diesen Gefahren zu begeg-
nen. Was die Rede Hitlers betreffe, so habe die
Opposition niemals die deutsche Wiederauf-
rüstung unterstützt. Sie habe stets die Gefahr
von Vertragsbrüchen erkannt, die Rede Hitlers
jedoch enthalte gewisse Erklärungen und Vor-
schläge, die auf die Möglichkeit einer Wieder-
eröffnung der ganzen Abrüstungsfragen hoffen
lasse. Die arbeiterparteiliche Opposition wünsche
ein baldiges Zusammentreten der Abrüstungs-
konferenz, um die Vorschläge Hitlers zu er-
wägen, denn in ihnen sehe man eine Möglich-
keit, dem Rüstungswettlauf Einhalt zu gebieten.
Die Rede Hitlers sei allerdings nicht völlig be-
friedigend. Sie enthalte sehr große Gefahren.
Er müsse daher Einschränkungen machen. Attlee
nahm auf die Aeußerungen des Führers über
Sowjetrußland Bezug und erklärte, Deutschland
und Rußland müssen in derselben Welt leben.
Der von Hitler erwähnte Abgrund zwischen den
beiden Länder» müsse daher überbrückt werden.

Im weiteren Verlauf seiner Ausführunge
sagte Attlee, auch Großbritannien müsse bereu
sein, seinen vollen Beitrag zur kollektiven
Sicherheit zu leisten. Diese Sicherheit müsse
durch Abrüstung und nicht durch Aufrüstung er-
zielt werden. Der Friede werde verloren sein,
wenn die Stärke der friedliebenden Staaten
nicht so zunehme, daß sie die Stärke eines Ein-
zelnen übertreffe. In diesem Zusammenhang
wiederholte Attlee die alten Vorschläge für eine
internationale Streitmacht unter dem Völker-
bund und für die Internationalisierung der
Verkehrsluftfahrt.
Im Unterhaus sprach als nächster Redner für
die liberale Opposition Sir Archibald Sin-
clair. Er übte herbe Kritik an Deutschland.
Die Lage sei unleugbar ernst. Sie sei dadurch
entstanden, daß Deutschland unter dem Vor-
geben, seine nationale Ehre wieder herzustellen,
seine vertraglichen Verpflichtungen abgeleugnet
habe. Auch an der „fieberhaften physischen und
moralischen Wiederaufrüstung" Deutschlands
nahm der Redner Anstoß. Aber auch gegen die
bisherige Völkerbundspolitik nahm Sinclair
entschieden Stellung. Solange Artikel 19 (Revi-
sion) nicht mit den Artikeln 10 und 16 der
Völkerbundssatzung gleichgestellt werde, begebe
sich der Völkerbund seines Charakters als Or-
gan öffentlichen Rechtes und werde ein Bund
von Mächten mit dem Zweck, die zufriedenge-
stellten Mächte gegen die unzufriedenen Mächte
zu schützen. Daran dürfe Großbritannien sich
nicht beteiligen. Auch auf das Unrecht, daß
Deutschland mit dem Ruhreinbruch zugefügt

wurde, und die tiefgehenden Folgen wies der
Redner hin.
Der konservative Lord Winterton will
aus der Hitlerrede herausgelesen haben, daß
Deutschland die Absicht habe, eine Armee zu un-
terhalten, die größer sei als irgendein anderes
Heer in Europa mit Ausnahme des russischen.
Den Unterstaatssekretär im Luftfahrtministe-
rium, Sassoon, griff Winterton heftig an, weil
er noch im Herbst behauptet habe, England sei
Deutschland in der Luft überlegen. Während
im weiteren Verlauf der Debatte der konserva-
tive Abgeordnete Picthone vor der Erzeugung
von Panikstimmungen warnte, versteifte sich der
Konservative Hauptmann Balfour auf die
Behauptung, daß die Lage in Europa der von
1914 entspreche.
Im Laufe der Debatte nahm auch Chur-
chill (Konservativ) das Wort. Wie immer wa-
ren seine Ausführungen darauf abgestellt,
Deutschlands Friedenswillen zu verdächtigen.
Zunächst lobte er, daß Baldwin es abgelehnt
habe, seine Ansicht über die außerordentlich wich-
tige Rede Hitlers zu äußern. Denn es würde,

meinte Churchill, sehr zu bedauern sein, weiM
die Meinung Platz greife, daß durch die Rede
eine neue und besonders hoffnungsvolle Lage ge-
schaffen worden sei. (!) Er finde hierfür keinen
Grund. Die Bemerkung über die Schwierigkei-
ten, die Bestimmungen der entmilitarisierten
Zone einzuhalten, sei mehr dazu angetan, auf-
zuregen, als Sorgen zu zerstreuen. Er begrüßte
die Erklärung Hitlers über den unbegrenzten
Bombenabwurf auf die Zivilbevölkerung, er
müsse jedoch daran erinnern, daß die deutsche
Luftwaffe eine größere Anzahl von Langstrecken-
bombern enthalte, als die irgendeines anderen
Landes der Welt. Er behauptete, daß die eng-
lische Öffentlichkeit reif sei für eine Wieder-
aufrüstung und fragte weiter, wann eine ein-
gehende Aussprache über die Rede Hitlers statt-
finden werde.
Das Unterhaus lehnte hierauf mit 340 gegen
52 Stimmen den arbeiterparteilichen Antrag auf
Herabsetzung des Ergnzungshaushalts ab und
bekräftigte damit die Regierungsvorschläge.
Hierauf wurde die Unterhausaussprache abge-
schlossen.

Der LustsahrüuWer im Oberhaus

DNB London, 22. Mai.
Im Oberhaus wurde zur gleichen Zeit
wie im Unterhaus die Wehraussprache
begonnen. Der konservative Lord Lloyd er-
klärte unter Anspielung auf Deutschland, daß
sich nur drei Stunden von London entfernt
eine starke Armee befinde, durch die England
einmal Unheil zugefügt werden könnte. Deutsch-
land müsse für eine solche Offenheit Verständ-
nis aufbringen, da mit dieser Feststellung nicht
die Ehrlichkeit des deutschen Friedenswillens
angezweifelt werden soll.
Im Namen der Regierung teilte dann Luft-
fahrtminister Londonderry weitere Ein-
zelheiten über das englische Luft-
rüstungsprogramm mit. Er stellte fest,
daß England nach dem Austritt Deutschlands
aus dem Völkerbund und angesichts der wach-
senden Luftrüstungen anderer Länder gezwun-
gen gewesen sei. die Politik der einseitigen Ab-
rüstung zu verlassen. Der Minister betonte, daß
die weitere Verschlechterung der internationalen
Lage England in der Zwischenzeit zur Schaf-
fung eines Luftrüstungprogramms veranlaßt
habe, das die Sicherheit des Landes vor Luft-
angriffen gewährleisten soll. Es komme nicht
darauf an, von welchem Lande Die Möglichkeit
eines solchene Angriffes zu erwarten sei. Lon-
wnderry erklärte dann wörtlich:
„Die Stärke des englischen Luftpro-
gramms müsse stets an der größten, in
Reichweite Englands befindlichen Luft-
flotte gmessen werden. Dies ist unsere
Formel."
Die neue Wehrpolitik Deutschlands sei, so fuhr
Londonderry fort, in der englischen Öffentlich-
keit und im Ausland als ein Schlag empfunden
worden. „Wir fühlen, daß diese aufeinander-
folgenden Erklärungen Deutschlands Zeichen
der Stimmung und Gesinnung des
deutschenVolkes und seiner Führer
sind, Zeichen, die für England von schwerster
Bedeutung sind und auf die es eine klare Ant-
wort finden muß." Londonderry bedauerte
dann, daß über die Stärke der deutschen Lust-
streitkraft so außerordentlich übertriebene Zah-
len verbreitet worden seien, die von amtlicher
deutscher Seite dementiert woren seien. Aber
wenn man auch sich dies beunruhigende Bild zu
eigen mache, so müsse man trotzdem zu schnellem
und kräftigem Handeln entschlossen sein. Dies
solle nicht als eine Unfreundlichkeit gegenüber
Deutschland gedeutet werden. Weit davon ent-
fernt habe die englische Regierung die öffent-
lichen Erklärungen Deutschlands über die Be-
reitschaft zum Abschluß eines internationalen
Abkommens über die Luftstärke begrüßt. Die
Erklärung Hitlers vor dem Reichstag, die die
Rüstüngsbegrenzung behandele, begrüße er, der
Redner, ganz besonders. England sei aber

nicht bereit, 'n oer Zwischenzeit eine zweitklas-
sige Stellung einzunehmen.
Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen
versuchte Londonderry klarzustellen, daß trotz
der bekannten Ziffern die englische Luftwaffe
der deutschen noch immer überlegen sei. Die
deutsche Regierung habe zwar gslegentUch »hres
Paritätsanspruchs mit England mitgeteilt, daß
ihre Frontstärke etwa 800 bis 850 Flugzeuge
betrage Diese Zahlen seien aber keine zuver-
lässige Vergleichsgrundlage, da in der deutschen
und der englischen Auslegung des Begriffs
„Frontlinie" ein beträchtlicher Auffassungsun-
terschied bestehe Gegenwärtig vorliegende In-
formationen besagen, daß die deutsche Luftstreit-
macht nicht annähernd so viele Militärflugzeuge
besitze wie die englische. Jedoch sei die Erwei-
terungsfähigkeit der deutschen Flugzeugindu-
strie ein Faktor, mit dem sehr ernstlich gerech-
net werden müsse.
Der Lustfahrtminister teilte dann mit, daß
die englische Luftflotte 2700 voll ausgebildete
Piloten im aktiven Dienst besitze. 400 weitere
Flieger würden zur Zeit ausgebildet, außerdem
bestehe eine Reserve von 1200 voll ausgebil-
deten Militärfliegern, die gegenwärtig schnell
vergrößert werde. Die zuverlässige Ausbildung
eines Militärfliegers beanspruche zwölf Mo-
nate, Kriegsflieger müßten außerdem noch ein-
einhalb Jahre Eeschwaderdienst tun. Auf dem
Gebiet der Ausbildung, vor allem der kollek-
tiven Ausbildung der Geschwader und ihrer
Zusammenarbeit mit anderen Einheiten läge
der große Vorsprung gegenüber Deutschland.
Londonderry erklärte d'in wö:it?ch:
„Wir können noch immer behaupten, eine
Luftstreitkraft zu besitzen, die eine stärkere
Rückendeckung besitzt als eine andere
Luftflotte Europas".
Ein neuer Bomber „mit garantierter Leistung"
sei zur Zeit im Bau und werde spätestens im
Februar 1936 abgeliefert „Trotz all dieser Er-
wägungen werden wir die angegebenen deut-
schen Ziffern als Grundlage für die notwen-
digen weiteren Schritte annehmen." Im folgen-
den erläuterte der Minister dann diese wei-
teren Pläne der englischen Regierung: Mit Ab-
lauf des nächsten Finanzjahres (31. 3. 1937)
wird die Stärke der englischen Heimatluftslotte
ausgenommen die Flottenluftstreitkräfte, 1500
Frontflugzeuge betragen. Gegenwärtig sei oie
Frontstärke 580 Flugzeuge, so daß die Heimat-
luftflotte annähernd verdreifacht werde. 2500
weitere Piloten und insgesamt 22 500 Mann
zusätzliches Personal werde benötigt- In die-
sem Jahr würden allein 1 200 bis 1300 neue
Flieger eingestellt, außerdem würden Hunderte
von Offizieren und Mannschaften über ihrs
Dienstzeit hinaus weiter unter den Fahnen ge-
halten. Londonderry führte dann noch die Ver»
 
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