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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 50.1899-1900

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Halm, Philipp Maria: Der Apsidenschmuck der neuen St. Annakirche in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7134#0017

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Der Apsidenschmuck der neuen 5t. Annakirche in München.

natürlich, die Apsis mit Darstellungen
der Dreieinigkeit oder einzelner gött-
licher Personen zu zieren, und zwar
geschah dies in symbolischer Weise,
wie es uns z. B. Paulinus von Nola
(^0—HoP von seiner Felixbasilika be-
richtet: „Im vollen Geheimnisse strahlt
die Dreieinigkeit: In des Lammes Ge-
stalt steht Christus, des Vaters Stimme
donnert vom Himmel, und in Tauben-
gestalt schwebt herab der hl. Geist."
Wurde aber eine figürliche Darstellung
gewählt, so beschränkte man sich in fast
allen Fällen der altchristlichen Zeit aus
eine der Personen, vorwiegend auf
Christum; erst das Mittelalter gibt
uns Verkörperungen des Dreieinigkeits-
gedankens durch drei Figuren. Daß
jedoch jemals dieser Gedanke in so ge-
waltiger und räuinlich so umfangreicher
Weise ausgesprochen wurde wie in dem
Apsidenschmuck von St. Anna, scheint
nicht der Fall zu sein; in der Monu-
mentalmalereisuchen wiHmeinesWissens
nach solchen Darstellungen vergebens.
Und somit verzeichnen wir schon hierin
einen neuen bedeutsamen Zug in Seitz'
Schöpfung. Schon an diesem rein
äußerlichen Moment können wir aber
auch wahrnehmen, daß der Aünstler
von vornherein darauf verzichtete,
irgend ein altchristliches oder mittel-
alterliches Werk sich zum Vorbild zu
nehmen. <£s mögen auch tadelnde
Stimmen laut geworden sein, daß nicht
ein engerer Anschluß an die romanische
Weise angestrebt wurde, nachdem doch
die ganze Airche als Bauwerk roma-
nischen Stils einheitlich geschaffen ist
und auch die Innenausstattung den
gleichen Charakter trägt. Aber gerade
der Verzicht auf eine streng stilistische
Alterthümelei scheint mir aus den oben
angedeuteten Gründen vor Allem lobens-
werth und weise. Tine solche Alter-
thümelei hat gerade, was figürliche
Darstellungen anlangt, bedeutende Nach-
theile, wenn derselben auch unzweifel-
haft eine antiquarische Bedeutung inne-
wohnt. Aber hiemit darf inan doch
zunächst nicht rechnen, da dem großen

2 u. z. Zierleisten von B.

Publikum, das um architektonische
Formen sich gewöhnlich wenig kümmert,
um so mehr aber bei figürlichen Dar-
stellungen sich eilt Urteil anmaßt, für
die streng stilistischen, steifen Gestalten
frühmittelalterlicher Aunst meist das
richtige Verständniß fehlt. Sehr weise
wählte deshalb Rud. Seitz die Formen-
sprache der Frührenaissance, die ihm
gestattete, das alte Thema Christus
mit den hl. Awölfboten in einer un-
serer Zeit näher stehenden Ausdrucks-
weise zu verkörpern, ohne daß ein allzu
schroffer Gegensatz zwischen Bau und
Ausstattung auftrat und ohne daß aus
Achten allgemeiner Stileinheit der Airche
das naive gläubige Gemüth und reli-
giöse Bedürfniß allzu wenig Beachtung
und Rücksicht gefunden hätte.

Die Aompositioit zerfällt in zwei
Theile, deren oberer Gott Vater in den
hintinlischen Sphäreil, umgeben von
Engeln, und deren unterer Christunt
darstellt, um den sich seitlich die heilige
Mutter Anna, die Gottesgebärerin und
die Apostel, als die ersten irdischen
Vertreter des Christenthums, gruppiren.
Ein fchtnaler iitofaikartiger Fries mit
den vier Evangelistensymbolen in run
den Feldern bildet die Trenitung der
beiden Theile. Mit glücklicher Berück-
sichtigung des Standpunktes der Be-
schauer verlegte der Aünstler die Halb-
figur Gott Vaters etwas unter den
Mittelpunkt der Halbkuppel, wodurch
auch unschönen Verkürzungen vorge-
beugt wurde. Die Gestalt selbst ist von
gewaltiger Wirkung. Ernst blickt das
Auge unter den Falten der Stirne
hervor, über die Brust fällt der lange
weiße Bart, und die Arme breiten sich
weit, wie zum Schöpfungsakte, aus.
Die Größe der Auffassung gemahnt
uns unwillkürlich an Michelangelo's
Schöpfergestalten in der Sixtina, wobei
wir noch erwägen müssen, daß die
repräsentative Darstellung Gott Vaters
als des Erschaffers der Welt jederzeit
zu den schwierigsten Aufgaben der
bildenden Aunst zählte. Um die hehre
Gestalt zieht sich der Thierkreis, ur-

tVenig, Berchtesgaden.

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