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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 50.1899-1900

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Schumacher, Fritz: Der Individualismus im Wohn raume
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https://doi.org/10.11588/diglit.7134#0113

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Dei Individualismus im tVvhnraiime.

\6<). Halskette und Anhänger von Karl Groß, Dresden,
vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk, München,
(wirkl. Größe.) Muster geschützt.

des Individuellen im wohnraume erreicht Hut, -
eine Entwicklung, die durch den dreißigjährigen
Arieg jäh unterbrochen und nach ihrer Gesun-
dung im s8. Jahrhundert durch die französische Re-
volution so völlig gehemmt wurde, daß nun geradezu
eine Art Nivellirungssystem Platz greift, welches zu
bekämpfen die moderne Bewegung als ihre haupt-
aufgabe ansieht. Der Verfasser fährt dann fort:]
Es ist charakteristisch, daß die englische Reform
mit dem Landhause beginnt; das Landhaus ist eben
noch am leichtesten der verflachenden Wirkung der
Großstadt zu entziehe::, wo die Forderung der Zins-
ausnutzung des Bodens unvermeidlich in künstlerische
Prinzipien hereinspielt und das Innere sich meist
einem praktischen Schema einordnen muß. — Zur
individuellen Ausbildung des Wohnhauses ist ein
Gestalten der Aufgabe von Innen nach Außen die
erste Vorbedingung. Es ist ja eine der hauptsäch-

*70 u. Schließe und

Broche von Aarl Groß,
Dresden. vereinigte Werk-
stätten f. Kunst im Hand-
werk, München. Muster
geschützt.

lichen Ligenthümlichkeiten architektonischen Schaffens,
daß hier eine Art Doppeldenkens verlangt wird:
bei Allem, was man schafft, muß man gleichzeitig
die an sich ganz verschiedenen Gedankengänge der
Außengestaltung und der inneren Ausbildung parallel
laufen oder vielmehr sich im richtigen Augenblicke
durchdringen lassen, und diese zwei Elemente in ge-
sundem Gleichgewicht zu halten, ist eine der wesent-
lichsten Bedingnisse der Architektur. Dennoch wird
wohl immer der Fagadengedanke oder der Raum
gedanke beim Schaffenden das Primäre sein und —
vielleicht unbewußt — dadurch den entscheidenden
Einfluß aus das ganze Werk bekommen.

Nun ist es entschieden ein Charakteristikum der
deutschen Architektur der letzten Jahrzehnte, daß hier
augenscheinlich der Fa^adengedanke, der ja auch dein
Laien meist als das wesentliche erscheint, ein lieber
gewicht besaß; es hängt mit unserer akademischen
Ausbildung am italienischen palaste zusammen, daß
wir uns nur schwer losreißen vom Schema einer
durchgeführten Axentheilung und dieses feste Gefüge,
das ja bei Monumentalaufgaben seine natürliche
Berechtigung hat, auch aus die einfachen Probleme
des Wohnhausbaues übertragen. Natürlich zum
Schaden des Inneren, das sich in dieser Zwangsjacke
nicht frei entfalten kann und keine individuellen Raum-
bildungen zuläßt, wie sie sich aus innerem Bedürfniß
ergeben.

Die Raumbildung aber — die Art des ein-
fachen Abgrenzsns eines Stückes Rauin, ist der wesent-
lichste Faktor, der dein Architekten zur Verfügung
steht, um einen individuellen Stimmungseindruck zu
erzielen. Es ist nicht nur die Grundrißgestaltung,
die durch das verschiedene Verhältniß von Länge zu
Breite und die Kombination mit geschweiften Elemen-
ten die mannigfachsten Effekte Hervorbringen kam:,
sondern es ist vor Allen: auch das Bemessen der höhe
des Rauines, was als wichtiges Moment für seine
eigenthüinliche Wirkung in Betracht kommt und be-
achtet sein will.

Es ist interessant, in französischen Prunkschlössern
zu beobachten, wie in der Flucht imponirender Gala-
räume plötzlich ein ganz anderer, anheimelnder
Charakter waltet überall da, wo Marie Antoinette
gehaust hat. Diese feinsinnige Frau zeigte ihr Ver-
ständniß für den wohnraum in handgreiflicher weise
dadurch, daß sie in den Gemächern, die ihr zugewiesen
wurden, jedesmal die Decken herausnehmen und in
der Regel tiefer, jedenfalls aber in verschiedener höhe
wieder einsetzen ließ; sie erzielt dadurch nicht nur in
jeden: einzelnen Raume eine besondere Grundstin:
mung, sondern, was die Hauptsache ist, die Wirkung
der Gemächer unter einander wird dadurch gesteigert,
 
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