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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 50.1899-1900

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Haupt, Albrecht: Gedankenspäne zur neuen Bewegung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7134#0234

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Gedaiikensxäne zur neuen Bewegung.

2SI. Wandfries, Skizze von A. Weisgerber, München.

Langsam hat sich das vorbereitet, vo^ Allem
bei uns in Deutschland. Aus dein feuchten Westen
sind die langfaserigen Anne des Neuen, wie der
hausschwamm sich im Gebäude einnistet und ver-
breitet, langsam von unten durch Mauern und
Wände gedrungen, überall fressend und zerstörend,
unr endlich das erstrebte und gewollte Werk voll-
endet, das alte morsche Haus der alten Aunst, das
doch nur flüchtiges Fachwerk mit trügendem Anschein
von Monumentalität gewesen, langsam in sich zu-
sammensinken zu sehen.

Die welschen Plakate und die riesigen Papier-
kunstwerke der neuen Welt, die Mahagoni-Aattun-
architektur von jenseits des Aanals und so vieles
Andere hatte sich, trotzdem es zuerst mißachtet
schien, mehr und mehr in Auge und Mode ein-
geschlichen, und neue Aünstler, deren Art und
Aönnen nicht nach dem einmal feststehenden Maaßstab
meßbar war, behaupteten sich, wenn auch anfänglich
mühsam bei Einzelnen, dann in der Gunst einiger
Antiker oder Propheten, zuletzt dauernd auf einem,
wenn auch noch unbequemen Platz in der Menge
der konzessionirten Sessel, den sie sich mit Gewalt er-
obert hatten. Die Gegenstände der künstlerischen
Darstellung wurden sichtlich andere, nachdem die
Litteraten zuerst begonnen hatten, nicht nur An-
genehmes und Schönes zu ihrem Vorbild zu wählen,
sondern langsam Jammer und Elend, Schmutz und

Verfall, Arankheit und Wahnsinn und sonst noch
allerlei zu bevorzugen. Die Zola und Ibsen fanden
ihre Nachfolger auch in der bildenden Aunst.

Und seit Jahren sah man, zunächst mit Schaudern,
dann mit Mißtrauen, zuletzt mit Wohlgefallen,
eine Quelle des Neuen stießen, die den dürren
Boden der durch ewig gleiche Aultur ermüdeten
Gartenfläche der Aunst langsam mehr und mehr
durchtränkte. Das englische Blatt The Studio ist von
einem ganz ungeheuren Einflüsse auf den Aontinent
geworden, insbesondere für Verzierung im Aunst-
gewerbe und Architektur. Die Rattenschwanz-
ornainentik, die künstliche Naturrohheit, der Stell-
macherstil jener Arbeiten, jene Fagaden, die das
gemeinsame Werk von Dachdecker und Glaser
scheinen, die schwunglose und philiströse Linienführung
der Eisenarbeiten und so vieles Andere — Alles zu-
sammen schlich sich, genial dargestellt und oft von
der Farbe wunderbar unterstützt, langsam in's Wohl-
wollen der Aünstler, vor Allem aber der Möbel-
händler und Tapeziere, und durch die Letzteren, die
ja heutzutage die eigentlich maaßgebende Alaffe im
Aunstgewerbe sind, in die Diode. Lebt doch diese
mit ihren Machern und Ausbeutern recht eigentlich
davon, daß sie Bestehendes diskreditirt und sein
Gcgentheil aus den Thron setzt. So sind Bing in
Paris und Aeller & Reiner in Berlin z. B. heute viel
wichtiger als die Besten, mit deren Werken sie handeln.

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Aunst und Handwerk. 50. Iahrg. hefl 7.

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