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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 50.1899-1900

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Lueer, Hermann: Materialentsprechend
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https://doi.org/10.11588/diglit.7134#0286

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Materialentsprechend.

Form schlechte muß auch wesensschlecht sein.
Dieser Trugschluß in seinen verschiedenen Variationen
wurde verhängnißvoll. Man vermochte nicht mehr
zu trennen, daß bei einer in Zinkblech gepreßten
Aonsole zunächst nur die innere Eigenschaft des Ma-
terials seinem Zwecke in diesem Falle nicht entsprach,
daß sie aber äußerlich schön sein konnte. Gder man
empfand nicht, daß im anderen Falle bei einer über-
ladenen Majolikakanne das häßliche Aeußere das
Unangenehme war, nicht aber das die Form tra-
gende Material, der glasirte Thon, der, wie die Aus-
führung ja unzweideutig beweist, in die gewünschte
Form zu bringen ist und besonders auch dauerhaft
genug ist, seinen Prunkzweck zu erfüllen so gut wie
schließlich Majolika überhaupt. Es war nur die
nothwendige Folgerung, daß man darauf verfiel,
jedes Material müsse seine theoretisch festzulegenden
Ausdrucksformen haben.

Es ist ja schließlich ein unschuldiges Vergnügen,
diese Ueberzeugung zu haben; werden aber solche
Ansichten zum allgemein gültigen Gesetz, das einerseits
die künstlerische Freiheit beschränkt und andrerseits dem
Beschauer zur Beurtheilungsnorm wird, dann ist es
hohe Zeit, sich dagegen zu verwahren. Araut und
Meyer schreiben beispielsweise in ihrem Schlosserbuch:
„Aber auch die Formen des Steins werden zur Ver-
fallszeit unverstandener Meise auf das Eisen
übertragen. Areuzblumen, Arabben, Spitzbogen,

^23. Brunnen, Modellskizze von <£. Neumeister, München.

422. Brunnen, Modellskizze von Rarl Burger, München.

Fischblasenornament und Maßwerke, Zinnen und
ganze Architekturen werden nachgebildet, so wenig
das Material sich hierfür auch eignen
möchte. Von diesen Verirrungen abgesehen,
läßt sich allgemeinhin behaupten, daß der Schmied-
eisenstil der Gothik ein gesunder war. . . . ."

Aehnlich beurtheilt man die ge-
schmiedeten Aonsolen der Fackelhalter
an den italienischen Palästen des f5.
und f6. Jahrhunderts und besonders
auch dis ait Monstranzen, Reichen,
überhaupt allem Silbergeräth vorkom-
menden Architekturmotive. Nicht milder
betrachtet man die Anwendung von
Architekturmotiven an Möbeln, die
Verwendung von sogenannten Metall-
formen in der Aeramik oder von
„Töpferformen" in Metall u. a. m.
Es bleibt kaum etwas, das der Ma-
terialtheorie Stand zu halten vermöchte.

Meshalb, müßte doch nun jeder
fragen, entsprechen denn die Formen
von Strebepfeilern, Fialen, Maßwerken
und dergl. nur dem Stein? And wes-
halb ist eine Aonsole, Säule oder ein
Giebel nicht dem Schmiedeisen oder
polz angepaßt? Melches ist der Grund,
daß Arbeiten solcher Art keine Gnade
finden vor den Augen der kaltherzigen
Antiker? Man sinnt und sinnt ver-
geblich und findet die Antwort nicht.

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