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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Wolf, August: Kopien venezianischer Meisterwerke in der Schack'schen Galerie zu München
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0205

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397

Korrespondenz.

398

prachtvoll gezeichnetem nacktem Arme. Besonders dieser
Arm und die deutende Hand sind echt tizianisch. Das
ftatternde Obergewand ist dunkelrothbraun. Darunter
hat er ein blüthenweißes Hemd, welches nur die Waden
und die Arme blos läßt; große bauschige Hemdärmel
sind ausgestülpt bis zur Schulter. An den Füßen
Sandalen. Um den beschatteten, ganz nach abwärts zum
Knaben gewandten Kopf flattern rothbraune Locken.
Dieser Kopf, von einer gewisfen herben jugendlichen
Schönheit, sieht fo aus wie das, was wir so gerne Gior-
gione nennen möchten. Weit ausgebreitet sind die
mächtigen, etwas heraldifch gezeichneten dunklen Flügel.
Die lebensgroße Figur hebt sich von einer goldigen
Abendluft ab. Im Hintergrund auf einem Abhange einige
Hütten und Bäume. Rechts ein Hain, in welchem ein
Schäfer seine Schase weiden läßt. Der kleine Tobias
trägt das für Tizian so bezeichnende rothgelbe Gewand
mit braunrothen Streifen und unter demselben ein bis
an's Knie reichendes Hemdchen. Sein Ausdruck ist un-
gemein naiv. Vertrauensvoll blickt er mit stark erho-
benem Kopfe, im Profil gesehen, zu seinem Schutzgeist
empor. Echt kindlich schleppt 'er die Beine müde nach
und kann kaum dem raschen Schreiten seines gött-
lichen Begleiters folgen. Das Bild ist weder gestochen
noch photographirt und ward bisher wenig beachtet. Es
mag tll hoch sein. Die Kopie ist in gleicher Größe. Leider
ist auch diese nicht photographirt. Nach beendeter Arbeit
kehrte auch dieses gut restaurirte Bild an seinen früheren
dunklen Platz zurück. Es ist auf Holz gemalt und hal den
alten Originalrahmen, der auf die Tafel felbst aufge-
schraubt ist. Auch hier mußte ich von Neuem beklagen, daß
es keine gute Lebensbefchreibung Tizian's giebt. Welche
Aufschlüsfe über so viele Dinge müßte das unendlich
reiche venezianische Archiv gewähren! Aber die Vene-
zianer werden stiefmütterlich behandelt.

Vier Jahre und vier Monate war ich mit diesen
25 Kopien beschäftigt, wozu noch ein kleines Aquarell
einer Freske kam. Sechs Monate war ich theils auf
Reisen, theils anderweitig beschästigt. Meine Thätigkeit
in Venedig war nun beendet. Den 10. August 1870
war ich dort angelangt, den 1. Juni 1875 verließ
ich die wunderbare Stadt, um iu Florenz die Madonna
des Andrea del Sarto in der Tribuna zu kopiren.
Da jedoch dieses Bild nicht herabgenommen wird und in
der Tribuna felbst nicht zu kopiren ist, so verzichtete
Baron v. Schack mittlerweile auf dieses Bild. So ging
ich denn an die Pietu des Fra Bartolommeo, die ich
in Originalgröße kopirte. Eine kleinere Madonna des
Andrea del Sarto wurde fertig, bis der Fra Barto-
lommeo frei wurde.

Wenn auch meine Kopierthätigkeit große Anstrengung
von Körper- und Geisteskräften bedingte, so rechne ich
voch die in Venedig verbrachte Zeit zu der genußreich-

sten meines Lebens; gerne will ich vergesfen, wie mich
die sonst so ersehnte und geliebte Sonne mit ihren glühen-
den Reflexen ost zur Verzweiflung brachte. Hat doch
der Blick fast sünf Jahre auf den koloristisch-fchönsten
Malereien der Welt ruhen dürsen!"

August Wolf.

korrespondeiy.

London, Anfang März 1876.

Eine sehr eigenthümliche und anregende Ausstellung
der Sammlung von Gemälden, Zeichnungen und Slichen
des englischen Künstlers William Blake ist foeben,
aber nur für Privatbesuch, in der Galerie des Burlington
Fine Art Club erösfnet worden. William Blake wird
von Einigen als ein Heiliger, von Anderen als ein Ver-
rückter angesehen, indeß sind die hier ausgestellten Werke,
welche alles Andere eher als erschöpfend für des Meisters
Genius sind, nicht ganz so voll Heiligkeit wie diejenigen
des Fra Angelico und keineswegs fo toll wie die
Malereien von Anton Wiertz in Brüssel. Blake war
ein Mystiker, der an geheimnißvolle Mächte glaubte
und sich einbildete, Visionen zu haben. Homer, Dante
und Andere kamen nach seiner eigenen Erzählung, um
zu den Porträts zu sitzen, die hier ausgestellt sind. Er
gehörte zur Klasse der Spiritualisten, ehe man von
den modernen Spiritualisten etwas gehört hatte. Sein
seelischer Zustand hatte etwas Verwandtes mit Jakob
Böhme und Swedenborg, demgemäß ist seine Kunst-
weise mehr visionär in der Konception als krästig in
der Behandlung. Er war ein Poet in Bezug auf Ein-
bildungskrast, aber kaum ein Maler in Bezug auf künst-
lerische Dressur. Die hier zum ersten Male zusammen-
gestellten Arbeiten werden höchst wahrscheinlich in London
großes Aufsehen erregen. Sobald der Katalog ange-
fertigt und die Ausstellung in Wirklichkeit eröffnet ist,
kommen wir darauf zurück.

England hat sprichwörtlich stets Unglück mit seinen
öffentlichen Denkmälern und Statuen. Vor etwa 20
Jahren bewilligte das Parlamenr 20,000 L zur Errich-
tung eines Monuments sür den verstorbenen Herzog
von Wellington, und die St. Paulskirche wurde als
Platz für dasfelbe bestimmt. Mr. Stevens, der Künstler,
dem die Ausführung übertragen war, starb unglücklicher
Weise im vergangenen Jahre und hinterließ das Denkmal
unvollendet. Der Entwurf, der mit einer Reiterstatue
des Herzogs abschloß, mag etwas von den berühmten
Scaliger-Gräbern in Verona beeinflußt worden sein.
Es hat nun den Anschein, als ob der Kirchenvorstand
sich dagegen verwahren will, ein Pferd, und wäre es
auch nur von Bronze, in den geweihtenRäumen der Kathe-
drale zuzulassen. Man sagt, daß der verstorbene Dekan
Milman seine Einwilligung zum Eintritt eines Menschen
versagt habe, der „auf der Höhe seines eigenen Monu-
 
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